Die Nutzerzahlen von Snapchat begannen bereits 2019 wieder anzusteigen, doch in diesem Jahr gab es einen deutlichen Schub: Offiziellen Zahlen zufolge nutzen 238 Millionen Menschen die Plattform, im Vergleich zum Vorjahr bedeutet das einen Zuwachs von 35 Millionen Usern.
Klar, mit den Zahlen von TikTok (ca. 1 Mrd. Nutzer) und Instagram (ca. 2 Mrd. Nutzer) kann man nicht mithalten, doch das besondere an Snapchat ist, wie stark man unter den ganz Jungen vertreten ist: Einer aktuellen Studie des Marktforschungsinstituts Piper Sandler Research zufolge ist Snapchat unter US-Teenagern erstmals wieder die meistgenutzte Social Media App. Das schlägt sich auch an der Börse nieder, wo Aktien des Mutterkonzerns Snap heuer erstmals wieder so viel Wert sind wie 2017.
Pandemie und Pornos
Das liegt auch daran, dass Snapchat, anders als Instagram oder TikTok, vorrangig ein Messenger-Dienst ist - Inhalte werden hier meist direkt zwischen zwei Personen ausgetauscht, höchstens noch in privaten Gruppen. Von der Nutzung her ist die App also im Grunde WhatsApp ähnlicher als “klassischen” Social Media Plattformen, wo der Großteil der Inhalte auch für die breite Öffentlichkeit einsehbar sind.
Im Gegensatz zu Instagram teilen die Nutzer auf Snapchat also auch Fotos und Videos, die nicht perfekt inszeniert sind. Das ist in Zeiten der Pandemie, in denen die meisten Menschen deutlich weniger Instagram-Teilbares erleben als zuvor, natürlich Gold wert. Gründer Evan Spiegel sagte schon 2012: “Bei Snapchat geht es nicht darum, den traditionellen Kodak-Moment festzuhalten. Es geht darum, mit dem vollen Spektrum der menschlichen Emotion zu kommunizieren.”
Ein weiterer Teil der Wahrheit - man darf es nicht unerwähnt lassen - ist, dass Snapchat prädestiniert für pornografische Inhalte ist. Verschickte Bilder werden automatisch gelöscht, sobald der Empfänger sie einmal angesehen hat; Wer also Nacktfotos verschicken möchte, greift höchstwahrscheinlich zu der App mit dem gelben Geist.
So profitierte Snapchat auch massiv von der durch die Corona-Pandemie lahmgelegten Porno-Industrie: Viele Porno-Darsteller bekommen immer noch keine “klassischen” Aufträge mehr, weshalb sie über ein Abo-Modell gegen Geld Sex-Videos auf Snapchat direkt an ihre Kunden verschicken. Man darf die Summen, um die es hier geht, keinesfalls unterschätzen.
Diese Corona-bedingten Umstände des zurückkehrenden Erfolgs sind es, die die Frage offen lassen, ob der auch nach der Krise anhält. In Europa ist der Wiederaufstieg Snapchats nicht ganz so eindrucksvoll gelungen wie am Heimatmarkt USA, zudem lebt das Unternehmen von Risikokapital, erwirtschaftet im Grunde kaum Gewinn. Für Werbetreibende ist das Medium schwer zu fassen, die Zielgruppe der 12 bis 24-Jährigen nicht gerade kaufkräftig.
Sollen Unternehmen also auf Snapchat werben?
Laut der Marketing-Expertin Olivia Ulbing bietet es dennoch einzigartige Möglichkeiten, um die jungen potenziellen Kunden an eine Marke zu binden. “Gerade weil es keine klassische Verkaufsplattform ist, interagieren die Kunden hier mehr. Der Kontakt ist persönlicher”, sagt sie. Kundenbindung auf Snapchat zahle sich also durchaus aus, “damit die Nutzer später, wenn sie Geld verdienen, in die Marke investieren, die sie ihre Jugend über begleitet hat”, so Ulbing.
Für den Social-Media-Experten Karim Bannour ist das aber nicht immer gut investiertes Geld. "Ein Jahr ist in der Online-Welt schon eine Ewigkeit", sagt er. Von daher funktioniere es für kleinere Unternehmen nur bedingt, die junge Zielgruppe langfristig an die eigene Marke zu binden.
"Es kommt natürlich darauf an, was ich als Unternehmen erreichen will und welches Produkt ich verkaufen möchte", sagt Bannour. Bei Reiseanbietern zum Beispiel beeinflusse die Meinung der Jugendlichen die Kaufentscheidung der Eltern durchaus.
In einem sind sich beide Experten aber einig: Kampagnen auf Snapchat seien "ganz schön viel Arbeit", so Ulbing, "weil die Inhalte nach spätestens 24 Stunden wieder verschwinden". "Das laufend zu befüllen kann echt schwierig sein", meint Bannour. "Da muss eine gewisse Affinität vorhanden sein."
Kommentare