Neues EU-Gesetz: Unternehmen sollen für Zwangsarbeit haften

Auch Zulieferer-Firmen müssen künftig Menschenrechtliche- und Umweltstandards erfüllen. Dafür haftet das europäische Unternehmen
Das günstige Paar Socken vom Discounter hat in Wahrheit einen hohen Preis: Denn die bengalischen Färber in Kalkutta haben möglicherweise die hochgiftige Lauge, in die der Stoff getaucht wurde, ungefiltert in den Fluss gekippt. Oder die Kakaobohnen für den Schokoriegel wurden von Kinderhänden geerntet. Rechtlich gesehen sind Supermarkthändler oder Produzenten hierzulande nicht dafür verantwortlich, wenn ihre Zulieferer Menschenrechte verletzen oder Umweltschäden anrichten.
Das soll sich nun ändern, wenn es nach dem neuesten Gesetzesvorschlag der EU-Kommission in Brüssel geht. Am Mittwoch legte die Behörde eine Richtlinie vor, die in der Wirtschaft und der Industrie schon vorab für große Aufregung sorgte.
Was bedeutet das Gesetz für den Konsumenten?
Ob Mobiltelefon oder T-Shirt, ob Fußball oder Sofa: Welche Produkte Verbraucher auch kaufen – sie sollen künftig sicher sein, dass die Ware vom ersten Arbeitsschritt an bis zum Verkauf nach ethischen und umweltrechtlichen Standards hergestellt wurde. Anders gesagt: Kinder und Zwangsarbeiter dürfen an keinem der Produktionsschritte beteiligt gewesen sein. Zudem darf es entlang der gesamten Zuliefererkette nicht zu Umweltschäden kommen. Fazit: Der Konsument soll sein Produkt künftig reinen Gewissens kaufen können.
Wie soll das gelingen?
Für dieses ehrgeizige Ziel werden die Unternehmen in der EU stärker in die Pflicht genommen. Sie müssen alle ihr Zulieferer kontrollieren – und im schlimmsten Fall die Zusammenarbeit mit ihnen einstellen. Das betrifft alle europäischen Unternehmen mit mehr als 500 Beschäftigten, wenn sie einen Netto-Jahresumsatz von mehr als 150 Millionen Euro erzielen.
In Sektoren wie etwa der Textil-, Leder- oder Schuhindustrie bzw. im Bergbaubereich, wo in Afrika, Asien und Südamerika oft Kinder in die Arbeit gezwungen werden, ist die Schwelle noch niedriger: Hier müssen Firmen ab 250 Mitarbeitern alle ihrer Zulieferer genau kontrollieren.
Kritiker bemängeln dabei: Diese Vorgaben lassen zu viele Schlupflöcher. Sie betreffen nämlich 99 Prozent der Betriebe in der EU nicht.
Was, wenn diese Kontrollen versagen und einer von mehreren Zulieferern weiter mit Kinder arbeitet?
Dann haftet dennoch das EU-Unternehmen. Es kann vor nationalen Gerichten geklagt werden – entweder von Opfern oder Personengruppen, Gewerkschaften oder Verbänden.
Für Rainer Trefelik, Obmann der Bundessparte Handel in der Wirtschaftskammer Österreich (WKÖ), ist die Richtlinie undurchführbar: „Dass der einzelne Händler in Österreich immer nachvollziehen können soll, unter welchen Bedingungen jeder Rohstoff gewonnen und jedes Vorprodukt hergestellt worden ist, das dann nach vielen Zwischenstationen irgendwann bei ihm selbst landet, ist in der Praxis eine Illusion.“
Warum legt sich die Industrie quer?
Nicht ein Lieferkettengesetz an sich lehne man ab, sondern den Richtlinienvorschlag in seiner „überschießenden Form“, sagt Gernot Haas, Leiter der Brüssel-Vertretung der Industriellenvereinigung. „Ein Beispiel: Ein Schokoriegel besteht aus 80 Bestandteilen aus vielen verschiedenen Ländern. Anders als für einen Großkonzern ist es für ein mittleres Unternehmen unmöglich, zu wissen, welcher Lieferant in der 5. oder 7. Kette die Menschenrechte bricht.“
Und er kritisiert: „Die Politik neigt dazu, Pflichten auf die Unternehmen abzuwälzen.“ Ob Menschenrechte verletzt würden, das müsse ein Staat kontrollieren.
Ab wann wird das Lieferkettengesetz wirksam?
Das kann noch zwei bis drei Jahre dauern. Zum einen sollen die Unternehmen Zeit erhalten, um sich vorzubereiten. Zum anderen müssen erst EU-Parlament und EU-Regierungen dem Gesetz zustimmen. Besonders vonseiten der Regierungen ist noch heftiger Widerstand zu erwarten. Menschenrechtsorganisationen befürchten schon jetzt, dass dem Vorschlag die Zähne gezogen werden könnten.
Gibt es solche Lieferkettengesetze schon irgendwo?
Frankreich preschte vor, die Niederlande und Großbritannien folgten. In Deutschland tritt ein Lieferkettengesetz im kommenden Jahr in Kraft. Es richtet sich aber nur an Unternehmen mit mehr als 3.000 Mitarbeitern. Mit Hinweis darauf haben einige Betriebe bereits angekündigt, ihre Preise zu erhöhen.

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