In Krisenzeiten wird noch genauer hingeschaut. Um den langfristigen Schaden durch den Corona-Stillstand zu minimieren, nehmen Unternehmen und Regierungen nämlich hohe Schulden in Kauf. Wie schlägt sich das auf die Ratings nieder? Der KURIER beantwortet einige der zentralen Fragen.
Hat Corona eine Pleitenwelle ausgelöst? Welche Branchen trifft es besonders?
Noch ist es zu früh, um das zu beantworten. Aber es gibt Indizien: Seit Jahresbeginn habe man 75 Zahlungsausfälle von Unternehmen registriert, sagte S&P-Analyst Sudeep Kesh am Freitag. Davon stammen 51 Firmen aus den USA und acht aus Europa. Somit zeichnet sich ein Pleiten-Negativrekord ab, denn im gesamten Vorjahr wurden nur 118 Ausfälle verzeichnet.
Eine Verschlechterung der Bonität oder einen negativen Ausblick (also eine drohende künftige Abwertung) gab es für 1.700 Firmen. Das sind 35 Prozent derer, die S&P weltweit im Blick hat – was zeigt, wie sehr die Corona-Pandemie die Kreditfähigkeit beeinträchtigt. Besonders stark betroffen war die Autoindustrie, wo 84 Prozent jetzt schlechter dastehen als zuvor. Dahinter folgen fast gleichauf die Investitionsgüter-Industrie, Medien/Unterhaltung und Transportwesen (77 Prozent). Zum Vergleich: Von den Infrastruktur-Unternehmen waren nur neun Prozent von Abstufungen betroffen.
Viele Staaten müssen sich jetzt hoch verschulden, um Firmen zu retten: Wackelt jetzt auch deren Bonität?
Von den 36 "reichen" Industriestaaten der OECD hat S&P seit März nur Mexiko abgestuft. Dabei spielte der gefallene Ölpreis die größte Rolle, so wie bei Angola, Kamerun, Nigeria, Oman und Kuwait.
Für viele Entwicklungs- und Schwellenländer wird es eng: Bei ihnen kommt zur Gesundheitskrise erschwerend dazu, dass ausländische Investoren große Kapitalbeträge abziehen. Weil diese Staaten aber überhaupt nur in Fremdwährungen, meist US-Dollar, Kredite erhalten, werden sie rasch zahlungsunfähig. Aktuell haben mehr als 100 der 189 Mitgliedsländer beim Internationalen Währungsfonds (IWF) um Hilfen angefragt. Das gab es noch nie.
Gibt es Länder, die akut pleitegefährdet sind?
Ja, bei den meisten ist aber die Corona-Pandemie nicht der Hauptgrund. Venezuela, Libanon, Sambia, Mozambique, Ecuador gelten schon davor als ausfallgefährdet. Und Argentinien steht kurz vor der neunten (!) Pleite. Bis 22. Mai sollen seine Gläubiger einem üppigen Nachlass auf Schulden im Wert von 65 Mrd. Dollar zustimmen. Das gilt als unwahrscheinlich.
In Europa ist das Sorgenkind Italien von Corona am stärksten betroffen. Wie wird dessen Finanzlage gesehen?
Italiens großes Problem sind hohe Zinszahlungen für Altlasten. Jetzt werden die Staatsschulden wegen der Corona-Pandemie von 135 in Richtung 160 Prozent der Wirtschaftsleistung steigen. Allerdings sei die Schuldenquote nur ein Faktor, sagt Frank Gill, der bei S&P für Europa zuständig ist. Ein Indikator, der sich historisch als zuverlässiger erwiesen habe, sei die externe Vermögensposition. Diese zeigt an, ob sich ein Land als Ganzes gegenüber dem Ausland verschuldet oder Vermögenswerte aufbaut. Erstaunlich, aber wahr: Italien ist, so wie exportstarke Länder wie Deutschland, Südkorea, Japan und Österreich oder Spanien, ein Netto-Gläubiger (Geldgeber) gegenüber dem Ausland.
Just das hoch verschuldete Italien soll ein Geldgeber sein? Wie lässt sich das erklären?
Da spielen mehrere Faktoren mit. Italien exportiert mehr, als es importiert und weist so seit Jahren Überschüsse in der Leistungsbilanz auf. Die privaten Haushalte besitzen beträchtliche Vermögenswerte und kaum Schulden: Der Schuldenberg liegt beim Staat. Und: Dieser stammt aus Zeiten der Lira, lange vor dem Euro-Beitritt. In der jüngeren Vergangenheit gehen Italiens Regierungen nicht so verantwortungslos mit Geld um, wie ihnen unterstellt wird. Der Beleg: Seit 1995 hat Rom mit Ausnahme des Krisenjahres 2009 immer einen Primärüberschuss erzielt. Das heißt: Der Staat hat mehr Geld eingenommen als ausgegeben, sofern man die Zinskosten ausklammert. Womit Italien in Sachen Budgetdisziplin – ohne Schuldendienst, wohlgemerkt – Österreich in 21 von 25 Jahren übertroffen hätte.
Warum sind die Ratings für Italien dann ein Problem?
Sollte die Bewertung der italienischen Staatsanleihen von investmenttauglich zu spekulativ („Ramsch“) kippen, müssten viele institutionelle Anleger sie aus dem Portfolio schmeißen. Das würde die Zinsen weiter hochtreiben – ein Teufelskreis. Die Europäische Zentralbank dürfte das flexibel handhaben; sie wird sich ihr Handeln nicht von den US-Agenturen diktieren lassen. Ob jedoch die Verfassungsrichter in Karlsruhe hinnehmen würden, wenn die EZB "Ramsch"-Anleihen aufkauft, ist eine andere Frage.
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