Hohe Arbeitslosigkeit würde es erschweren, Kampfmaßnahmen wie Streiks umzusetzen. „Der wirtschaftliche Druck ist durch die Covid-19-Pandemie und die damit einhergehende Arbeitslosigkeit gestiegen“, sagt Vana. In den Jahren nach der großen Finanzkrise 2008/’09 habe es eher nur ein moderates Wirtschaftswachstum gegeben, durch die Corona-Krise seien die Bruttoinlandsprodukte der Staaten deutlich zurückgegangen.
Eines müsse jedem klar sein, sagt Vana: „Ohne Gewerkschaft würde der Sozialstaat in Österreich, so wie wir ihn kennen, nicht funktionieren.“ Denn auf sie würden Arbeitslosenunterstützung, Arbeitsmarktvermittlung, Kollektivverträge, der Acht-Stunden-Tag und vieles mehr zurückgehen. Das sei den meisten Menschen in diesem Land nicht richtig bewusst.
Die Frage sei nun, wie weit es der Gewerkschaft gelinge, ihre Rolle für die Gesellschaft in den aktuellen Kollektivvertragsverhandlungen umzusetzen. Oft sei sie nicht gut genug positioniert und verunsichert, wie stark ihre Macht tatsächlich sei. Denn die Unterstützung der Mitglieder sei oft nicht mehr so stark wie früher. Den Bawag-Skandal führt Vana als eine Zäsur an, die viele Mitglieder bzw. Arbeitnehmer von der Gewerkschaft ein Stück weit entfremdet habe. Um wieder mehr Macht zu gewinnen, müsste sie eine stärkere Interessenspolitik machen, ihre Ziele klarer definieren und durchsetzen. Wie bei der 35-Stunden-Woche: Manche Teilgewerkschaften hätten das Thema aufgegriffen, eine große Kampagne dazu gebe es aber nicht.
Brigitte Pellar, Historikerin mit dem Spezialgebiet Gewerkschaft und Interessensvertretung, hebt eine Eigenschaft hervor, die den Österreichischen Gewerkschaftsbund (ÖGB) schon seit jeher auszeichnet: „Der ÖGB ist eine parteiübergreifende Gewerkschaft. Das ist EU-weit einzigartig“, sagt Pellar.
Gröbere Rückschläge für den ÖGB waren unter anderem der Zusammenbruch des Ostblocks. Denn davor spielte die Gewerkschaft eine wichtige Rolle im Wettkampf um das bessere gesellschaftliche und wirtschaftliche System, erzählt Pellar. Ihr kam einst die Aufgabe zu, zu untermauern, dass der Westen sozial und frei und nicht nur sozial war. „In den 80er-Jahren ändert sich dann das gesellschaftspolitische Feeling“, sagt Pellar. Der Individualismus nahm zu und große Organisationen – wie der ÖGB – und der Sozialstaat, wurden zunehmend infrage gestellt.
Eine riskante Haltung, denn: „In Großbritannien ist das durchschnittliche Lohnniveau nach Margaret Thatcher um ein Drittel zurückgegangen“, sagt Pellar. Die ehemalige Premierministerin hat u. a. durch Gesetze die Schaffung überbetrieblicher Kollektivverträge erschwert.
Der Einfluss der Gewerkschaften hat sich laut Pellar heute stabilisiert. Alles andere wäre sogar für die Arbeitgeber gefährlich. Das Bruttoinlandsprodukt (BIP) liegt in Österreich bei plus minus 400 Milliarden Euro, rechnet sie vor. Die Lohnsumme, die durch die KV-Verhandlungen umgesetzt wird, liegt bei 100 Milliarden Euro. Das System könnte „zerstört“ werden, würde diese Summe nicht mehr zur Verfügung stehen.
„Die Gewerkschaft unterliegt wie jeder andere große Verein einem Wandel, das ist eine Frage der Zeit“, sagt Willi Mernyi, Leitender Sekretär des ÖGB. So sei es unter anderem der Globalisierung geschuldet, dass heute neue Formen de Arbeitskämpfe nötig seien, auch habe sich die Sozialpartnerschaft verändert. „Die Zeiten, in denen Verhandlungen hinter den Türen stattgefunden haben, sind vorbei“, sagt Mernyi. Die Leute wollen mehr eingebunden werden, wie derzeit bei den Metaller-Kollektivvertragsverhandlungen.
Eine Fokussierung auf eine Prozentzahl in den KV-Verhandlungen sei zu wenig, es gehe immer mehr um die Lebens- und Freizeitbedingungen der Menschen – und das werden die großen Herausforderungen für die Gewerkschaften sein, wie zum Beispiel die Vier-Tage-Woche.
Die Herausforderung der kommenden zehn Jahre werde es sein, sich auf die sich verändernde Arbeitswelt zu fokussieren und mit anderen Mitteln für die Arbeitnehmer zu kämpfen, meint der Gewerkschafter. Der Interessenskonflikt werde jedoch der gleiche bleiben: „Es gibt einen Kuchen, und manche glauben, dass sie uns nur die Brösel geben müssen. Wir wollen aber ein Stück vom Kuchen“, sagt Mernyi.
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