Ökonom Bofinger: "EU-Politik hat versagt"

Ökonom Bofinger: "EU-Politik hat versagt"
Der bekannte Ökonom Peter Bofinger übt scharfe Kritik an der bisherigen EU-Politik zur Eindämmung der Eurokrise. Er fordert den Ankauf von Staatsanleihen verschuldeter Staaten durch die EZB.

Der deutsche Wirtschaftsweise Peter Bofinger warnt die Regierungen der Euro-Staaten vor überzogenem Sparen. Dies führe „die Krisenländer nur noch tiefer in eine Rezession“.

KURIER: Herr Professor, Sie und andere bekannte Ökonomen sagen, Europa steuere schlafwandelnd auf eine Katastrophe von unabsehbaren Ausmaßen zu. Wie schlimm steht es um die EU?
Peter Bofinger: Wir sehen, dass sich die wirtschaftliche Lage in der Eurozone verschlechtert, jetzt auch in Deutschland. Trotz der Rezession in den Problemländern sind weitere massive Sparmaßnahmen geplant. Mit so einer Politik verschlechtert sich die Lage zusätzlich. Realwirtschaftlich ist das eine ausgeprägte konjunkturelle Abwärtsbewegung.

Mit welchen Folgen?
Wenn sich die Wirtschaft verschlechtert, verschlechtert sich auch die Lage der Banken, die ohnedies in einer schwachen Verfassung sind. In vielen Staaten kann der Staat nicht mehr – wie 2008 – für Banken eintreten. Die Banken-Problematik schlägt auf die Staatsfinanzen über, die mit sehr hohen Zinsen konfrontiert sind. Diese hohen Zinsen untergraben die Sparbemühungen der Staaten, wie im Falle Italiens, das jetzt ordentliche Resultate in der Haushaltspolitik aufweisen kann. Die hohen Zinsen machen die Staatsschulden-Problematik noch schlimmer.

Was ist dagegen zu tun?
Die Europäische Zentralbank wird aktiv und kauft in großem Stil Staatsanleihen von Spanien und Italien auf. Da scheint sich jetzt auch etwas zu entwickeln. Das machen auch die amerikanische, die britische, die japanische Notenbank, das ist keine unübliche Maßnahme. Selbst die Deutsche Bundesbank hat in den 1970er-Jahren im großen Stil deutsche Anleihen gekauft, um die langfristigen Zinsen zu senken. Jetzt wird es so dargestellt, als wäre dies gegen die alte Bundesbank-Tradition.

Deutschland war bisher dagegen, dass die EZB Staatsanleihen kauft?
Die EZB ist keine deutsche Einrichtung, sie ist unabhängig und muss das tun, was für den Euroraum richtig ist.

Man sagt, ohne Deutschland geht nichts in der EU. Geht aber mit Deutschland nicht die EU zugrunde?
So würde ich es nicht sagen. Wir brauchen die Maßnahmen der EZB, dann müssen die EU-Staaten dringend überlegen, ob man die Sparpolitik in diesem Umfang in Ländern wie Spanien durchsetzt. In Anbetracht der Rezession sollte man die zusätzlichen Sparmaßnahmen so lange aussetzen, bis die Wirtschaft wieder an Boden gewinnt. Wir wissen aus der deutschen Geschichte, dass Sparpolitik in der Rezession zu katastrophalen Ergebnissen führt. Und wir wissen, zu welchen katastrophalen Entwicklungen das geführt hat.

Entwickelt sich Spanien zum zweiten Griechenland?
Man muss sehr darauf achten, dass Spanien in einem Jahr nicht eine ähnliche Entwicklung hat wie Griechenland. Die Erfahrung Griechenlands hat gezeigt, wie beachtlich das Abwärts­potenzial ist. Griechenland hat die stärksten Sparanstrengungen von allen Ländern, es hat große Sparerfolge vorzuweisen, dennoch hat es den größten Konjunktureinbruch.

Ist Griechenland in einem Jahr noch in der Eurozone?
Ja, es erfordert aber von Griechenland und den EU-Partnern, dass sie aufeinander zugehen. Griechenlands Euro-Austritt wäre für den Rest der Eurozone noch katastrophaler als für Griechenland selbst.

Das wäre das Ende des Euro und der Währungsunion?
Wenn Griechenland ausscheidet, würde es eine erhebliche Kraftanstrengung brauchen, das System zusammenzuhalten. Es ist nicht so, dass die Märkte Griechenland schon eingepreist haben. Es gibt jetzt aber eine massive Kapitalflucht aus Spanien und Italien. Private Anleger verhalten sich so, als ob sie sich schon auf den Austritt Spaniens und Italiens vorbereiten.

