Notenbanker: "US-Banken sind wie Atomkraftwerke"

Neel Kashkari bei einem Interview am 17. Februar 2016.
2008 hat Neel Kashkari die US-Großbanken gerettet. 2016 will er sie zerschlagen.

Im Auge des Orkans soll es fast windstill sein. Dort, im Auge des Finanz-Orkans, stand Neel Kashkari im Herbst 2008.

Wir schreiben den 18. September 2008: Das Investmenthaus Lehman Brothers hat der Wirbelsturm wenige Tage zuvor in den Abgrund gerissen, der Versicherungsgigant AIG steht kurz vor dem Kollaps.

Zwei Glatzköpfe im Krisenteam

Jetzt geht es ums Ganze: An diesem Donnerstag, 9.30 Uhr, ist eine Telefonschaltung angesetzt. Das US-Finanzministerium (Treasury), die US-Notenbank (Federal Reserve Board) und die Bankenaufsicht (SEC) beraten, wie sie den völligen Zusammenbruch der US-Finanzindustrie abwenden können.

Ein Foto zeigt US-Finanzminister Henry "Hank" Paulson sitzend und gestikulierend. Rund um seinen Schreibtisch hat sein engstes Krisenteam Aufstellung genommen. Genau in der Mitte steht ein 35-Jähriger. Helles Hemd, Krawatte, aber kein Sakko. Die Arme verschränkt, den Kopf glatt rasiert wie sein Chef: Neel Kashkari. Wenn jemand wissen sollte, was jetzt zu tun ist, dann er.

"Im Notfall einschlagen"

Im Frühjahr davor hat Kashkari einen Krisenplan für taumelnde Banken konzipiert. Das Papier trug den launigen Titel "Breaking the Glass". Das heißt soviel wie: "Im Notfall bitte einschlagen" - der Spruch, der sich auf dem Feueralarm findet. Jetzt dient das Konzept als Blaupause für den Bankenrettungsplan. Später wird dieser den Namen TARP, für "Troubled Asset Relief Program", erhalten. Buchstäblich ein Programm, dass die Banken um Problempapiere erleichtern soll.

Quintessenz: Der Finanzsektor ist am Ende seiner Möglichkeiten, der Staat muss retten, was noch zu retten ist. Was das heißt? Hunderte Milliarden Dollar aus der Staatskasse, um den Banken faule Papiere abzukaufen. Staatliche Garantien für toxische Wertpapiere. Und, als letzter Schritt, Teilverstaatlichung der Banken, um deren Kapital aufzubessern. All das findet sich bereits im Papier, das Neel Kashkari gemeinsam mit Phill Swagel, einem Kollegen im Finanzministerium, verfasst hat.

Der Bankenretter

Was befähigt den 35-Jährigen mit dem stechenden Blick zu so einer verantwortungsvollen Aufgabe? "Ich muss dir etwas auftragen, wofür du nicht qualifiziert bist", gibt ihm sein Chef, Finanzminister Hank Paulson, einmal feixend mit auf dem Weg. "Aber einen anderen hab ich nicht." Kashkari fasst es als Kompliment auf. Womit er wohl richtig liegt.

Der Sohn indischer Einwanderer hat eine Blitzkarriere hinter sich. Wie so viele heuert auch er nach dem Studium bei Goldman Sachs an, lernte dort Goldman-Chef Hank Paulson kennen. Der nimmt ihn mit ins Treasury, als er von Präsident George W. Bush als Finanzminister nominiert wird. Kashkari wird kurzfristig zum Zuständigen für die Finanzmarktsicherheit ernannt.

Sieben Jahre später

Sprung in das Jahr 2016: Seit 1. Jänner ist Neel Kashkari Präsident und Vorstandschef der Federal Reserve Bank of Minneapolis. Das ist eine von zwölf regionalen Notenbanken, die zum amerikanischen Zentralbank-System gehören. Sie nehmen unterschiedliche Aufgaben wahr. Die Fed in Minneapolis hat lange Tradition in der Bankenaufsicht und Regulierung.

Am 16. Februar 2016 steht Kashkari am Vortragspult von Brookings in Washington. Die Institution wurde erst kürzlich auf Platz drei der einflussreichsten Denkfabriken weltweit gewählt. "Lehren aus der Krise: Nie wieder zu groß, um zu scheitern" steht auf seinen Redeunterlagen. Im Publikum sitzen namhafte US-Finanzpolitiker, unter anderem Ben Bernanke, der US-Notenbankchef während der Finanzkrise war. Kashkari stellt klar, dass er seine eigenen Ansichten referiert und nicht die Meinung der Notenbank. Doch diese Ansichten haben es in sich.

