Keine Angst vor einer Asien-Krise

Takehiko Nakao, Präsident der Asiatischen Entwicklungsbank
Takehiko Nakao, Präsident Asiatische Entwicklungsbank, über die Folgen von Chinas Schwächeln.

Setzt sich die Aufholjagd fort wie bisher, wäre Asien im Jahr 2050 für gut die Hälfte der weltweiten Wirtschaftsleistung verantwortlich (52 Prozent) – im Moment sind es 29 Prozent. Das weckt unternehmerische Begehrlichkeiten, wie ein gut besuchtes Asien-Forum der Wirtschaftskammer bewies. Der KURIER sprach mit Takehiko Nakao - der Japaner ist seit 2013 Präsident der Asiatischen Entwicklungsbank (Asian Development Bank/ADB).

KURIER: Sie kommen gerade vom Weltwirtschaftsforum in Davos in der Schweiz. Was haben Sie davon mitgenommen?

Takehiko Nakao: Für den meisten Gesprächsstoff hat das schwächere Wachstum Chinas gesorgt und was die Folgen sein könnten. Auch über die EU wurde viel diskutiert, über Migration und den möglichen Austrittes Großbritannien. Und natürlich das offizielle Hauptthema in Davos, die Vierte Industrielle Revolution.

Damit ist die Digitalisierung so gut wie aller Lebensbereiche gemeint. Manche fürchten, jeder zweite Job könnte verloren gehen. Sie auch?

Ich mache mir nicht allzu viele Sorgen, dass die Arbeit verschwindet. Historisch betrachtet waren die Menschen noch bei jeder industriellen Revolution besorgt, dass ihnen die Maschinen die Arbeit wegnehmen. Die Ludditen (Maschinenstürmer) haben sogar die Webstühle zerstört. Am Ende hatte die Zahl der Beschäftigten aber immer zugenommen, neue Jobs und Dienstleistungen waren entstanden. Was aber passieren könnte ist, dass sich die Einkommensschere weiter öffnet. Für mich ist die entscheidene Frage: Wie reagieren die Regierungen, tun sie mehr für öffentliche Bildung, die Bereitstellung von Arbeit oder für die Sozialsysteme?

Die Entwicklungsbanken finanzieren traditionell vor allem Infrastruktur-Projekte. Müsste nicht künftig mehr Geld direkt in die Bildung der Menschen investiert werden? Also Hirnschmalz statt Beton?

Für die Multilateralen Entwicklungsbanken wird Infrastruktur das Wichtigste bleiben – das ist die Basis für wirtschaftliche Entwicklung und für das menschliche Vorankommen generell. Ohne Strom oder Straßen haben es die Menschen schwer, zu einem Arbeitsplatz in die Stadt oder ins Spital zu kommen. Transport, Energie oder städtische Entwicklung machen rund 80 Prozent unseres Geschäftes aus. Das aktuelle Thema ist: Wie können diese Projekte klimafreundlicher werden? Etwa mit erneuerbarer statt fossiler Energie.

Welche Beträge hat die ADB im abgelaufenen Jahr finanziert?

Alles zusammen wurden Projekte um 27 Milliarden Dollar bewilligt, darin sind aber Kofinanzierungen enthalten. Unsere eigene Finanzierungsleistung machte 16,6 Milliarden Dollar aus, ein Plus von 20 Prozent. Die Mittel für den Kampf gegen den Klimawandel haben wir von drei auf sechs Milliarden Dollar pro Jahr verdoppelt.

Was dürfen sich österreichische Unternehmen erwarten?

Ich habe eben einen Manager aus der Wasserkraft-Industrie getroffen. Österreich hat dort sehr gute Unternehmen. Oder auch im städtischen Transport, in der Umwelttechnologie. Das sind Bereiche, die wir entwickeln möchten. Österreich war übrigens 1966 ein Gründungsmitglied der ADB, noch vor anderen europäischen Ländern wie Frankreich.

