Kreislaufwirtschaft: "Japan dreht jedes Kilo Rohstoff dreimal um"
Völlig unterbelichtet ist in Österreich das Thema der Kreislaufwirtschaft, englisch circular economy. Dabei geht es einfach darum, dass vorhandene Materialien und Produkte so lange wie möglich geteilt, geleast, wiederverwendet, repariert, aufgearbeitet und recycelt werden. Kommenden Dienstag wird der erste Gipfel dazu stattfinden. Der KURIER sprach mit Harald Friedl, dem vom Klimaministerium beauftragten Experten, darüber.
KURIER: Der Krieg in der Ukraine hat uns einmal mehr unsere Abhängigkeit von Rohstoff-Importen vor Augen geführt. Uns gehen die Rohstoffe aus. Kann uns da die circular economy helfen?
Harald Friedl: Unabhängiger zu werden heißt ja auch, seine Ressourcen-Ströme besser im Griff zu haben. Deshalb sind Inselstaaten wie Japan solche Vorreiter, dort wird jedes Kilo Rohstoff dreimal umgedreht, bevor es zerstört wird. Wir haben immer alle Rohstoffe zur Verfügung gehabt. So zeigt die Ukraine-Krise die sicherheitspolitische Relevanz der Kreislaufwirtschaft. Wenn wir Rohstoffe auf dem höchsten Wert in Verwendung halten, dann macht das wirtschaftlich Sinn, stärkt Unabhängigkeit und Standort und schafft Jobs.
Österreich ist laut Studien erst zu zehn Prozent „circular“, wie ist das steigerbar?
Bei uns kommen nur rund zehn Prozent der Materialien zurück in den Kreislauf. Das Verbesserungspotenzial ist also riesig und dazu eine großartige Zukunftschance. Die Holländer haben das Ziel, zu 100 Prozent circular zu werden. Das werden sie schwer erreichen, da einige Materialien für Produkte einfach importiert werden müssen. Die Ambition in diese Richtung finde ich aber richtig und motivierend.
Wie kann man sich dieses circular vorstellen? Ich sammle Altpapier und Plastik, das recycelt wird?
Drei große Ziele verfolgen wir mit einem zirkulären Zugang: Erstens minimal neue Rohstoffe gebrauchen, zweitens das bereits Produzierte so lang wie möglich im Kreislauf halten und drittens möglichst wenig verbrennen oder in Deponien begraben. Wenn wir das machen – und da gehören alle dazu, also Regierung, Wirtschaft und wir Konsumenten – dann kann die Kreislaufwirtschaft einen Turbo bringen. Neue McKinsey-Studien schätzen, dass bis 2030 in Europa etliche Billionen Euro an Wortschöpfung generiert werden könnten. Außerdem könnten drei Millionen lokale, grüne, gute Jobs geschaffen werden. Für uns heißt das 50.000 bis 100.000 neue Jobs.
Wie gut sind da andere EU-Staaten eingestellt, wie weit ist die EU „circular“?
Im globalen Vergleich liegen wir nur im Durchschnitt, zu lernen gibt es von anderen noch viel. Das sind vor allem intelligentere Regeln in finanzieller Hinsicht, wie geringere Steuern auf wiedergebrauchte Rohstoffe und Materialien oder neue Kollaborationsplattformen, die in manchen Ländern wie Finnland oder Holland entstehen: circular Hubs und Hotspots, die permanent Regierung und Wirtschaft vernetzen, um bessere Entscheidungen zu fällen, die den Standort, Jobs und Innovation stärken. Das sollte unser Ziel sein, wir brauchen dafür einen nationalen Schulterschluss.
Wo sind die Potenziale?
Am Bau, bei der Mobilität, bei der Nahrung und der Landwirtschaft sowie bei den Handelsprodukten, die symbolisch geworden sind für eine Wegwerfgesellschaft wie Elektronik oder Textil.
Sie sind Experte beim Thema global circularity – was sehen Sie da als Trends?
Zirkuläre Schuhe, zirkulärer Zement oder zirkuläre Autos – das passiert schon alles. In Frankreich hat es gerade ein erstes circular Start-up geschafft, eine Unicorn Bewertung zu haben (Bewertung über 1 Milliarde US-Dollar, Anm.). Das ist großartig.
Das ist auch Teil des Green Deal der EU – wo stehen wir Österreicher?
In Österreich bauen wir auf viel auf: Unsere Erfahrung von smarten Unternehmern – in Industrie und KMUs – die Innovationsfreudigkeit und generationentauglich wirtschaften wollen. Unser Circular Economy Summit am 22. März, den wir mit Ministerin Gewessler organisieren, wird das zeigen und tolle Unternehmen vor den Vorhang holen, die auch global für Furore sorgen.
Die Europäische Union produziert jährlich mehr als 2,5 Milliarden Tonnen Abfall. Die EU-Rechtsvorschriften für die Abfallwirtschaft werden derzeit aktualisiert, um den Übergang von einer Linearwirtschaft zu einer Kreislaufwirtschaft zu fördern.
Da geht es etwa um nachhaltigere Produktgestaltung. Das zielt darauf ab, das Abfallaufkommen zu verringern und den Verbraucherschutz zu stärken, beispielsweise mit einem echten „Recht auf Reparatur“. Der Aktionsplan ist ein wesentlicher Baustein des Green Deal der EU und Teil der neuen EU-Industriestrategie. Der Schwerpunkt soll dabei auf ressourcenintensive Sektoren wie Elektronik, Kunststoffe, Textilien und Bauwesen gelegt werden.
Ziel ist, den Lebenszyklus der Produkte zu verlängern. In der Praxis bedeutet das, dass Abfälle auf ein Minimum reduziert werden sollen. Nachdem ein Produkt das Ende seiner Lebensdauer erreicht hat, verbleiben die Ressourcen und Materialien so weit wie möglich in der Wirtschaft. Sie werden also immer wieder produktiv weiterverwendet, um weiterhin Wertschöpfung zu generieren.
Österreich müsse sich da nicht verstecken, sagt Kreislauf-Experte Harald Friedl: Firmen wie Lenzing (Fasern aus Holz), Wolford (Textilien), Lafarge (Zement) oder Holcim (Baustoffe) seien Top-Beispiele der Industrie in Österreich. Andererseits würden auch Start-ups und Scale-ups (das sind Start-ups mit schnellem Wachstum) wie Refurbed (Elektronik), Eloop (E-Carsharing), unverschwendet (Lebensmittel) oder Matwash (Matratzenreinigung) auch international als Vorreiter gelten.
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