Meidling wird zum Pharma-Mekka

Bundeskanzler Christian Kern auf der Boehringer-Baustelle.
Spatenstich für neue Produktionsanlage von Boehringer Ingelheim in Wien: Welchen Einfluss die Politik auf die Standortwahl hatte.

Wien-Meidling wird zum Mekka der Pharmaindustrie. Am Donnerstag setzte Bundeskanzler Christian Kern höchstpersönlich den Spatenstich zur größten Firmeninvestition in Wien seit Errichtung des Opel-Werks in Aspern 1979. Inklusive Infrastrukturmaßnahmen fließen 700 Millionen Euro in die neue, biopharmazeutische Produktionsanlage des Pharmakonzerns Boehringer Ingelheim. Für die Deutschen ist es das größte Investment in der Geschichte des Unternehmens.

Ab 2021 werden in Wien dann auch Arzneimittel mithilfe von Zellkulturen hergestellt. Die bisherige Produktionskapazität wird dadurch verdoppelt. Im Zuge der Erweiterung wird Boehringer rund 500 neue Arbeitsplätze schaffen. „Wir haben schon mit der Rekrutierung begonnen, in den nächsten Jahren werden wir jedes Jahr 170 Leute einstellen“, berichtet Philipp von Lattorff, Generaldirektor von Boehringer Ingelheim Regional Center Vienna (RCV), dem KURIER. Er ist zuversichtlich, die benötigten Qualifikationen auch im Raum Wien zu finden.

Standortwahl

Bei der Standortwahl innerhalb des Konzerns setzte sich Wien gegen Singapur, Dublin und Biberach (Deutschland) durch. „Es war eine strategische Entscheidung, die Produktion nicht auf einen einzigen Standort zu konzentrieren“, erläutert Lattorff. Aber auch die Stadt Wien und der Bund hätten sich sehr engagiert. „Staatssekretär Mahrer ist sogar mit mir in die Zentrale nach Deutschland geflogen und hat den Standort Österreich und Wien vorgestellt, das war schon sehr beeindruckend“, erzählt Lattorff. Die deutschen Politiker hätten sich für Biberach hingegen „nicht sehr bemüht“.

Meidling wird zum Pharma-Mekka
Wenn nichts geschieht, könnte es in drei bis fünf Jahren für den Standort Wien eng werden, meint Boehringer-Chef Philipp von Lattorff.

Eine wichtige Rolle hätten auch die Aufstockung der Forschungsprämie von 10 auf 12 Prozent und die damals gerade erzielte Einigung der Pharmabranche mit dem Hauptverband über den Solidarbeitrag zu den Medikamentenpreisen gespielt. Eine direkte finanzielle Beteiligung des Bundes oder der Stadt Wien gebe es nicht, betont Lattorff, „das stemmen wir alles selbst“. Die Stadt und die ÖBB, die das Areal verkaufte, zeigten sich aber entgegenkommend. Ein Beispiel: Um die Gehwege für die Mitarbeiter zu verkürzen, wird die Schnellbahn-Station Hetzendorf einen eigenen „Boehringer“-Ausgang erhalten. Die Baugenehmigungen gab es innerhalb kurzer Zeit.

Eisbrecher

Lattorff ist überzeugt, dass das Boehringer-Investment auch die Rolle Wiens bzw. Österreichs im Life-Science- und Pharmasektor international aufwertet. Um weitere Investments anzulocken, hält er auch das Engagement der Politik für die Ansiedelung der Europäischen Arzneimittelagentur EMA mit 900 Mitarbeitern für wichtig. Die Zulassungsbehörde für Medikamente muss wegen des Brexits von London weg. 14 Länder buhlen um sie. Die EMA wäre für Österreich „ein unglaubliches Prestigeprojekt, die gesamte Pharmabranche würde sich nach Wien orientieren“, so Lattorff. Die Chance, zumindest auf eine Short-List der Bewerberländer zu kommen, sei hoch.

Für standortschädlich hält der Boehringer-Chef die soeben gesetzlich fixierte Preisobergrenze für Medikamente. Für eine Deckelung gebe es keinen Grund, die Pharmabranche würde ohnehin einen Solidarbeitrag von 125 Mio. Euro bis 2018 leisten und die Krankenkassen erzielten Überschüsse.
Müssten die Preise gesenkt werden, könnten neue Medikamente aus Kostengründen erst verspätet auf den Markt kommen und Patienten müssten länger auf Innovationen warten. Als Beispiel nennt Lattorff Polen, wo wegen der niedrigen Preise seit 1999 kein neues Diabetes-Mittel mehr auf den Markt kam. Wäre der Preisdeckel früher gekommen, hätte Wien die Standortwahl wohl nicht gewonnen, meint Lattorff.

Das RCV erzielte mit verschreibungspflichtigen und rezeptfreien Produkten im Vorjahr einen Umsatz von 770 Millionen Euro (83,5 Millionen Euro davon in Österreich). Es ist für mehr als 30 Länder in Mittel-und Osteuropa sowie in Zentralasien und für Israel zuständig. Die Pharma-Gesamterlöse (inklusive Tiergesundheit) des RCV beliefen sich auf 821,5 Millionen Euro. Die Zahl der Mitarbeiter des Regionalzentrums betrug vergangenes Jahr 3470, davon sind rund 1630 in Österreich.

Headquarter
Das Boehringer Ingelheim Regional Center Vienna (RCV) ist Headquarter für 33 Länder in Mittel- und Osteuropa und Zentralasien. In der Region sind 3400 Mitarbeiter beschäftigt, in Wien-Meidling sind es rund 1600. Im Vorjahr wurde mit Arzneien sowie Tiergesundheit 821,5 Mio. € umgesetzt (+8,1 Prozent)

Forschungsriese
Das RCV ist Zentrum für Krebsforschung und einer von vier Standorten für die Produktion von Biopharmazeutika.
Im Vorjahr gab Boehringer sein Geschäft mit rezeptfreien Arzneien (Thomapyrin etc.) an Sanofi ab, dafür erhielt es die Tierarzneisparte von Sanofi.

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