Kroes: "Wechseln Sie den Betreiber"

Kroes: "Wechseln Sie den Betreiber"
Die holländische EU-Kommissarin über Zwei-Klassen-Internet, Breitbandausbau und Cloud Computing.

Die für die Digitale Agenda zuständige EU-Kommissarin Neelie Kroes vertraut bei der Sicherung des offenen Internets in Europa auf den Markt. Kunden, denen bestimmte Dienste, wie etwa Internet-Telefonie oder Filesharing-Programme, gedrosselt oder gesperrt werden, empfiehlt sie den Betreiberwechsel. Für den Breitbandausbau zeigt sich Kroes im Gespräch mit dem KURIER zuversichtlich.

KURIER: In der digitalen Agenda versprechen Sie jedem Europäer bis 2013 Breitband-Internet. Werden Sie dieses Ziel erreichen?
Neelie Kroes: Ja, wir werden das Ziel erreichen. Für die Zukunft brauchen wir aber Investitionen der Betreiber in Hochgeschwindigkeitsnetze. Ich bin zuversichtlich, dass das auch geschehen wird. Daneben wird es auch EU-Mittel geben, mit denen auch die Entwicklung neuer Dienste für die Hochgeschwindigkeitsnetze stimuliert werden soll.

Viele europäische Internet-Anbieter drosseln oder blockieren bestimmte Dienste wie etwa Internet-Telefonie. Wie wollen Sie dem entgegentreten?
Ich will sicherstellen, dass Internet-Nutzer auch tatsächlich vollen Internet-Zugang bekommen, wenn sie sich dafür entscheiden. Die Konsumenten brauchen klare Informationen über ihre Internet-Geschwindigkeit und was sie mit ihrem Internet-Zugang machen können. Wenn Sie Champagner bestellen und nur Schaumwein bekommen, dann müssen Sie das
auch wissen.

Gesetzliche Regelungen lehnen Sie ab?
Ich will nicht in einen wettbewerbsorientierten Markt eingreifen, wenn es nicht notwendig ist. Das kommt nur infrage, wenn ich es als erwiesen ansehe, dass es die einzige Möglichkeit ist. Schlechte Gegenmittel können schlimmer sein als die Krankheit. Ich strebe nicht an, jeden Anbieter dazu zu verpflichten, vollwertiges Internet anzubieten. Wenn Sie aber dafür bezahlen und Sie bekommen etwas, was den Namen Internet nicht verdient, dann ist das nicht fair und Sie können den Anbieter wechseln. Bitte stimmen Sie doch mit Ihren Füßen ab und wechseln Sie den Betreiber.

Die EU-Kommission strebt gemeinsam mit den Anbietern eine Regelung zum Cloud Computing an. Welche Punkte sind Ihnen dabei wichtig?
Cloud Computing hat ein großes wirtschaftliches Potenzial. Kleine und mittlere Unternehmen können damit Kosten sparen. Das Ausmaß ist enorm. Privatkunden bekommen dadurch ein Schließfach im Internet, in dem sie ihre Daten aufbewahren können. Wir müssen die Regeln definieren und es muss auch möglich sein, Anbieter zu wechseln und Daten von einem Schließfach zu einem anderen zu transferieren.

In den vergangenen Monaten haben Sie sich auch wiederholt für eine umfassende Urheberrechtsreform starkgemacht. Wo soll so eine Reform ansetzen?
Eine Urheberrechtsreform ist dringend notwendig. Je länger wir warten, desto größer wird das Problem. Die Zeit ist nicht auf unserer Seite. Die Anzahl der Urheberrechtsvergehen steigt und die Leute gewöhnen sich daran. Der für diese Fragen zuständige Kommissar Michel Barnier und ich sind daran interessiert, dass Künstler und Rechteinhaber anständig bezahlt werden sollen. Es gibt einige Vorschläge, etwa für verwaiste Werke, aber wir sind noch lange nicht am Ziel. Wir müssen uns darüber klar werden, was auf dem Spiel steht und brauchen dringend Lösungen.

Viele Leute sind über die zunehmende Überwachung des Internets besorgt. Auch über das Blockieren von Webseiten. Wo ziehen Sie die Grenze?
Ich bin dafür, dass wir solche Maßnahmen nur in sehr speziellen Fällen und auch nur sehr vorsichtig anwenden sollten, etwa bei Kinderpornografie.

Die EU-Kommission versucht seit 1999 Roaming-Tarife für Auslandstelefonate und Datennutzungen zu verringern bzw. ganz loszuwerden. Wann werden Roaming-Tarife der Vergangenheit angehören?
Wenn es einen wirklichen digitalen Binnenmarkt und keine künstlichen Grenzen mehr gibt. Aber so weit sind wir noch lange nicht und es wird sich wohl in dieser Legislaturperiode auch nicht mehr ausgehen. Es wird innerhalb der nächsten zwei Jahre weitere Senkungen der Tarife geben. Mein Traum ist es aber, überhaupt keine Roaming-Tarife zu haben.

Zur Person: Neelie Kroes

Digitale Agenda Die liberale niederländische Politikern Neelie Kroes ist seit 2010 als EU-Kommissarin für die Digitale Agenda zuständig. In ihr Ressort fallen der Netzausbau ebenso wie Fragen der Telekomregulierung und der Informationsgesellschaft.
Strenge Strafen Davor war die 71-Jährige EU-Wettbewerbskommissarin (Nachfolgerin von Mario Monti) und verhängte in dieser Funktion unter anderem hohe Geldstrafen gegen Microsoft wegen Verstößen gegen das Wettbewerbsrecht.

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