Ökonom: "Es fehlt die Staatsverantwortung"
Österreich verliert wirtschaftlich zunehmend an Bedeutung, weil Reformen fehlen, meint der Experte.
KURIER: Wie steht Österreich wirtschaftlich da?
Ulrich Schuh: Die letzten fünf Jahre waren sicher sehr schwierig aufgrund der Wirtschafts- und Finanzkrise. Und die nächsten fünf Jahre werden um nichts leichter werden. Rückenwind von der Konjunktur ist nicht zu erwarten. Zudem hat Österreich in den letzten 20 Jahren vom Integrationsprozess in Europa sehr stark profitiert, diese Entwicklung läuft aus. Gleichzeitig ist die Finanzkrise im Euroraum nicht bewältigt, wir werden immer wieder ein Aufflammen sehen.
Was muss Österreich tun, um Wachstum zu schaffen?
Österreich ist eine kleine Volkswirtschaft und nicht in der Lage, selbst die Konjunktur entscheidend zu beeinflussen. Wichtig wäre, dass die Exportwirtschaft wettbewerbsfähig bleibt. In der Vergangenheit hat sich Österreich gut geschlagen, aber in den letzten Jahren ist der Reformeifer erlahmt. Die Wettbewerbsindikatoren geben ein bissl Anlass zur Sorge. Die können sich schleichend verschlechtern. Wenn dann das Fass überläuft, ist es schwierig, diese Entwicklung umzukehren. Frankreich ist ein Beispiel dafür.
Österreich verliert aber schon jetzt bei der Wettbewerbsfähigkeit in internationalen Rankings sukzessive.
Vor 10, 15 Jahren war Österreich für Deutschland ein Vorbild, davon ist keine Rede mehr. Jetzt sehen uns die Deutschen als die gemütlichen Ösis auf ihrer Insel der Seligen. Dieser Eindruck kann gefährlich werden. Man muss aufpassen, dass Österreich Schritt hält. Reformen müssen durchgezogen werden. Da scheint man aber in Österreich auf das Prinzip des Dahinwurschtelns zu setzen. Nach dem Motto „Wenn es brennt, ist es früh genug zu handeln“. Diese Nachlässigkeit rächt sich, jahrelange Sünden kann man nicht kurzfristig korrigieren.
Die Sozialpartnerschaft hat lange Zeit funktioniert, die gemeinsamen Ziele wurden vor das eigene Interesse gestellt. Das schwindet seit den 90er-Jahren, jeder schaut verstärkt auf den eigenen Vorteil. Das führt zu einer gegenseitigen Blockade. Und kommt es zu einer Einigung, dann meistens zu Lasten des Steuerzahlers. Da fehlt in mancher Hinsicht die Staatsverantwortung.
Haben Sie konkrete Beispiele?
Im Gesundheitssystem oder bei den Pensionen kann man nicht so weitermachen. Die Lebenserwartung ist seit 1970 um fünf Jahre gestiegen, das effektive Pensionsantrittsalter um drei Jahre gesunken. Jetzt feiert der Sozialminister eine Erhöhung des Antrittsalters um drei Monate seit 2010. Das sind verschiedene Dimensionen, in denen man sich da bewegt.
Wie ernst ist die Lage?
Es ist nicht mehr fünf vor zwölf, sondern schon Punkt zwölf. Denn wenn man in den nächsten Jahren die Generation der Babyboomer frühpensioniert, dann gibt es einen Crash. Eine Umstellung auf ein Beitragskonto (dabei errechnet sich die Pension aus der angehäuften Summe dividiert durch die durchschnittliche Rest-Lebenserwartung. Der Pensionsantritt bleibt jedem selbst überlassen, Anm.) würde helfen, auch den Frauen. Denn einerseits drängt man die Frauen in eine möglichst lange Karenz, andererseits mit 60 in den Ruhestand. Das verringert die Erwerbs- und Karrierechancen. Die Anhebung des Pensionsalters für Frauen sollte aber auf alle Fälle vorgezogen werden.
Zur Standortpolitik zählen auch Steuern. Was ist in diesem Zusammenhang von Steuererhöhungen zu halten?
Es sind sich alle einig, den Faktor Arbeit zu entlasten. Natürlich schwingt der Verdacht mit, dass dabei weniger die Steuerstruktur verändert wird als neue Einnahmequellen erschlossen werden. Gerade beim Thema Vermögen ist der Zugang seltsam. Ich halte Vermögen als eine Grundlage einer Volkswirtschaft, die Wohlstand und Wachstum will. Ich sehe aber in Österreich oft das Motto „Vermögende sollen verschwinden, die schaffen nur Stress“. Zudem besteht eine gewisse Illusion, was die Einnahmemöglichkeiten betrifft. Manche glauben, diese Quelle sprudelt unendlich.
Aber wie kann dann in Zeiten leerer Staatskassen Geld aufgetrieben werden?
Es wird oft vermittelt, wir müssen den Gürtel enger schnallen. In Wahrheit leben wir unter unseren Verhältnissen, weil wir machen aus unseren Möglichkeiten viel zu wenig, das Gesundheitssystem ist ein leuchtendes Beispiel. Hier müsste die Effizienz erhöht werden, ebenso bei der Baustelle Bildung und dem Dauerbrenner Verwaltungsreform. Da gehört ein gewisser Mut dazu. Dann könnten wir die Abgabenquote auf das deutsche Niveau von 40 Prozent bringen.
Wie sollte die nächste Regierung an Probleme herangehen?
Ergebnisorientierung anstelle von Aktionismus wäre wichtig. Das letzte Regierungsprogramm hat 290 Seiten gehabt, wo alle möglichen Maßnahmen drin stehen, aber die konkreten Ziele sind nicht zu erahnen. Das führt zum Teil dazu, dass sich Maßnahmen neutralisieren. Zum Beispiel will man Ökologisierung vorantrieben, zugleich wird die Pendlerpauschale erhöht. Oder man will mehr Chancen für die Frauen am Arbeitsmarkt, gleichzeitig werden Familienförderungen vergeben, die dazu führen, dass die Frauen möglichst lange vom Arbeitsmarkt wegbleiben. Es wird sehr viel getan, aber ohne schlüssiges Konzept.
Wie sollte die Wirtschaftspolitik in der nächsten Legislaturperiode aussehen?
Es müsste europäisch gedacht werden. Wenn kleine Staaten nicht aktiv sind, können sie unter die Räder kommen. Besser wäre es, Allianzen zu bilden und dabei eigene Interessen einzubringen. Der Zwergenstaat Luxemburg etwa ist ganz groß auf der europäischen Ebene unterwegs. Derzeit habe ich nicht den Eindruck, dass von Österreich in irgendeiner Art der Anspruch erhoben wird, auf europäischer Ebene aktiv zu sein. Man schwimmt mit.
Zur Person: Ulrich Schuh
Der gebürtige Niederösterreicher (Jahrgang 1969) ist seit Ende 2011 Leiter des Wirtschaftsforschungsinstituts EcoAustria. Davor war er zwölf Jahre lang am Institut für Höhere Studien, zuletzt als Abteilungsleiter. Seine Karriere begann der verheiratete Volkswirt 1992 im Finanzministerium als Referent für Wirtschaftspolitik.
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