Link zum Video der Brookings-Debatte

Link zu Kashkaris Redetext

Zu viel reguliert? Zu wenig?

Notenbanker: "US-Banken sind wie Atomkraftwerke"
Dazu muss man die Vorgeschichte kennen. Seit der Finanzkrise hat sich die Bankenlandschaft verändert. Das TARP-Programm war ein unerwarteter Erfolg, der Staat stieg am Ende (nach dem Verkauf der Anteile) sogar mit Gewinnen aus. Das war aber nur die akute Rettungsaktion. Um künftigen Krisen vorzubeugen, winkt der Kongress nach langwierigen Verhandlungen ein umfangreiches Regulierungspaket durch, den sogenannten Dodd-Frank-Act.

Ein Moloch von Gesetzestexten, alles mit dem Ziel, die Banken sicherer zu machen. Sie müssen weit mehr Kapital halten. Sie müssen ausreichend Barreserven halten. Sie müssen Stresstests aushalten. Sie müssen "Testamente" entwerfen, wie sie im Pleitefall abgewickelt werden, ohne den Steuerzahler zu belasten.

In Europa laufen schon Debatten, ob man den Banken nicht die Luft zum Atmen nimmt und sie gerade durch ein Zuviel an Regulierung und Bürokratie umbringt.

"Immer noch zu groß"

Und jetzt das: "Ich glaube, der (Dodd-Frank) Act geht nicht weit genug", sagt Kashkari bei Brookings. "Ich glaube, die größten Banken sind immer noch zu groß, um sie untergehen zu lassen. Sie stellen weiterhin ein signifikantes, dauerhaftes Risiko für unsere Wirtschaft dar." Speziell in einer Schwächephase drohten immer noch Domino-Effekte, die die gesamte US-Wirtschaft gefährden könnten, sagt Kashkari: "Was ich 2008 gelernt habe ist: Wir werden die nächste Krise nicht kommen sehen. Und sie wird anders aussehen, als wir erwarten."

So hätte er zwar 2006 Pleiteszenarien für einzelne Großbanken oder Hedgefonds durchgerechnet. Eine landesweite Immobilienkrise hatte das US-Finanzministerium nicht auf der Rechnung.

Gefährlich wie Kernreaktor

Seine Vorschläge sind radikal: "Man könnte als Vergleich einen Atomreaktor heranziehen. Die Kosten einer Kernschmelze für die Gesellschaft sind astronomisch. Die Regierung wird deshalb alles unternehmen, um wieder Kontrolle zu gewinnen." Das heiße aber auch: Große Banken sollten so streng und eng kontrolliert werden wie Kraftwerke.

Schock für Finanzlobby

Und: Große Banken müssten in kleinere, weniger eng vernetzte Institute zerschlagen werden, regt Kashkari an. Und nimmt den Gegenargumenten der Finanzlobby gleich den Wind aus den Segeln. Global agierende Multis brauchen globale Banken, heißt es. "Diese Konzerne kommen mit zig tausenden Zulieferern klar, aber nicht mit einigen weiteren Bankverbindungen?", so die rhetorische Frage des Notenbankers. Große Banken sind effizienter? "Ja, aber das wiegt nicht die massiven Schäden im Pleitefalle auf." Für die US-Banken wäre das ein Wettbewerbsnachteil? "Wenn andere Länder das extreme Risiko eingehen wollen, sollen sie. Die USA sollten selbst bestimmen, was gut für die Wirtschaft ist."

Beifall von Sanders

Ein Bankenretter, Republikaner, Goldman-Sachs-Alumni obendrein, der sich so radikal mit der Finanzlobby anlegt: Das sorgte im laufenden Präsidentschaftswahlkampf für hohe Wellen. Der weit links stehende demokratische Kandidat Bernie Sanders spendete prompt Beifall.

Die Finanzindustrie reagiert nervös. Jetzt sollten erst die Folgen der neuen Kapitalvorschriften analysiert werden, bevor die Regulierer daran gingen, "diese mit neuen Aktionen zu ersetzen, die amerikanische Banken global benachteiligen und andere unerwartete Nebeneffekte hätten", forderte Tim Pawlenty, Präsident des Branchenforums Financial Services Roundtable.

Kashkaris Anregungen, letztlich nur eine Privatmeinung? Allzu sicher sollte sich die US-Bankenlobby da nicht sein. Die Fed von Minneapolis werde eine Initiative starten, um das Problem der systemrelevanten Banken zu lösen. Bis Ende des Jahres soll dem Kongress ein Vorschlag vorliegen.

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