Österreicher zahlen 500 Millionen zu viel

Österreicher zahlen 500 Millionen zu viel
Die kalte Progression frisst höhere Löhne auf. Experten fordern daher die Anpassung der Tarife an die Inflation.

Alle Fachleute sind sich einig: Österreichs Steuersystem ist höchst reformbedürftig. Allein neun Milliarden Euro pro Jahr kosten Schlupflöcher, Ausnahmen und Sonderregelungen. Neben den strukturellen Reformen sei auch eine Entlastung der Steuerzahler überfällig.

Dennoch halten sich derzeit viele Experten mit Forderungen nach konkreten Entlastungsschritten zurück. Denn das Hauptaugenmerk gilt der Budgetkonsolidierung. Für 2016 hat Finanzministerin Maria Fekter (VP) einen ausgeglichenen Haushalt versprochen. Und ob sich vorher eine Steuerentlastung finanzieren lässt – ohne politisch höchst umstrittene Gegenfinanzierungen (Stichwort: „Reichensteuer“) – steht in den Sternen.

Schleichende Erhöhung

Einer, der sich dennoch kein Blatt vor den Mund nimmt, ist Klaus Hübner, Präsident der Kammer der Wirtschaftstreuhänder. Hübner sagte im KURIER-Gespräch: „Eine Steuerreform ist tatsächlich überfällig. Die Situation schreit geradezu nach einer Entlastung, auch wenn sie erst nach den Nationalratswahlen realistisch ist.“

Ein Dorn im Auge ist Hübner dabei die sogenannte kalte Progression. Darunter versteht man eine Art schleichende Steuererhöhung. Allein durch die Abgeltung der Inflation über die jährlichen Lohnerhöhungen rutschen die Steuerpflichtigen in immer höhere Tarifstufen. Das bringt dem Fiskus nach groben Schätzungen rund 500 Millionen Euro pro Jahr.

Hübner: „Es wäre nur fair gegenüber den Steuerzahlern, dass die Finanz dieses Körberlgeld zurückgibt. Die Steuergrenzen gehören Jahr für Jahr valorisiert.“

Eine breite Allianz teilt Hübners Ansicht, wenn auch aus völlig unterschiedlichen Gründen. Industrie-Präsident Georg Kapsch fordert vor allem eine massive Entlastung bei der Lohn- und Einkommenssteuer. Und die Steuertarife sollten dabei valorisiert werden, was das „Ende der kalten Progression“ (Kapsch) bedeuten würde.

Aus Konjunktursicht argumentiert WIFO-Expertin Margit Schratzenstaller. Auch sie hat durchaus „Sympathien“ für einen Ausgleich der kalten Progression: „Ein solcher Ausgleich erhält die Kaufkraft und ist auch sozial gerecht, weil sich die kalte Progression vor allem in den unteren und mittleren Einkommensgruppen negativ auswirkt.“

Wirtschaftskammerpräsident Christoph Leitl dagegen will nichts fordern, was die Budgetkonsolidierung gefährdet. Nur die Lohnsteuer zu indexieren wäre „zu kurz gedacht“. Ähnlich argumentiert SP-Wirtschaftssprecher Christoph Matznetter. Das Thema eigne sich nicht für einen Schnellschuss. Matznetter: „Das wäre eine Selbstkastration der Politik. Mit einer automatischen Inflationsanpassung der Tarifgrenzen nimmt man sich viel Spielraum zur Budgetkonsolidierung. Das kostet den Staat sehr viel, bringt aber dem Einzelnen sehr wenig.

Österreicher zahlen 500 Millionen zu viel

„Sparen, dann geht sich beides aus“, sagt WIFO-Chef Karl Aiginger. Eine Steuerentlastung und ein ausgeglichenes Budget bis 2016.

Der Ökonom erinnert vor allem an die sehr hohe Belastung des Faktors Arbeits in Österreich. Hier sei eine Entlastung insofern vorrangig, als sich der heimische Arbeitsmarkt auf ein historisch hohes Niveau von 350.000 Jobsuchenden hinbewege.

Sollten keine Einschnitte auf der Ausgabenseite des Budgets gelingen, könnte man noch immer innerhalb des Steuersystems umschichten, um Arbeit günstiger zu machen. Der WIFO-Chef schlägt eine Höherbesteuerung von Tabak und Energie, oder eine höhere Grundsteuer sowie die Wiedereinführung der Erbschaftssteuer vor. „Aber da gibt es enorme politische Widerstände“, weiß Aiginger.

Kalte Progression

Nicht anfreunden kann sich der Ökonom mit einem automatischen Ausgleich für die kalte Progression: „Es ist längerfristig gut, dass es keinen solchen Automatismus gibt. Das eröffnet Spielraum für eine kleine, stille Budgetkonsolidierung.“

Die Arbeitnehmer spüren freilich mehr und mehr, wie wenig netto vom Bruttolohn bleibt. 2012 etwa blieben vom nominellen Lohnzuwachs von 2,9 Prozent nach Abzug der Inflation brutto nur mehr ein Lohnplus von 0,5 Prozent übrig. Nach Abzug der Steuern und Abgaben blieb ein Nettoreallohnzuwachs von exakt null. Für heuer wird sogar ein Nettoreallohnverlust erwartet.

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