Pharmig-Präsident: "Wir sind ja nicht das Rote Kreuz"
Eine Meldepflicht bei Liefer-Engpässen und temporäre Export-Verbote sollen ab 2020 die Versorgung mit Arzneimitteln in Österreich sicherstellen. Das Gesundheitsministerium schickte jetzt einen entsprechenden Gesetzesentwurf in Begutachtung.
Stark daran mitgearbeitet hat die Pharmaindustrie. Der neue Pharmig-Präsident Phillipp von Lattorff, zugleich Österreich-Chef von Boehringer Ingelheim, erhofft sich dadurch mehr Transparenz in der Lieferkette und will bei rezeptpflichtigen Arzneimitteln an der Preisschraube drehen.
KURIER: Als Pharmig-Präsident sprachen Sie sich zuletzt für Export-Beschränkungen bei Lieferengpässen aus. Jetzt liegt ein entsprechender Gesetzesentwurf vor. Zufrieden?
Philipp von Lattorff: Dem Entwurf ging eine Taskforce mit allen Playern in der Vertriebskette voraus. Das wichtigste war, Transparenz zu schaffen. Das soll die verpflichtende Transparenzdatenbank jetzt regeln. Hier müssen alle Hersteller melden, wenn sie einen Engpass erwarten. Damit kann auch der Arzt gleich sehen, welche Medikamente da sind und welche nicht. Damit lösen wir automatisch viele Probleme.
Aber gemeldet wird erst, wenn der Engpass schon besteht. Das Grundproblem ist damit nicht gelöst...
Es wird auch gemeldet, wenn die Hersteller zwar die Medikamente liefern können, aber ihre Verfügbarkeit potenziell gefährdet ist. Da gibt es ja eine Vorlaufzeit. Oft ist es so, dass die Produkte lieferbar sind, aber wegen des Parallelhandels nie in Österreich landen, sondern in anderen Ländern. Das soll die neue Transparenz verhindern. Ursache der ganzen Problematik ist eigentlich der Preis. Wenn Österreich nicht unter dem europäischen Durchschnitt läge, würden die Arzneimittel erst gar nicht in den Parallelhandel kommen.
Der Parallelhandel ist als freier Warenverkehr innerhalb der EU ausdrücklich erlaubt. Glauben Sie, dass Österreichs Export-Verbot EU-rechtskonform ist?
Absolut. Es ist eine im öffentlichen Interesse stehende Maßnahme und regelt die Versorgungssicherheit mit Arzneimitteln. Diese ist jetzt schon im Gesetz festgeschrieben.
Wie könnte das Problem der enormen Preisunterschiede bei Medikamenten innerhalb der EU gelöst werden?
Das Ur-Problem ist, dass wir keinen europäischen Gesundheitsmarkt haben. Man könnte Medikamente auch vom freien Warenverkehr ausnehmen und sie als höheres Gut als den freien Warenverkehr einstufen. Beim Export hat nur der Exporteur einen Vorteil, alle anderen nicht. Für die Pharmaindustrie wäre der Kostendruck nicht so hoch, wenn wir auch für billige Medikamente eine Indexierung hätten.
Die Medikamentenpreise sollten jährlich an den Verbraucherpreisindex angepasst werden?
Ja, heutzutage wird alles indexiert, nur Medikamentenpreise nicht. Wenn ich Cola oder Mineralwasser verkaufe, kann ich auch jährlich Preise anpassen, auch die Gehälter steigen jährlich. Bei verschreibungspflichtigen Medikamenten wird einmal ein Preis festgelegt und dann geht es nur noch bergab, obwohl Registrierungsanforderungen und Kosten für Zulassungen für die Industrie steigen. Zuletzt kam auch noch die teure Umsetzung der EU-Fälschungsrichtlinie dazu. . .
Aber die Kosten sinken doch auch, wenn Medikamente länger am Markt sind.
Die Preise sinken schneller als die Kosten. Die einzige Schraube, an der wir drehen können, sind die Produktionskosten. Daher wird die Produktion oft in Billiglohnländer verlagert. Es gibt nur zwei Möglichkeiten: Das Produkt vom Markt nehmen, wenn es sich nicht mehr rentiert, oder mit Verlust verkaufen. Die Pharmaindustrie wird immer so dargestellt, als müsste sie Rotes Kreuz spielen. Aber das sind wir nicht. Wir haben Aktionäre und müssen daher wirtschaftlich intelligent handeln.
Welche Arzneimittel wären von einer solchen Indexierung betroffen?
Wir sprechen hier von rezeptpflichtigen Arzneimitteln, deren Preis unter der Rezeptgebühr (6,10 Euro) liegt. In Österreich lag der Anteil zuletzt bei etwa einem Drittel aller verkauften, rezeptpflichtigen Medikamente.
In welchen Ländern gibt es eine solche Indexanpassung bereits?
Das lässt sich schwer beantworten, weil die Regularien bezüglich Arzneimittel-Erstattung unterschiedlich sind. Bei rezeptfreien Produkten ist das ohnehin möglich.
Zum Pharma-Standort Österreich. Was braucht’s, damit er für Forschung oder Produktion attraktiver wird?
Also mit Billigproduktionen können wir nicht mithalten. Um den Standort zu stärken, müssen wir in der Grundlagen- und angewandten Forschung mehr tun. Für die Forschungsebene ist die Forschungsprämie sehr wichtig. Wir müssen schauen, so viel wie möglich klinische Forschung nach Österreich zu bringen. Wir sind hier im globalen Wettbewerb .
Woran hapert’s?
Wir reden gerne von One-Stop-Shop. Es bräuchte in Österreich eine eigene Koordinierungsstelle für klinische Forschung als Drehscheibe für alle Beteiligten. Diese soll etwa die Verträge mit Spitälern und Ärzten machen und schnell und effizient arbeiten, um mehr klinische Studien an Land zu ziehen.
Sie haben schon öfter kritisiert, dass es schwer ist, top-qualifiziertes Personal von außerhalb der EU nach
Wien zu holen. Muss die Rot-Weiß-Rot-Karte reformiert werden?
Die Branche wird immer internationaler, keine Frage. Statt der Rot-Weiß-Rot-Karte müssen wir qualifizierte Kräfte aus dem Ausland eher einen roten Teppich ausrollen, damit sie kommen.
Der Verband der pharmazeutischen Industrie (Pharmig) vertritt die Interessen von 120 in Österreich tätigen Pharmaunternehmen mit insgesamt 18.000 Mitarbeitern. Die Mitgliedsbetriebe, darunter Konzerne und Kleinstfirmen, decken rund 95 Prozent des Medikamentenmarktes ab. Philipp von Lattorff, Generaldirektor von Boehringer Ingelheim RCV in Wien, wurde Ende September für drei Jahre zum neuen Präsidenten der Pharmig gewählt.
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