Mitterlehner: "Kultur des Weniger" ist nötig

Mitterlehner: "Kultur des Weniger" ist nötig
Wirtschaftsminister Mitterlehner fordert ein Umdenken und weniger Umverteilungsdebatten.

KURIER: SPÖ und Gewerkschaft setzen auf Gerechtigkeit. Was ist Ihr plakatives Schlagwort?

Reinhold Mitterlehner: Leistung. Das ist genauso positiv und regt zwei Drittel der Bevölkerung an.

Und ein Drittel nicht?

Ein Drittel lebt von Transferleistungen. Wer von der eigenen Arbeit lebt, findet den Begriff attraktiv.

Rund jeder zehnte Wiener bezieht Mindestsicherung. Lebt nicht schon ein zu hoher Teil von Transferleistungen?

Statistisch gesehen ja. Unsere Sozialquote beträgt 34 Prozent. Andere Länder haben weniger, Schweden zum Beispiel hat nur 22 Prozent. Wir müssen zwar nicht Leistungen abbauen, aber deren Effizienz dringend steigern. Auch die Tonalität muss eine andere werden, Beispiel Gewerkschaftskongress: Dort haben die Verantwortlichen noch immer nicht bemerkt, dass wir eine Krise hatten und es nicht darum geht, immer noch mehr desselben zu kriegen. Es geht um eine Systemänderung. Leistungsorientierung und Flexibilität müssten stärker im Vordergrund stehen als Umverteilung.

Die ÖVP sitzt seit Jahrzehnten in der Regierung. Sie hätte das Ruder herumreißen können.

Wir haben seit fünf Jahren aufgrund der Krise komplett geänderte Bedingungen, auf die wir reagieren mussten. Aber einiges ist ja schon angegangen worden. So setzen wir im Pensionssystem auf längeres Arbeiten, begleitet von Rehabilitationsmaßnahmen. Nicht zu vergessen sind zahlreiche Anreize, um unternehmerisch tätig zu sein. Doch bei Überlegungen, wie man Unternehmen wettbewerbsfähiger machen könnte, bei Flexibilisierung, Forschung und Entwicklung, ist die SPÖ im Gleichschritt mit der Gewerkschaft überhaupt nicht gesprächsbereit.

Die SPÖ stellt Arbeitsplätze in ihren Wahlkampf-Fokus.

Ja, aber die sind kein Produkt einer Partei, sondern ein Ergebnis unternehmerischer Leistung. Im Grunde schauen viele zu und wollen vom Transfereinkommen etwas haben, aber nicht selbst etwas tun – das ist ein Problem für unsere Gesellschaft insgesamt. Wir leben die nötige Kultur des „Weniger“ absolut nicht, weil jeder zwar gerne Reformen haben möchte – aber nicht bei sich selbst.

Deshalb ist auch die Vermögenssteuer so beliebt – niemand fühlt sich betroffen.

Stimmt – jeder hat subjektiv den Eindruck, sowieso nicht reich zu sein.

Aber was spricht eigentlich dagegen, Vermögen zu belasten und Einkommen zu entlasten?

Die im internationalen Vergleich sehr hohe Steuer- und Abgabenquote. Diese sollte insgesamt gesenkt werden, auch, indem wir bei der Lohn- und Einkommenssteuer etwas tun. Debatten über neue Steuern werden bei Standortbewertungen hingegen negativ beurteilt. Wobei „eat the rich“ in ganz Europa, sogar in der Schweiz diskutiert wird.

Mitterlehner: "Kultur des Weniger" ist nötig
Der ÖGB will ja im Gegenzug das Einkommen entlasten.

Vom ÖGB sehe ich noch wenig zur Entlastung. Relativ verräterisch finde ich, dass es bei den Vermögenssteuern zuerst nur um eine Million und darüber ging, doch mittlerweile ist man schon bei 150.000 Euro angelangt.

Diese Grenze fordert der ÖGB neuerdings bei der Erbschafts- und Schenkungssteuer.

