Niederlande: Steuerentlastung aus der Porto-Kasse

Leben auf großem Fuß: So haben die Niederländer ihr AAA zurückerobert.
Wie man die Kaufkraft um fünf Milliarden Euro stärkt – ganz ohne schädliche Registrierkassen-Debatte.

Was für eine Schmach: Die Niederlande, WM-Dritter von Brasilien 2014, verpassen die Fußball-Europameisterschaft in Frankreich. Während Österreich sich als Gruppensieger locker qualifizierte, spielten die "Oranjes" eine Runde, als wären sie in Holzschuhen angetreten.

Wirtschaftlich ist den Niederländern dafür etwas geglückt, wovon Österreich derzeit nur träumen kann: Sie haben Ende November von der Ratingagentur Standard&Poor’s die Spitzennote der Kreditwürdigkeit (AAA) zurückerhalten. Nach nur zwei Jahren. Die Erholung falle stärker aus als erwartet, erklärten die Analysten – mit realen Wachstumsraten der Wirtschaftsleistung (BIP) von gut zwei Prozent für heuer und die nächsten Jahre. Österreich wird hingegen wohl noch länger warten müssen, bis es sein 2012 verlorenes Triple-A zurückerhält.

Bessere Stimmung

Wie haben die Niederlande das geschafft? Einen einzelnen Grund gibt es nicht, dafür ein ganzes Bündel. Die Wirtschaft ist noch stärker als die österreichische von Exporten abhängig – ganze acht von zehn Euros hängen davon ab. Ein großer Teil entfällt auf Güter, die durchgereicht werden und wo nicht viel Wertschöpfung im Land bleibt: Die Niederlande sind mit Traditionshäfen wie Rotterdam seit jeher eine riesige Handelsdrehscheibe.

In der Krise geht es dadurch besonders rasch bergab, in der Erholung aber flott bergauf. Jetzt helfen externe Umstände wie der schwache Eurokurs, das billige Öl und das niedrige Zinsniveau mit, die Exporte zu befeuern.

Den wirklichen Unterschied machen aber der Konsum und die Investitionen aus. Zuletzt stark gestiegene Absatzzahlen für Autos beweisen es: "Die Stimmung ist wesentlich besser als in Österreich", sagt Peter Fuchs, der Wirtschaftsdelegierte in Den Haag, zum KURIER: "Zudem wurde die Kaufkraft der Konsumenten gestärkt."

Finanzieller Spielraum

Grund ist eine Entlastung von Steuern und Sozialabgaben in Höhe von fünf Milliarden Euro, von der vor allem die Niedrigverdiener profitieren. So weit gilt das auch noch für Österreich. Während hierzulande aber vor allem über negative Nebeneffekte wie die Registrierkassen diskutiert wurde, war die Finanzierung in den Niederlanden kaum ein Thema.

Wie wird das Paket dann gestemmt? Die KURIER-Frage löst bei Dick Morks, Ökonom beim Forschungsinstitut CPB, spontanes Lachen aus. Konkrete Maßnahmen sind nämlich gar nicht so leicht auszumachen. "Es gab Spielraum, der genützt wurde", lautet die Antwort. Sprich: Die Niederlande werden ihr Budgetdefizit zwar verbessern und ihre Schulden abbauen, aber weniger rasch als geplant. So bleibt Platz für fünf Milliarden Euro Steuerentlastung und die Hoffnung, dass die gute Konjunktur mehr Einnahmen reintröpfeln lässt.

Warum hat das Österreich nicht auch so gemacht? Weil die Niederlande in viel besserer Ausgangslage waren: Die Staatsschulden liegen mit 65,4 Prozent des BIP (2016) um 20 Prozentpunkte niedriger, Tendenz fallend. Die Arbeitslosenrate liegt mit 6,7 Prozent zwar höher als in Österreich, sie sinkt aber seit 2014 kontinuierlich.

Private Schulden

Allerdings bleiben einige große Fragezeichen; allen voran die höchste Verschuldung der privaten Haushalte im Euroraum. Laut OECD machte diese 2014 ganze 274 Prozent (!) des verfügbaren Einkommens aus – in Österreich waren es 89 Prozent. Der Grund: In den Niederlanden war es üblich, dass Hauskäufer ihr Eigenheim zur Gänze über Kredite finanzieren – und diese Kosten sogar noch von den Einkommen steuerlich absetzen. Das ist immer noch möglich, wird aber schleichend reduziert, erläutert Morks. Die Immobilienpreise, die in der Krise um fast 30 Prozent eingebrochen waren, haben sich jetzt zwar stabilisiert. Sie steigen aber nur in Großstädten wie Amsterdam, Den Haag und Utricht.

Ein weiterer Unsicherheitsfaktor ist die Gasförderung in Europas größtem Feld Groningen, die wegen Erdbebengefahr stark gedrosselt werden muss – im Budget ist das freilich berücksichtigt. Und: Bittere Handelspleiten (siehen unten) werden auch in den Niederlanden Tausende Jobs kosten.

Pleitewelle rollt über die Niederlande

15.000 betroffene Beschäftigte allein in den letzten Wochen: Der niederländische Handel wird dramatisch durchgeschüttelt – just in dem Moment, wo es mit der Wirtschaft wieder bergauf geht. Die 1887 gegründete Warenhauskette V&D (Vroom & Dreesmann) mit 62 riesigen Häusern und 10.000 Angestellten meldete vor wenigen Tagen Insolvenz an. Die Geschäfte haben offen, werden es aber sehr schwer haben, sagt Frank Quix, Chef der Beratungsfirma Q&A, zum KURIER. Die Pleite trifft auch viele Shop-in-Shop-Betreiber.
Der börsenotierte Schuhhändler Macintosh Retail Group – gesamt 10.000 Beschäftigte und 982 Shops – meldete am 29. Dezember Insolvenz für große Teile seines Geschäftes an, was 4000 Mitarbeiter treffen könnte. Die Drogeriekette DA steht unter Gläubigerschutz. Schon früher strengte die Eletronikkette Buzzhub ein Sanierungsverfahren anstrengen, die Hälfte der 1200 Jobs wackelt.

Experte Quix sieht drei Gründe: Die fünf Jahre lang miserable Wirtschaftslage trifft den Handel mit Verspätung. Abseits der großen Metropolen schrumpft die Einwohnerzahl. Und der Boom des eCommerce ist ungebrochen. „Die Umsätze pro Quadratmeter gehen außer bei Lebensmitteln seit 1996 zurück“, erklärt Quix. Dennoch seien größere Geschäfte und neue Einkaufszentren aufgesperrt worden – teils nur, um Fußballstadien zu finanzieren. Erst in den letzten Jahren sinkt die Filialzahl. „Für die Betroffenen ist das extrem schmerzhaft“, sagt Quix. Zu stoppen sei der Trend kaum: Er geht von immer noch 30 Prozent Überkapazität aus.

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