Die US-Notenbank hat begonnen, die Zinsen anzuheben, was Kapitalabflüsse aus Schwellenländern auslösen könnte. Droht eine Asienkrise wie 1997?

Diese Zinsanhebung erschreckt mich nicht. Das wurde seit Jahren erwartet und erfolgt in ganz kleinen Schritten. Der Zinsschritt von 0,25 Prozent ist verglichen mit dem, was das Wechselkursrisiko ausmacht oder was unterschiedliche Investments abwerfen, sehr gering. Das sollte keine ernsthaften oder abrupten Kapitalabflüsse verursachen. Aber natürlich ist das ein delikater Zeitpunkt. Man sollte freilich nicht vergessen, warum die Fed die Zinsen anhebt: Weil sich die US-Wirtschaft und das Vertrauen in das Finanzsystem verbessert haben.

Was natürlich positiv ist. Aber jetzt kommt Chinas Schwächeln erschwerend dazu.

China war seit der Finanzkrise der weltweite Wachstumsmotor, mit Wachstumsraten von mehr als neun Prozent. Jetzt sehen wir ein klares Abschwächen, aber das ist beabsichtigt. Es wurde sehr viel in öffentliche Aufträge, in Immobilien und Maschinen investiert. Da sind Überkapazitäten entstanden, die jetzt angepasst werden müssen. Die Regierung versucht diesen Übergang zu einer Wirtschaft zu managen, die stärker auf Konsum und Dienstleistungen beruht als auf Investitionen und Industrie. Und sie strebt marktwirtschaftlich orientierte Reformen an – im Finanzsystem, bei staatlichen Unternehmen und in den lokalen Regierungsfinanzen. Diese Reformen werden einige Probleme lösen.

Die Sorge im Westen ist, ob Peking diesen Übergang ohne harten Aufprall schaffen kann.

Chinas Abschwächung ist nicht nur eine Folge von Überinvestitionen, sondern zeigt auch erste Beschränkungen im Arbeitskräfte-Wachstum und reflektiert die gestiegenen Löhne. Obendrein kann eine reifere Volkswirtschaft bei einer Wirtschaftsleistung von 8000 Dollar pro Kopf nicht mehr so rasch wachsen wie mit 1000 Dollar.

Welche asiatischen Länder sind davon mitbetroffen?

Einige Nachbarländer haben Herausforderungen, etwa Indonesien, weil es Rohstoffe nach China exportiert. Auch aus Korea oder Singapur haben sich die Exporte nach China abgeschwächt. Dafür haben aber Länder wie Vietnam, Myanmar, Kambodscha ihr Wachstum sogar hinauf revidiert. Auch Bangladesch wächst sehr stark. Wer über Asien spricht denkt sofort an China – das ist nachvollziehbar. Aber zugleich wachsen andere Länder wie Philippinen oder Indonesien schwächer als zuvor, aber immer noch sehr rasch; Indien zum Beispiel um rund 7,5 Prozent. Ich bin also überhaupt nicht pessimistisch, was Asien als Ganzes betrifft.

Allmählich wird es eng bei den Entwicklungsbanken: China hat 2015 die Asiatische Infrastruktur und Investitionsbank (AIIB) gegründet. Die Weltbank ist US- dominiert, die ADB von Japan. Wäre es nicht effizienter, die Ressourcen zu bündeln?

Die Debatte gab es schon 1966, als die ADB gegründet wurde: Sollte nicht alles bei der Weltbank bleiben? Alles in einer Hand schaut nur einfacher aus. In Wahrheit ist es gut, unterschiedliche Zugänge, Ideen und Managementkulturen zu haben. Es ist nett, regionale Banken zu haben.

Sie betonen, dass die ADB nicht in Konkurrenz zur chinesischen AIIB tritt, sondern kooperieren wird. Gibt es schon gemeinsame Projekte?