Ja. Bei einer Vermögenssteuer müsste dann übrigens jeder Bürger seine Vermögensverhältnisse offenlegen – inklusive Nachkontrollen. Wie sonst könnte der Staat den Vermögensstand feststellen? Da ist man auch schnell bei Sachwerten – Haus, Kunstwerke, antiquarische Gegenstände. Wenn man dann noch Unternehmen mit einbezieht, wäre das ein weiterer Standortnachteil.

Die SPÖ schließt Firmenvermögen aber ohnehin aus.

Manchmal sagen sie dazu Ja, manchmal Nein.

Warum werden, um das Verständnis für Unternehmer zu heben, am Lohnzettel nicht auch die Arbeitgeberbeiträge ausgewiesen?

Das ist eine alte Forderung, die relativ kompliziert umsetzbar ist. Aber es wäre einen Versuch wert.

Stört es Sie nicht, dass ganz große Firmen bei der „Steueroptimierung“ viel geschickter sind als kleinere Unternehmen?

Eigentlich nicht, denn Österreich gleicht mit der Gruppenbesteuerung die kleine Landesgröße aus. Firmen, die international agieren, haben eine Motivation, den Stammsitz in Österreich zu behalten. Für Klein- und Mittelbetriebe sollte das Steuersystem aber einfacher und übersichtlicher sein sowie niedrigere Steuern bringen. Eine Steuerreform wird unabdingbar sein, sobald wir sie uns leisten können.

Theoretisch müsste der Staat in Geld schwimmen – dank Höchstbeschäftigung, und kalter Progression, die die Menschen schleichend enteignet.

Wir haben in letzter Zeit doch einige gröbere Probleme gehabt, vor allem, was die Banken betrifft. Außerdem haben wir hohe Systemkosten – insbesondere bei Gesundheit und Pensionen. Wir wenden mehr als 33 Prozent des Bruttonationalprodukts vergangenheitsorientiert auf, also für Schulden, Zinsen, Pensionen. Da haben andere Länder mehr Zukunftsfähigkeit.

Apropos Reform: Müsste man nicht auch die Zwangsmitgliedschaft in den Kammern kippen?

Die Pflichtmitgliedschaft ist kein wettbewerbsverhindernder Faktor. Unterm Strich hat der Standort mehr von der Pflichtmitgliedschaft profitiert, als einzelne Unternehmer Kostennachteile haben.

Mitterlehner: "Kultur des Weniger" ist nötig
Der ehemalige Lehrlingsbeauftragte Egon Blum hat im KURIER vor einer Krise im Lehrlingsbereich gewarnt und mehr Kombi-Lehre (staatlich und betrieblich) gefordert, weil 70.000 Jugendliche weder ausbildungsfähig noch ausbildungsbereit seien. Vor allem in Ballungszentren sei die Lehre diskreditiert.

Ich sehe das nicht so dramatisch wie Herr Blum. Wir müssen aber den Bildungsbereich – siehe PISA-Studien – noch weiter entwickeln. Viele Jugendliche begleiten wir seit Kurzem mit Coaching. Länder wie Frankreich, Griechenland und andere kommen auf Besuch, um unser System zu studieren.

Aber immer mehr Unternehmer klagen über die Qualität der Lehrlinge.

Ich finde die Klagen übertrieben, wenn ich gleichzeitig sehe, wie gut unsere Lehrlinge bei Berufswettbewerben abschneiden.

Beim Thema Compliance wirkt es so, als würde das Pendel mittlerweile zu weit in die andere Richtung ausschlagen. Übertreiben wir und würgen damit vielleicht sogar Geschäfte ab?

Ich habe nicht den Eindruck, dass wir Geschäft abwürgen. Aber beim Sponsoring für Kultur und Sport sind die Regeln – auch von Firmen – tatsächlich mittlerweile so komplex, dass man kaum mehr jemanden für Sponsortätigkeiten gewinnt.

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