"Planquadrate": Neuer Auftrag für Finanzpolizei nach Amazon-Razzia
Zwei Tage nach der Großrazzia im Amazon-Verteilzentrum in Großebersdorf bei Wien hat die Regierung angekündigt, den Prüf- und Kontrollplan der Finanzpolizei für das erste Halbjahr anzupassen. Die Finanzpolizei hatte am Dienstag das Amazon-Lager gefilzt. Im Visier stand nicht der Onlineriese selbst, sondern die Subfirmen, die für Amazon im Großraum Wien die Pakete zustellen.
Finanzminister Gernot Blümel (ÖVP) und Arbeitsministerin Christine Aschbacher (ÖVP) haben dabei "ausländische Betriebe" und "internationale Großkonzerne" im Visier, nicht österreichische Unternehmen, die sich ohnehin fair verhalten würden, wie sie in einer Pressekonferenz am Donnerstag mehrfach betonten. Es soll auch mehr Einsatztage im Grenzgebiet sowie "50 Mann-Tage explizit für Planquadrate" geben.
Auftraggeberhaftung "nicht sinnvoll"
Die von der Gewerkschaft geforderte Auftraggeberhaftung analog zur Baubranche lehnte Blümel als "nicht sinnvoll" ab, weil sie alle Firmen pauschal unter Generalverdacht stelle. Aschbacher kündigte eine Novelle des Lohn- und Sozialdumpinggesetzes an. Details ließ sie offen. Bezüglich des Kumulationsprinzips der Strafen verwies Blümel auf eine im Regierungsprogramm geplante Reform.
Die Finanzpolizei hatte am Dienstag 174 Dienstnehmer bei 36 Amazon-Partnerbetrieben kontrolliert, dabei sind 49 Verstöße gegen das Arbeitsrecht festgestellt worden. Viele der Mitarbeiter bei den Paketzusteller-Firmen sind nur geringfügig angemeldet. Die beschlagnahmten Fahrerlisten sollen nun Aufschluss darüber geben, wie viel die Mitarbeiter tatsächlich gearbeitet haben.
Strengere Kontrollen für Amazon und Co
Um gewerbsmäßige Schwarzarbeit zu bekämpfen, kommen mehrere Maßnahmen in Frage:
AUFTRAGGEBERHAFTUNG
Eine solche Auftraggeberhaftung gibt es in der Baubranche. Diese ist 2016 eingeführt worden, weil Baufirmen ihre Aufträge an Subfirmen und diese teilweise wieder an andere Subfirmen vergeben haben. Nun muss der Generalunternehmer für die gesamte Auftragskette sicherstellen, dass alle Beiträge und Abgaben korrekt gezahlt werden, er haftet dafür. Deutschland verabschiedete 2019 die sogenannte Nachunternehmerhaftung für die E-Commerce-Logistik, um auch Paketboten vor Ausbeutung zu schützen. In Österreich fordert die Gewerkschaft ebenfalls eine Haftung des Versenders. Finanzminister Gernot Blümel (ÖVP) hält sie für "nicht sinnvoll".
KONTROLLEN
Aus Sicht der Branche kommt man den "schwarzen Schafen" nur mit wirksamen Kontrollen und schneller Rechtsdurchsetzung bei - wie etwa mit der Großrazzia mit rund 65 Beamten im Amazon-Lager am Dienstag. Die Finanzpolizei mit österreichweit rund 450 Mitarbeitern ist für eine Vielzahl von Aufgaben zuständig: unter anderem für Kontrollen des Glücksspiels, für die Aufdeckung illegaler Ausländerbeschäftigung aber auch für Sozial- und Abgabenbetrug. Auch das Thema Abgabenverkürzung bei Kfz fällt in ihren Zuständigkeitsbereich. Die Gewerkschaft vida fordert eine Aufstockung des Personals um 100 Mitarbeiter, auch der Handelsverband spricht sich für eine Verstärkung der Finanzpolizei aus. Blümel versprach am Donnerstag zusätzliche 50 Mann-Tage für Planquadrate.
STRAFEN
Die Verwaltungsstrafen für Verstöße gegen das Lohn- und Sozialdumping-Bekämpfungsgesetz liegen derzeit abhängig vom Fall zwischen 1.000 und 50.000 Euro. Bei der Strafhöhe eine Rolle wie viele Verstöße zusammengezählt werden. Dieses sogenannte Kumulationsprinzip besagt, dass bei Verwaltungsdelikten - im Gegensatz zum Strafrecht - jedes Vergehen einzeln bestraft werden kann. So wie es schon die ÖVP-FPÖ-Regierung geplant hatte, will auch Türkis-Grün Mehrfachbestrafungen bei Verwaltungsdelikten zurückdrängen, Stichwort "Beraten statt Strafen. "Unter Wahrung general- und spezialpräventiver Aspekte" soll es eine Verhältnismäßigkeitsprüfung geben, wie es im Regierungsprogramm heißt. Die Arbeiterkammer dagegen fordert "Strafen, die abschrecken". Die ÖVP kritisiert, dass die Strafbestimmungen durch EuGH-Urteile zahnlos geworden seien. Die Strafforderungen aufgrund von Lohn- und Sozialdumping betrugen im Jahr 2019 13,8 Mio. Euro.
FAHRTENSCHREIBER
Um Lkw- und Busfahrer vor überlangen Lenkzeiten zu schützen, gibt es für Fahrzeuge über 3,5 Tonnen Fahrtenschreiber. Für Kleinlaster und Transporter gilt diese Tachografen-Pflicht nicht. Weil es solche Geräte in den Sprintern der Paketzusteller nicht gibt, hat die Finanzpolizei bei der Amazon-Razzia stattdessen die Fahrerlisten beschlagnahmt.
LAUFENDE KONTROLLE
Wie wäre es, einen Beamten der Finanzpolizei fix für das Amazon-Lager abzustellen, also statt einer Großrazzia täglich zu kontrollieren? So etwas ähnliches gibt es tatsächlich im Rahmen eines Pilotprojekts und nennt sich "horizontales Monitoring". Eine solche begleitende Kontrolle kommt für große Unternehmen infrage. 2019 nahmen ein Handvoll Firmen teil. Die Teilnahme erfolgt freiwillig über Antrag des Unternehmens. Es erspart sich eine Großbetriebsprüfung und minimiert das Risiko von Verstößen und dementsprechende Geldstrafen.
Gewerkschaft nicht zufrieden
Der Gewerkschaftsbund (ÖGB) hält die Maßnahmen der Regierung nach der Razzia bei Amazon-Zustellern für zu schwach. „Um Konzerne wie Amazon in die Verantwortung nehmen zu können, braucht es mehr als Planquadrate der Finanzpolizei und monatelang dauernde Evaluierungen von Gesetzen “, erklärte ÖGB-Präsident Wolfgang Katzian am Donnerstag.
„Dieses Problem ist nur mit einer Auftraggeberhaftung in den Griff zu bekommen“, erneute Katzian seine Forderung. Außerdem werde man nicht um eine Aufstockung der Kontrollorgane bei der Finanzpolizei und im Arbeitsinspektorat herumkommen.
Der Handelsverband, der seit längerem Amazon verstärkt kritisiert, begrüßte die angekündigten Maßnahmen. Geschäftsführer Rainer Will erklärte, er erwarte einen konsequenten Vollzug. Der Verband sieht auch dringenden Handlungsbedarf im Bereich der Leiharbeit. Nur ein Bruchteil der Amazon-Mitarbeiter in Großebersdorf sei direkt angestellt, mehr als 90 Prozent seien dauerhafte Leiharbeitskräfte.
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