Österreich ist nicht mehr Europas Vorzeigeland

Österreich ist nicht mehr Europas Vorzeigeland
Auch die Wirtschaft wächst mit 0,8 Prozent deutlich schwächer als der Euro-Raum.

Wenn in den vergangenen Jahren Wirtschaftsvergleiche präsentiert wurden, folgte dies oft einem Muster: Für Gesamt-Europa war die Lage nicht sehr rosig, die Krisenfolgen längst nicht überwunden – aber wenigstens für Österreich waren die Zahlen vergleichsweise ordentlich.

Zumindest für den Moment scheint dieses Muster auf den Kopf gestellt: Während den EU-28 in der Frühjahrsprognose der EU-Kommission am Dienstag "Rückenwind für die wirtschaftliche Erholung" konstatiert wird, sind die Daten für Österreich in mehreren Bereichen als Alarmzeichen zu sehen.

Wachstum bleibt mager

Zum Beispiel beim Wirtschaftswachstum: Ganze 0,8 Prozent sagen die Brüsseler Experten der heimischen Wirtschaft für das Jahr 2015 voraus; 2016 soll es dann ein Plus von 1,5 Prozent geben. Für das heurige Jahr hat Österreich nur die sechstniedrigste Prognose aller 28 Mitgliedsstaaten. "Die Chancen auf eine nennenswerte Erholung scheinen gering, nachdem Österreichs Wachstum 2014 schwach blieb und das Vertrauen von Unternehmen und Konsumenten weiter sinkt", attestieren die Experten der Kommission.

Österreich ist nicht mehr Europas Vorzeigeland
Insgesamt soll die europäische Wirtschaft 2015 um 1,8 Prozent wachsen, die Eurozone um 1,5 Prozent(siehe Grafik)– beide Werte haben sich im Vergleich zur Winterprognose leicht verbessert (Österreichs Prognose stagniert). "Die europäische Wirtschaft erlebt das beste Frühjahr seit Jahren", erklärte Wirtschaftskommissar Pierre Moscovici. Hinter dem Aufschwung sieht die Kommission vor allem die Binnennachfrage; auch der niedrige Ölpreis sowie der schwächelnde Euro, der die Exporte fördert, spielen eine Rolle. Großes Sorgenkind bleibt Griechenland, dessen Wachstumsprognose von 2,5 auf 0,5 Prozent korrigiert wurde.

Rückfall

Auch bei der Arbeitslosigkeit fällt Österreich zurück: Erst vor wenigen Monaten ging die Spitzenposition an Deutschland verloren, nachdem man über mehrere Jahre die niedrigste Arbeitslosenquote in der Union aufgewiesen hatte. Jetzt soll es mit erwarteten 5,8 Prozent im heurigen Jahr nur noch für Rang fünf reichen, überholt auch von Großbritannien, Tschechien und Luxemburg. Die Prognose hat sich deutlich verschlechtert: Noch vor Kurzem war die Kommission von 5,2 Prozent Arbeitslosigkeit für Österreich im Jahr 2015 ausgegangen.

Am höchsten bleibt die Arbeitslosigkeit in Europa in Griechenland (25,6 Prozent) und Spanien (22,4); zehn EU-Länder liegen in der Prognose über einem Wert von zehn Prozent.

Defizit bleibt konstant

Bei Budget und Schulden bewegt sich Österreich ebenfalls entgegen dem Trend in Gesamt-Europa, wonach die Prognosen für Staatsverschuldung und Defizite leicht nach unten gesetzt wurden. Für 2015 bleibt die Defizit-Prognose wie in der Wintervorausschau der Kommission bei 2,0 Prozent. 2016 soll es dann ebenfalls 2,0 Prozent betragen, nachdem man noch im Februar von einem Absinken auf 1,6 Prozent ausgegangen war. Die Staatsverschuldung soll mit 87 Prozent nun etwas höher liegen als zuletzt erwartet.

Handlungsbedarf

In der Wirtschaft ortet man angesichts der trüben Aussichten Handlungsbedarf: "Österreich hat 2014 seinen über ein Jahrzehnt währenden Wachstumsvorsprung innerhalb der EU verspielt", sagt Wirtschaftskammer-Präsident Christoph Leitl. "Jetzt fallen wir immer weiter zurück. Das dürfen wir nicht hinnehmen." Leitl fordert "dringend Anreize in Richtung Wachstum, Investitionen und Beschäftigung".

Mehr Investitionen verlangt auch SPÖ-Finanzsprecher Jan Krainer: "Nach vielen Jahren, in denen Österreich an der Spitze der europäischen Wirtschaft stand, besteht nun die Gefahr einer schwächeren Erholung." Eine der Ursachen sieht Krainer im "vergleichsweise geringen Konsum"; er glaubt aber, dass hier mit der jüngsten Steuerreform schon ein Schritt gesetzt wurde, "um der Wirtschaft Aufschwung zu verleihen".

