Die Inflation kommt zurück. Die Politik dürfe Preise nicht wieder durchrauschen lassen, sagt der Chef des Handelskonzerns.
KURIER: Der Handel jammert, die Zeiten sind unsicher, es gibt eine allgemeine Kaufzurückhaltung. Wie sehr spüren Sie das im Lebensmittelhandel?
Marcel Haraszti: Die Menschen schauen aufs Geld. Der Zugriff auf Aktionen ist viel größer. Auch das Preiseinstiegssegment läuft besonders gut. Speziell unsere Eigenmarke Clever wächst zweistellig. Aber auch bei höherpreisigen Bio-Produkten wachsen wir aktuell doppelt so stark wie mit konventioneller Ware. Es gibt eben unterschiedlichste Zielgruppen und keinen Einzeltrend mehr.
Was sagen Sie generell zur Lage im Handel?
Wir sind natürlich in einer anderen Situation als der Non-Food-Bereich. Das sind unsere Nachbarn in den Shopping-Zentren, die dann verschwinden. Was ich sehr bedenklich finde, aber es fehlen die entsprechenden Rahmenbedingungen für den Handel.
Die Inflation kommt zurück, die Energiepreise steigen wieder, weil z. B. die Strompreisbremse wegfällt. Wird auch der Einkauf im Supermarkt wieder teurer?
Vor dem letzten Energiepreisschock habe ich auch politischen Vertretern gesagt, dass man das Problem bei der Wurzel packen muss. Das ist nicht passiert und scheint jetzt wieder nicht zu geschehen. Gerade jetzt die Strompreisbremse zu lösen und einen privaten Haushalt mit 500 Euro pro Jahr mehr zu belasten, versteht kein Mensch. Mein Appell an die Regierung lautet: Bitte nicht den Fehler wiederholen und die Preise durchrauschen lassen. Die Menschen sind schon sehr verunsichert, haben Sorgen wegen der Kriege und der Pleiten und jetzt droht die nächste Lawine an Energiekosten. Das ist wirklich keine frohe Neujahrsbotschaft.
2023 haben sie von einem „Showgipfel“ der Regierung im Kampf gegen die Teuerung gesprochen. Trauen Sie der Konstellation aus ÖVP, SPÖ und Neos mehr zu?
Ich habe eine Äquidistanz zu den Parteien. Aber ich halte es für einen fundamentalen Fehler, wenn man jetzt die Strompreisbremse löst. Jetzt muss wirklich der Konsum stimuliert werden. Runter mit den Lohn- und Lohnnebenkosten. Es muss mehr Netto bleiben. Und Stopp der Bürokratielawine. Das kostet den Unternehmen unglaublich viel Geld und Zeit und nervt einfach nur. Der Fokus muss darauf liegen, das Geschäft, das Wachstum anzukurbeln.
Ihr Lieblingsthema ist der - Zitat - „nostalgische Unfug“ restriktiver Öffnungszeiten. Was brächte eine Ausweitung?
Wirklich viel. Wir haben Selbstbedienungsboxen mit 1.000 bis 1.200 Produkten, wo alles über Kameras und Bankomatkarte völlig problemlos läuft. Da kann uns niemand den Vorwurf machen, dass wir Menschen verpflichten wollen, länger zu arbeiten. Warum soll ich die Boxen aber nur 72 Stunden öffnen dürfen? Das ist absurd. Schauen Sie sich die Automatenshops an! Da geht auch viel mehr. Die Politik kann mir nicht sagen, ob es etwas bringt. Sie soll längere Öffnungszeiten einfach nur zulassen, weil es den Konsum ankurbeln würde. Das war bei der Ausweitung der Öffnungszeiten in den 1990er-Jahren auch so, als man die Geschäfte statt Samstagmittag bis Samstag 18 Uhr öffnen durfte. Das hat Konsum gebracht.
Börse Zungen behaupten, Rewe will nur längere Öffnungszeiten, weil sich der kleine Händler das nicht leisten kann. Ist da etwas dran?
Nein. Kein Mitarbeiter müsste eine Stunde mehr arbeiten. Im Gegenteil, wir haben einen unglaublichen Run auf die Randzeiten, etwa von Studenten, weil wir da sehr hohe Zuschläge zahlen. Es wäre einfach eine weitere Liberalisierung des Wettbewerbs. Jetzt hat am Wochenende oder an den Randzeiten nur der „Mini-Markt am Eck“ offen.
Spricht der Personalmangel nicht gegen längere Öffnungszeiten? Sie haben 2.600 offene Stellen.
Wir können unsere Stellen jetzt deutlich besser besetzen, das hat sich entspannt. Und natürlich hilft die Digitalisierung, wie die unbemannten Selbstbedienungsboxen. Werden die Öffnungszeiten liberalisiert, wird das auch einen riesigen Digitalisierungsschub auslösen.
Wann kommt die erste vollautomatische Filiale, in der alles über Bezahlapps läuft?
Als Rewe haben wir schon in Köln, München, Berlin aber auch in Bukarest schon einige Stores, wo man die Ware mitnimmt und alles automatisch abgebucht wird. Das ist aber mit sehr hohen Investitionen verbunden und geht nur schrittweise. Generell digitalisieren wir sehr viel an unseren Prozessen. Wir bauen dabei aber keine Leute ab, sondern bauen jedes Jahr 1.000 neue Arbeitsplätze auf.
Was sagen Sie zum Milchstreit zwischen Spar und NÖM? Haben Ihre Einkäufer zu lax verhandelt?
Das glaube ich nicht. NÖM ist ein niederösterreichisches Unternehmen aus Baden. Wir sitzen in Wr. Neudorf. Als Nachbar streitet man vielleicht einmal, aber am Abend setzt man sich dann zusammen.
ZUR PERSON
Marcel Haraszti (49) ist seit Anfang 2017 Teil der Unternehmensführung der REWE International AG. Haraszti hat ungarische Wurzeln. 1956 flüchteten seine Eltern vor den Kommunisten nach Wien. Er wurde hier geboren, machte seine Ausbildung und begann als Trainee und Vorstandsassistent bei Billa. Zur Rewe International AG gehören die Marken Billa, Billa Plus, Bipa, Penny, Adeg, sowie IKI in Litauen.
Der Vorstandsvertrag von Haraszti wurde am 9. Dezember vorzeitig bis Ende 2028 verlängert.
Viele Manager fordern längeres Arbeiten, mehr Vollzeit. Sie auch? Teilzeitkräfte lassen sich doch flexibel einsetzen ...
Mehrarbeit muss sich lohnen. Wenn jemand 50 Prozent länger arbeitet, aber nur 30 Prozent mehr heraus bekommt, dann macht das kein Mensch. Viele Frauen würden auch bei uns gerne länger arbeiten. Dazu bräuchte es aber mehr Kinderbetreuung, mehr Ganztagsschulen etc.
Abschlussfrage: Was halten Sie von einer Zuckersteuer?
Für mich ist das Bevormundung, wo man den Menschen nicht mehr ernst nimmt. Das ist kein nostalgischer, sondern ein künftiger Unsinn. Wenn man glaubt, das Budgetloch mit neuen Steuern stopfen zu können, dann ist man auf einem Irrweg.
Kommentare