ÖGB will Steuer auf Erbe ab 150.000 Euro

Interview mit ÖGB-Präsident Erich Foglar am 06.06.2013 in der ÖGB-Zentrale, 1020 Wien, Johann-Böhm-Platz 1.
Die Forderung könnte für die Sozialdemokraten zum Bumerang werden und den für die SPÖ wichtigen Mittelstand vergrätzen.

Mitunter bedeutet Wahlkampf, aufs Äußerste zu verknappen. Und Hannes Rauch fiel das Zuspitzen selten leichter als in diesen Tagen. „Die ÖVP entlastet, die SPÖ belastet. Wenn es ums Aussackeln der Österreicher geht, zeigen die Genossen Reformeifer“, ätzte der Scharfmacher der Volkspartei am Montag. Der Angriff, der auch die Mindestsicherung zum Thema hatte (Artikel unten), kam nicht von ungefähr: Seit Tagen wird – wieder – über die Frage von Vermögens- und Erbschaftssteuern diskutiert.

Am Dienstag beginnt unter dem Motto „Gerechtigkeit“ der Bundeskongress des Gewerkschaftsbundes (ÖGB). Auch hier ist die Verteilungsgerechtigkeit zentrales Thema, manche Forderung des ÖGB findet sich ganz ähnlich im Forderungskatalog der SPÖ. – Was liegt da für die ÖVP und ihre Vorfeldorganisationen näher, als die „drohende Abzocke“ zu kritisieren?

Freibetragsgrenzen

Da tut es zunächst auch nichts zur Sache, dass die Konzepte von ÖGB und SPÖ im Detail gar nicht deckungsgleich sind. Denn insbesondere, was die Freibetragsgrenzen angeht, ist man uneins: Während die Gewerkschaft Vermögen ab 700.000 und Erbschaften ab einem Erbteil von 150.000 Euro besteuern würde, spricht die Kanzler-Partei ganz konsequent von der „Millionärssteuer“. Soll heißen: Wer weniger als eine Million Euro an frei verfügbarem Vermögen besitzt, vererbt oder geschenkt bekommt, der soll keine zusätzliche Steuer berappen.

Vordergründung ist man in der SPÖ sehr dankbar, dass die Gewerkschaften die Werbetrommel für Maßnahmen wie die Erbschaftssteuer rühren. „Damit“, so erklärt ein SPÖ-Stratege, „bekommen unsere Themen eine breitere Basis. Je mehr gesellschaftliche Gruppen eine Maßnahme unterstützten, desto größer wird der Druck, dass diese auch umgesetzt werden.“

Wichtiger SPÖ-Mittelstand

Tatsächlich könnte die Debatte um die Vermögens- und Erbschaftssteuer für die SPÖ aber noch zum Bumerang werden. Denn insbesondere die ausnehmend niedrige Grenze, die der ÖGB bei der Erbschaftsabgabe vorgibt, droht den für die SPÖ wichtigen Mittelstand zu vergrätzen. „Die vom ÖGB kommunizierten 150.000 Euro als Grenze für den Freibetrag sind aus Sicht der SPÖ reichlich tief gegriffen“, sagt Politikwissenschafter Peter Filzmaier zum KURIER. „Es ist für die SPÖ zwar gut, wenn im Wahlkampf ihre Themen wie Verteilungsgerechtigkeit im Zentrum stehen.“ Allzu rigide Forderungen – und dazu gehöre aus Sicht der SPÖ die 150.000-Euro-Grenze des ÖGB – bergen laut Filzmaier aber die Gefahr, „dass man sich in Details verliert“.

Erweist der ÖGB der SPÖ also einen Bärendienst? In der SPÖ-Zentrale sieht man das nicht so – und reagiert ausnehmend gelassen: „Wer weniger besitzt als eine Million Euro, der soll nicht weiter belastet werden“, sagt ein Sprecher. „Es liegt an uns, diese Botschaft über die Rampe zu bekommen. “

Die ÖVP wettert nicht nur gegen die Vermögenssteuer-Ideen von SPÖ und ÖGB, sie nimmt wahlkampfbedingt auch Mindestsicherungsbezieher bzw. das rot-grüne Wien ins Visier. Am Wochenende hat ÖVP-General Hannes Rauch von einer „explosionsartig“ gestiegenen Zahl an Mindestsicherungsbeziehern gesprochen – und in der Bundeshauptstadt „Politikversagen“ geortet.

Wiens Sozialstadträtin Sonja Wehsely weist im KURIER-Gespräch darauf hin, dass SPÖ und ÖVP die Mindestsicherung einst „gemeinsam“ beschlossen haben. Rauchs Äußerungen reiht sie unter „Klientelpolitik“ ein. Und: Die Volkspartei versuche offenbar, der FPÖ den Wind aus den Segeln zu nehmen. Wehsely betont: „Das Ziel kann doch nicht sein, Armut zu verstärken.“

Wie schauen die Zahlen aus? Und warum gibt es in Wien die meisten Bezieher?

2011 erhielten österreichweit 193.276 Personen eine „Bedarfsorientierte Mindestsicherung(BMS; Zahlen aus 2012 liegen noch nicht vor). Die Kosten beliefen sich auf 439 Millionen Euro.

58 Prozent aller Bezieher stammen aus Wien. Nur knapp zehn Prozent davon erhalten den vollen Betrag (794,91 Euro). „90 Prozent bekommen deutlich weniger. Der Durchschnitt liegt bei 350 Euro pro Monat“, sagt Wehsely. Darunter seien etwa Alleinerzieherinnen, die einen schlecht bezahlten Teilzeitjob haben, oder Arbeitslosengeldbezieher, die weniger als die Mindestsicherung erhalten – und die Differenz ausbezahlt bekommen.

Spezialfall Großstadt

Dass der Bezieherkreis in Wien groß ist, führt Wehsely auf mehrere Faktoren zurück: Die Kluft zwischen ärmeren und reicheren Leuten sei in Städten größer als auf dem Land. Sozial bedürftige Menschen ziehe es eher in die Stadt. Auch die Anonymität auf Ämtern spiele eine Rolle. Dass die Mindestsicherung zu leichtfertig vergeben wird, weist Wehsely zurück: „Ungefähr die Hälfte der Anträge wird abgelehnt.“

Auch im Sozialministerium wird betont, dass streng kontrolliert werde. Seit September 2010 habe es österreichweit fast 28.300 „Sperrmeldungen des AMS“ gegeben. Das heißt: Menschen, die etwa einen Kontrolltermin nicht wahrgenommen oder einen offerierten Job nicht angenommen haben, wurde die Mindestsicherung gestrichen oder gekürzt.

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