Lebensmittelindustrie stößt mit Regionalitätstrend an Grenzen
Auf den ersten Blick schaut es ganz danach aus, als könnten sich die Agrar- und Lebenmittelexporteure zufrieden auf die Schulter klopfen: Im 1. Halbjahr 2020 ist die agrarische Außenhandelsbilanz nahezu ausgeglichen und das kleine Österreich - traditionell Nettoimporteur von Deutschland - hat erstmals mehr Lebensmittel ins Nachbarland geliefert als dort eingekauft. Überhaupt haben die Essens- Getränke-macher erstmals einen Anteil von zehn Prozent an der Gesamtexportquote.
„Das ist aber kein Grund, in Jubelgeschrei auszubrechen“, warnt Michael Blass, Chef der Argrarmarketing Austria (AMA). Letzteres liegt nämlich vor allem daran, dass andere Industriezweige coronabedingt eingebrochen sind – um insgesamt elf Prozent. Blass: „In der Pandemie gibt es keine Gewinner.“
Problemkind Tourismus
Auch die aktuellen Exporterfolge sind auf Dauer nicht in Stein gemeißelt. Schließlich machen gestrichene Messen und Verkostungen das Geschäft nicht unbedingt leichter und am Heimmarkt schauen viele Lieferanten in leere Auftragsbücher, weil Tourismusbetriebe mangels Gästen weniger einkaufen. „Die Einbrüche im Tourismus sowie in der Veranstaltungs- und Eventbranche werden in der Getränke- und Brauereiwirtschaft heuer wohl nicht mehr aufzuholen sein“, sagt Katharina Koßdorff, Geschäftsführerin des Lebensmittelfachverbandes. Die Branche hat trotz der Exporterfolge das Halbjahr gerade einmal mit einer „roten Null“, genauer gesagt einem Minus von 0,2 Prozent, abgeschlossen. Koßdorff: „Das 2. Halbjahr wird im Tourismus und mit den abgesagten Veranstaltungen nicht leichter.“
Marktmacht Handelskette
Michael Blass fürchtet, dass durch die wegfallenden Aufträge aus dem Tourismus die Macht der großen Lebensmitteleinzelhändler noch weiter gestärkt wird. Ob es eine ernsthafte Bekenntnis zu Waren aus heimischer Produktion geben wird oder nur Lippenbekenntnisse, sei nun entscheidend.
Aktuell gehen zwei von drei Lebensmitteln „Made in Austria“ in den Export, im ersten Halbjahr 2020 wurden Waren im Wert von 3,8 Milliarden Euro exportiert. Allen voran in den EU-Binnenmarkt, der 70 Prozent der exportierten Lebensmittel abnimmt. Sorgen bereiten Koßdorff die aktuellen „Renationalisierungstendenzen“ in vielen Ländern. Die Rede ist von Debatten um Herkunftskennzeichnungen, Strafzölle für importierte Waren bis hin zum Streit um den Einsatz diverser Schädlingsbekämpfungsmittel. „Wenn in Österreich ein CO2-Zoll für Rindfleisch aus Mercosur-Ländern gefordert wird, ist das einseitig und nicht bis zum Ende gedacht“, findet auch Josef Domschitz vom Lebensmittelfachverband und erläutert: „Österreich exportiert nämlich zwei Mal mehr Rindfleisch als es importiert.“ Würden auch die Exportmärkte Österreichs solche Strafzölle verhängen, wäre der Aufschrei im Inland groß.
In der aktuellen Regionalitätsdebatte werde oft so getan, als wäre alles, was aus dem Ausland kommt, schlecht, ärgert sich Domschitz. Völlig ausgeblendet werde dabei, dass sich Österreich in vielen Bereichen gar nicht selbst versorgen kann.
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