Wirtschaftsminister Reinhold Mitterlehner (ÖVP) kündigte einen Arbeitsmarkt-Gipfel mit internationalen Experten an. Als Maßnahme gegen die "besorgniserregende Entwicklung" am Arbeitsmarkt will er Schulungen von Arbeitslosen vermehrt praxisorientiert direkt in Betrieben durchführen.

Der Rückfall Österreichs in der EU-Arbeitslosenstatistik auf Rang 5 kommt nicht überraschend. Experten haben ihn seit langem erwartet. Dafür gibt es mehrere Gründe:

- Die auf Umfragen basierende EU-Arbeitslosenquote für Österreich ist schon seit Jahren zu niedrig, musste kürzlich auch die Statistik Austria zugeben und die Werte nach oben revidieren.

- Die vielen AMS-Schulungen werden zwar monatlich ausgewiesen, fließen aber nicht in die Quotenberechnung mit ein. Die budgetbedingten Kurs-Kürzungen bringen daher wieder mehr statistisch versteckte Arbeitslose ans Licht, insbesondere in Wien.

- Der Rekord-Zustrom an ausländischen Arbeitskräften führt zu einem Verdrängungskampf am Arbeitsmarkt, bei dem wenig Qualifizierteoder gesundheitlich Beeinträchtigte auf der Strecke bleiben.

- Die ohne Begleitmaßnahmen für den Arbeitsmarkt eingeführte Frühpensionsreform treibt die Altersarbeitslosigkeit in die Höhe, wobei der Höhepunkt noch lange nicht erreicht ist.

Wenn dann noch das Wachstum ausbleibt, nistet sich die Arbeitslosigkeit über Jahre ein.

Keine Ausreden mehr

Das „Wir-san-im-EU-Vergleich-eh-super“-Image taugt als Ausrede für die Regierung nicht mehr. Es bleibt zu hoffen, dass der Rückfall zum Rückenwind für jahrelang verschleppte Arbeitsmarkt-Reformen wird: Wirksames Bonus-Malus-System für mehr Beschäftigung 50plus, Attraktivierung der Lehrausbildung oder eine stärker auf den Arbeitsmarkt abgestellte Zuwanderung, um nur drei Beispiele zu nennen.

Was Österreich nicht braucht sind massenhafte, aber kaum Existenz sichernde Hartz-IV-Jobs wie in Deutschland oder „Null-Stunden-Verträge“ wie in Großbritannien. Solch fragliche Maßnahmen schönen zwar ebenfalls die Arbeitslosen-Statistik, produzieren in Wirklichkeit aber kein "Jobwunder", sondern soziale Spannungen.

Im globalen Wettbewerb eilt die US-amerikanische Konkurrenz den Europäern auf und davon. Während der Umsatz bei den 300 größten europäischen Unternehmen im Vorjahr um 0,5 Prozent zurückging und der Gewinn sogar um vier Prozent schrumpfte, steigerten die Top-300-US-Konzerne ihren Umsatz um 4,1 Prozent und den Gewinn um ein Prozent.

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Zu diesem Ergebnis kommt eine Studie der Prüfungs- und Beratungsorganisation EY, die die Bilanzzahlen der 300 größten, börsennotierten Unternehmen in den USA und Europa (ohne Banken und Versicherungen) analysierte. Das Wachstum in Europa bremsten laut Studie vor allem strukturelle Probleme wie hohe Arbeitslosigkeit, hohe Staatsverschuldung und eine zu schwach ausgeprägte Innovations- und Unternehmenskultur. In den USA wirkten sich die anziehende Binnenkonjunktur und die niedrigen Energiepreise positiv auf die Profitabilität aus. Für 2015 könnte der schwache Euro-Kurs das Wachstum bei Europas Großkonzernen wieder etwas anschieben.

Old Economy

Der Rückfall Europas hänge aber auch mit der nach wie vor dominierenden "Old Economy" zusammen, analysiert EY-Österreich-Experte Gerhard Schwatz. Die meisten Unternehmen der Top-300 in Europa kämen aus den Bereichen Industrie (66), Versorger (30), Öl und Gas sowie Bergbau und Metall. In den USA sei der Industrie-Anteil (42) wesentlich geringer, dafür Bereiche wie IT (30), Gesundheitswesen und Handel wesentlich stärker vertreten. Die US-Umsatzkaiser sind Wal-Mart und Exxon Mobil, in Europa liegen die Ölmultis Shell und BP vor dem Volkswagen-Konzern (siehe Grafik).

Mit der OMV (Platz 51), voestalpine (164) und Andritz (273) schafften es drei österreichische Konzerne unter die Top-300. Während die OMV im Ranking deutlich zurückfiel und die voestalpine annährend gleich blieb, holte Andritz um zehn Plätze auf.

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