Nach dem Kurscrash: Was läuft schief bei Siemens Energy?

Es war der drittgrößte Tagesverlust in der DAX-Geschichte: Am Freitag stürzte der Kurs von Siemens Energy an der Frankfurter Börse um 37 Prozent ab und sorgte für Schockwellen am Parkett. Doch was genau ist wirklich los beim deutschen Energietechnikkonzern, besser gesagt bei seiner "Problemtochter" Siemens Gamesa?
Auslöser für den Crash war nämlich das Eingeständnis weitreichender Qualitätsprobleme bei den Windturbinen von Siemens Gamesa. Bis alle Probleme behoben sind, könnte es Jahre dauern und mehr als eine Milliarde Euro kosten. Im Folgenden eine Übersicht zur Misere bei Siemens Gamesa:
Was macht Siemens Gamesa eigentlich?
Die spanische Siemens Gamesa stellt Turbinen für Windräder her und bietet Dienstleistungen für Windkraft-Projektentwickler. China ist der größte Markt des Unternehmens, gefolgt von Großbritannien und Taiwan. Bis Ende April hat Siemens Gamesa laut Reuters weltweit Windturbinen mit einer Leistung von insgesamt mehr als 132 Gigawatt (GW) installiert - so viel wie rund 130 Atomkraftwerke. Davon entfallen auf Windturbinen an Land (Onshore) 108 GW, auf dem Meer (Offshore) sind es 22 GW. Das Unternehmen erzielte zuletzt einen Jahresumsatz von 9,8 Milliarden Euro und hat Aufträge im Wert von 34,6 Milliarden Euro in den Büchern stehen.
Wer sind die Kunden?
Zuletzt haben die Scottish Power Renewables in Großbritannien 95 Turbinen bestellt. Auch das spanische Unternehmen Repsol bezog 40 Onshore-Windturbinen. Zusammen mit der polnischen PGE Group und dem dänischen Unternehmen Ørsted liefert Siemens Gamesa 107 Windturbinen für das Baltica 2 Offshore-Windprojekt in der Ostsee.

Windturbinen-Bau bei Siemens Gamesa in Cuxhaven
Was ist das Problem mit den Turbinen?
Bisher galt vor allem die 5.X-Plattform als Problem. Siemens-Gamesa-Chef Jochen Eickholt hat sich in einem ersten Schritt vor allem diese Turbinen angesehen. Im Jänner sprach Siemens Energy von höheren Garantie- und Wartungskosten und verbuchte zusätzliche Belastungen von knapp einer halben Milliarde Euro. Doch inzwischen stellte sich heraus, dass auch andere Turbinen mit Qualitätsmängeln kämpfen. Am Freitag sprach Eickholt von Fehlern bei Rotorblättern und Lagern bei älteren Turbinentypen.
Auch uUnregelmäßige Vibrationen bei den Rotoren könnten Anzeichen für Risse und Materialschäden sein. Der Manager schließt nicht aus, dass schon das Design der Komponenten fehlerhaft sein könnte. Rund 15 bis 30 Prozent der 29.000 weltweit installierten Turbinen könnten betroffen sein, schätzt Siemens Gamesa. Das Ausmaß der Probleme sei noch nicht ganz abzusehen, weil die Komponenten zum Teil Lebenszyklen von bis zu 25 Jahren hätten.

Wie will Siemens Games die Probleme lösen?
Das Unternehmen hat mit einer neuen Führungsmannschaft die installierte Flotte auf links gedreht und mit Sensoren und anderer Technik aufwändigen Tests unterzogen. Dabei habe sich gezeigt, dass die Ausfälle zum Teil die gleichen Komponenten betrafen wie früher, zum Teil andere. Jetzt soll ermittelt werden, wie die Turbinen repariert werden können und welche Kosten letztlich anfallen.
Offen ist, welche Rolle Zulieferer spielen und ob sie für Qualitätsmängel zur Rechenschaft gezogen werden können. Genauere Angaben will Siemens Energy nach einer vollständigen Analyse am 7. August dazu machen, wenn die Quartalszahlen vorgelegt werden.

Betrifft das die ganze Windkraftbranche?
Nicht nur Siemens Gamesa hat im Windkraftgeschäft mit Schwierigkeiten zu kämpfen - auch andere Hersteller wie Nordex oder Vestas aus Dänemark sind mit steigenden Rohstoffkosten und einem harten Wettbewerb konfrontiert. Regierungen weltweit setzen sich ehrgeizige Klimaziele, die nur mit einem raschen Ausbau der erneuerbaren Energien, einschließlich Windkraft, zu erfüllen sind. Manche Windpark-Projekte haben sich aber schon wegen Lieferengpässen und steigenden Kosten verzögert.
Wie wirkt sich die Misere auf die Siemens AG aus?
Siemens Energy wurde vor drei Jahren von Siemens abgespalten, die Siemens AG ist aber noch mit 31,9 Prozent am Unternehmen beteiligt, will sich aber von dem Aktienpaket trennen. Eigentlich sollte das binnen 18 Monaten nach dem Börsengang im Herbst 2020 geschehen, doch die Kurskapriolen bei Siemens Energy brachten Siemens in Verzug. Spekuliert wird darüber, ob Siemens die Aktien nach und nach über den Markt verkauft oder doch einen oder mehrere Abnehmer - etwa Pensions- oder Staatsfonds - dafür findet. Durch den jüngsten Kurscrash ist der Anteil um mehr als eine Milliarde Euro weniger wert als noch im März. Das dürfte den Verkauf weiter verzögern.
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