Mit neuen digitalen Lehrberufen sollte ab September 2018 der immer stärker werdende Fachkräftemangel in den IT-Berufen bekämpft werden. Allein 2.000 zusätzliche Lehrlinge pro Jahr erhoffte sich die Regierung von eigens entwickelten Ausbildungen wie „Applikationsentwicklung/Coding“ oder „eCommerce-Kaufmann/frau“. Fünf Jahre später herrscht Ernüchterung. Nur 480 Programmier-Lehrlinge werden aktuell ausgebildet, in den Bereichen eCommerce-Kaufmann/frau oder Medienfachfrau/mann sind es nicht viel mehr.
Dabei wäre das Interesse der Jugend durchaus vorhanden, zeigt eine Studie des Österreichischen Instituts für Berufsbildungsforschung (öbf) im Auftrag von Arbeiterkammer und Gewerkschaft. Demnach standen 2022 im Jahresschnitt 15 offenen Lehrstellen 181 Lehrstellensuchenden gegenüber. Beim Lehrberuf IT-Systemtechnik suchten 279 Jugendliche eine Lehrstelle, gemeldet waren nur 26. Wie das?
Was die Gründe sind?
In der von Einzelkämpfern dominierten IT-Branche bildet nur etwas mehr als ein Viertel der Betriebe (ca. 1.300) überhaupt Lehrlinge aus. Über alle Branchen hinweg sind es immerhin 43,9 Prozent. Mit rund 2.700 Lehrlingen in fünf Berufen hinkt der gerne als Zukunftsbranche bezeichnete Sektor den anderen weit hinterher.
Nur die Finanzbranche bildet noch weniger Jugendliche aus (siehe Grafik). Bei den Lehranfängern gab es im Vorjahr zwar ein beachtliches Plus von 29 Prozent auf 884, im Zehn-Jahres-Vergleich sind es gerade einmal 100 mehr. Und das bei mehr als 20.000 offenen IT-Stellen.
Lehre „nicht am Radar“
Die Studie ortet vor allem zwei Gründe für die äußerst dürftigen Lehrlingszahlen. Zum einen habe die relativ junge und dynamische IT-Branche die Lehrlingsausbildung noch schlicht nicht am Radar, weil noch zu wenig Erfahrung damit. Und zum anderen fehle es den Betrieben häufig an Personal, Zeit und Geld für die Ausbildung.
AK-Lehrlingsexperte Thomas Moldaschl appelliert an die Betriebe, „den Investitionsrückstau in der Lehrausbildung“ dringend abzubauen. Schließlich sei die Digitalisierung gekommen, um zu bleiben. Von Regierung und Wirtschaftskammer fordert er verstärkte Infokampagnen für mehr IT-Lehrlinge sowie die rechtlich-bürokratische Erleichterung von Ausbildungsverbünden. Bei Letzteren teilen sich mehrere Betriebe die Lehrlinge für eine bestimmte Zeit.
Was ein Branchenvertreter dazu sagt
„Bei den Lehrlingszahlen gibt es definitiv noch Luft nach oben“, bestätigt Alfred Harl, Fachverbandsobmann in der Wirtschaftskammer (WKO). Auch er wünscht sich noch mehr Bewusstseinsbildung in der Öffentlichkeit. „Unter den Beruf Applikationsentwicklung/Coding können sich viele Jugendliche nichts vorstellen.“ Die WKO veranstalte regelmäßig eigene „Coding Days“, um Schülern das Programmieren schmackhaft zu machen. Die IT-Betriebe würden aber sehr wohl kräftig in die Aus- und Weiterbildung investieren, betont Harl.
Er verweist auch darauf, dass viele IT-interessierte Jugendliche in weiterführende Schulen gehen und später als HTL-, Fachhochschul- oder Uni-Absolventen ebenso dringend benötigt würden. Inzwischen gebe es quer durch alle Qualifikationsniveaus mehr als 100 Berufsfelder im IT- und Telekomumfeld. „Ein IT-Job ist ein Job fürs Leben.“
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