Leitzins bleibt auf Rekordtief: Gewinner und Verlierer der EZB-Krisenpolitik

Paris, die Stadt der Liebe, war am Mittwoch auch die Stadt der Euro-Geldpolitik. Ausnahmsweise fand das jüngste Treffen der Euro-Notenbanker nicht in Frankfurt, sondern in der französischen Hauptstadt statt.
Keine Abweichung machen die Hüter des Euro allerdings in ihrem Kampf gegen die Krise: Der Leitzins bleibt auf dem Rekordtief von 0,5 Prozent, auf dem er seit dem Frühjahr liegt. Dort wird der Zinssatz – zu dem sich Banken Geld bei der EZB borgen können – noch länger verharren. Vielleicht geht es sogar noch einen Tick tiefer.
„Die Eurozone und der Euro sind heute widerstandsfähiger als vor einigen Jahren“

Tiefe Zinsen bedeuten günstige Kredite. Werden Letztere vermehrt nachgefragt, kann das die Investitionen der Unternehmen und den Privatkonsum und somit die Konjunktur ankurbeln – so die Hoffnung der Notenbanker. Da sich die Eurozone gerade erst mühsam aus der Rezession gekämpft hat, sollen die EZB-Zinsen noch lange im Keller bleiben, um Konjunktur-stimulierend zu wirken. Ökonomen rechnen damit, dass es erst Ende 2014 die ersten Zinsschritte nach oben geben könnte.
Die Geldpolitik im Euroraum wird allerdings nicht von allen Experten bejubelt. Denn neben den Gewinnern dieser Strategie gibt es auch Verlierer.
Gewinner Wer sich verschuldet, kommt so billig zu Geld wie noch nie. Kreditnehmer, ob Unternehmen oder Private, zählen damit zu den Gewinnern. Tiefe Zinsen sind in der Regel gut für die Aktienmärkte. Auch deshalb, weil viele Dividenden deutlich über den Zinsen von Sparbüchern oder sicheren Staatsanleihen liegen.
Verlierer Weiter im Minus werden Anleger sein, die zu simplen Sparbuch-Produkten greifen. Denn Sparzinsen werden, abzüglich der Zinsensteuer, die Inflation nicht abdecken. Das Ersparte verliert weiter an Wert. „Enteignung von Sparern“ nennen das die Ökonomen.
Die Teuerungsraten in der Eurozone gaben zuletzt zwar nach. Gerade bei kleinen Einkommen bleibt die Last der Konsumpreise aber hoch, weil sich Nahrungsmittel empfindlich verteuert haben – nicht zuletzt durch die Auswirkungen der Dürre. Die letztverfügbaren Zahlen aus Österreich dazu: Im August machte die allgemeine Inflationsrate 1,8 Prozent aus. Der von der Statistik Austria berechnete tägliche Einkauf war allerdings um 3,5 Prozent teurer als ein Jahr zuvor. Nahrungsmittel dürften auch im September zu den stärksten Preistreibern gezählt haben.
Auf der Verliererseite finden sich auch Anlage- und Vorsorgeprodukte, in denen wenig Risiko steckt. Klassische Lebensversicherungen etwa haben es angesichts des Zinstiefs zunehmend schwer, spürbare Renditen zu erwirtschaften. Die Lücke zwischen dem Veranlagungsertrag und den hohen Renditezusagen bei alten Verträgen werde zunehmend größer, warnt etwa WIFO-Versicherungsexperte Thomas Url. Er geht davon aus, dass sich die Versicherer neue Produkte überlegen müssen, wenn die Zinsen lange so tief bleiben.
Die Europäische Zentralbank unter ihrem Boss Mario Draghi hat nicht nur die Leitzinsen als Steuerungsinstrument. Zu ihrem Arsenal im Kampf gegen Krisen-Erscheinungen gehört auch die „Dicke Bertha“. Mit dem Namen einer Kanone aus dem Ersten Weltkrieg wurden jene Geldspritzen bezeichnet, die im Sprachgebrauch der Notenbanker weit weniger eindrucksvoll klingen – nämlich LTRO. Ende 2011 und Anfang 2012, in einer der heißen Phase der Euro-Schuldenkrise, konnten sich Euro-Geschäftsbanken erstmals Zentralbankgeld ungewöhnlich lange drei Jahre ausborgen. Rund eine Billion Euro stellte die EZB auf diese Weise zur Verfügung.
Ein Teil dieser Gelder wurde von den Geschäftsbanken in Form von Krediten weiterverliehen. Ein anderer Teil landete allerdings in Form von Bankeinlagen erst wieder bei der EZB. Da diese Einlagen gar nicht verzinst sind, die Ausleihungen aber zum Leitzins von aktuell 0,5 Prozent, ist leicht zu berechnen, dass das kein gutes Geschäft für die Banken ist. Die Banken zahlen daher immer wieder Milliarden zurück, obwohl die drei Jahre Laufzeit noch lange nicht vorbei sind. Von der Billion Euro halten die Banken nur noch gut 200 Milliarden Euro.
Engpässe befürchtet
EZB-Chef Draghi kalkuliert damit, dass es zu Liquiditätsengpässen kommen könnte, wenn die Marke von 200 Milliarden Euro unterschritten wird. Er will notfalls eingreifen. „Wir sind bereit, alle verfügbaren Instrumente zu nutzen – LTRO eingeschlossen“, sagte er am Mittwoch. Positives sieht er auch: „Die Eurozone und der Euro sind heute widerstandsfähiger als vor einigen Jahren.“
Kommentare