Was kann die EU gegen die Macht der Rating-Agenturen machen?
Die Rating-Agenturen sind vielleicht nur zu fünf Prozent – und nicht mehr – an den Fehlentwicklungen in der EU schuld. Der Großteil der Probleme liegt in einer falschen politischen Strategie zur Lösung der Schuldenkrise. Die Rating-Agenturen waren in dieser Krise mehr Überbringer schlechter Nachrichten als Unruhestifter.

Was ist die „falsche politische Strategie“ der EU zur Lösung der Schuldenkrise?
Dass man gerade die aktuellen Brandherde gelöscht hat, ohne sich Gedanken zu machen, wie man in diesem System präventiv dafür sorgen kann, einen Flächenbrand zu vermeiden. Man hätte sich vor zwei Jahren überlegen können, wie man die EU und die Währungsunion so weiterentwickelt, dass sie mit dem Problem Spanien und Italien zurechtkommt. Es war völlig klar, dass die Krise auch diese beiden Länder erreicht.

Die EU-Politiker haben also versagt?
Ja. Es war immer too little, too late. Vor zwei Jahren hätten sich Europas Politiker Gedanken machen müssen, wie man die europäische Integration voranbringt und auch die Haushaltspolitik von Ländern strikt kontrolliert. Auf der anderen Seite gilt es zu verhindern, dass Bemühungen der Problemstaaten um solide Haushalte von übernervösen Finanzmärkten unterlaufen werden. Das sind die beiden Dimensionen, die man braucht.

Soll die „No Bail out“-Klausel, das Verbot der EU und ihrer Mitgliedstaaten, die Schulden eines Landes zu übernehmen, fallen?
Es ist ganz klar, dass es ohne die Bereitschaft nicht geht, Ländern, die von Finanzmärkten attackiert werden, unter die Arme zu greifen. Die Währungsunion wäre sonst nicht funktionsfähig. Wer die strikte Bail-out-Klausel will, der fordert implizit das Ende der Währungsunion.

Deutschlands Regierung ist gegen Eurobonds. Erwarten Sie einen Rückzieher von Bundeskanzlerin Merkel?
Wenn man konsequent gegen Eurobonds ist, gibt es nur zwei Lösungen: Entweder die Währungsunion fällt auseinander – oder die EZB muss unbegrenzt Anleihen kaufen, das sind Eurobonds durch die Hintertüre. Man muss sich dann schon fragen, was man will.

Kommt der Schuldentilgungsfonds?
Wäre Deutschland dafür, wäre dies kein Problem. Wenn man die Währungsunion erhalten will, muss man sich konstruktiv mit dem Vorschlag befassen und nicht mit einem strikten Nein. Dann muss man in Kauf nehmen, dass die EZB die gemeinsame Haftung ohne alle Sicherheitsmechanismen, die der Sachverständigenrat vorgeschlagen hat, übernimmt.

Zur Person: Peter Bofinger
Wirtschaftsweiser Peter Bofinger (geboren am 18. September 1954 in Pforzheim) ist ein deutscher Ökonom und Professor für Volkswirtschaftslehre an der Universität Würzburg. Seit März 2004 ist er auf satzungsgemäße Empfehlung der Gewerkschaft Mitglied im Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung. In Deutschland nennt man diesen Sachverständigenrat auch die fünf Wirtschaftsweisen. Bofinger gilt als einer der führenden Vertreter der nachfrageorientierten Wirtschaftspolitik in Deutschland. Zuletzt wurde er in Fragen zur Euro-Schuldenkrise hoch aktiv und viel zitiert.
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Der umstrittene Schuldentilgungsfonds

Vorgeschlagen wurde der Schuldentilgungsfonds im November 2011 vom Sachverständigenrat der deutschen Bundesregierung, den "Wirtschaftsweisen". Scharf abgelehnt wird diese Idee unter anderem von der Deutschen Bundesbank.

Nach dem Modell sollen Schulden, die die 60-Prozent-Maastrichtgrenze übersteigen, in einen EU-Tilgungsfonds mit gemeinschaftlicher Haftung ausgelagert werden. Gleichzeitig würde für jedes Land ein strikter Konsolidierungspfad festgelegt, bei dem die ausgelagerten Schulden eigenverantwortlich in einem Zeitraum von 20 bis 25 Jahren getilgt werden. Die allein bei den teilnehmenden Ländern verbleibenden Schulden würden zusätzlich durch nationale Schuldenbremsen begrenzt.

Kontrolle

Die Bundesbank lehnt eine gemeinsame Haftung dezidiert ab. Trotz der geforderten Schuldenbremsen befürchten die Bundesbanker, dass damit "Haftung und Kontrolle erheblich aus der Balance geraten" würden. Auch Kanzlerin Angela Merkel sieht das von Peter Bofinger favorisierte Modell skeptisch, da es eine Reihe verfassungsrechtlicher Fragen aufwerfe. Gutachten bekannter Juristen sagen allerdings, der Schuldentilgungsfonds stehe mit dem Grundgesetz im Einklang.

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