Ja, absolut. Wir feiern 50 Jahre Jubiläum, können also auf viel Erfahrung und Personal zurückgreifen, etwa um die Folgen von Projekten für die Umwelt oder das soziale Gefüge abzuschätzen. Wir haben der AIIB sehr geholfen, solche Richtlinien auszuarbeiten. Und wir identifizieren konkrete Projekte zur Kofinanzierung. Wenn die AIIB in der zweiten Jahreshälfte 2016 startklar ist, werden die ersten Projekte Kofinanzierungen mit der ADB sein.

Was genau können Sie jetzt noch nicht sagen?

Zu Ländern und zur genauen Region kann ich nichts sagen. Es könnten Wasser- oder Transport-Projekte in mehreren Ländern sein.

Das Wachstum hat mehr Menschen denn je in Asien aus der Armutsfalle befreit. Zugleich leben noch 1,4 Milliarden Menschen von weniger als zwei Dollar am Tag und die Einkommensschere geht weiter auf. Warum?

Die Zahl der Menschen in völliger Armut steigt nicht an. Es stimmt, dass manche Menschen zurückbleiben, während andere in den Mittelstand aufsteigen – und einige sehr viel schneller reich werden. Aber dass Menschen aus der Mittelschicht auf schlechtere Lebensstandards zurückfallen ist ein Phänomen in den fortgeschrittenen Ländern – für das aufstrebende Asien gilt das nicht.

Kritiker von Weltbank & Co. halten die Armutsbekämpfung für vorgeschoben. In Wahrheit würden den Ländern Schulden aufgebürdet, von denen nur Reiche profitieren. Was antworten Sie darauf?

Das glaube ich ganz und gar nicht. Wem helfen wir denn, wenn wir ein neues Kraftwerk, Straßen oder eine Wasserversorgung bauen? Das schafft Zugänge zu Gesundheitsvorsorge und Bildung – und somit höhere Lebensstandards für alle, sicher nicht nur für die Reichen.

Keine Angst vor einer Asien-Krise

Zur Person

Takehiko Nakao, geboren 1956, ist seit 2013 ADB-Präsident. Er war davor der höchstrangige Beamte in Japans Finanzministerium, Vize-Finanzminister und Berater des Internationalen Währungsfonds.

Zur Bank

Die Asiatische Entwicklungsbank (englisch ADB: Asian Development Bank) feiert heuer 50-Jahr-Jubiläum. Österreich war 1966 ein Gründungsmitglied und hält aktuell 0,572 Prozent der Stimmen.

Es ist das Dilemma aller armen Staaten: Strom, Wasser, Straßen – es herrscht Mangel an so gut wie allem. Genau jene Länder, die am dringlichsten Geld für Investitionen brauchen, erhalten aber keine Kredite. Oder nur zu unerschwinglich hohen Zinsen. Deshalb treten Multilaterale Entwicklungsbanken auf den Plan: Viele Länder (darunter reiche) garantieren eine starke Kapitalbasis und ein AAA-Rating, somit können Weltbank und Co. zu günstigen Konditionen Geld aufnehmen und weiterreichen.

Eine Win-win-Situation, denn natürlich spitzen Unternehmen aus den beteiligten Ländern auf Großprojekte. Österreichische Firmen haben bei der Asiatischen Entwicklungsbank seit 1967 Aufträge von 243 Millionen Dollar an Land gezogen.

Effizienter als Spenden

Es handelt sich aber um keine Wohltätigkeitsvereine, sondern um Banken. Gut so, sagen Befürworter: Das sichert eine effiziente Zuteilung des Geldes und verhindert Korruption. Kritiker monieren, dass auf ökologische und soziale Folgen wenig geachtet werde, was in der Vergangenheit zu umstrittenen Abholzungen oder Umsiedelungen für Staudammprojekte geführt habe. Obendrein werde durch die Schulden Abhängigkeit geschaffen, eine moderne Form des Kolonialismus, die den Reichen nütze. „Das glaube ich ganz und gar nicht“, kontert Nakao diese Kritik: „Wem helfen wir denn, wenn wir ein Kraftwerk, Straßen oder eine Wasserversorgung bauen?“ Das nütze allen. Zudem habe die Zahl der Armen stark abgenommen, viele Asiaten seien in die Mittelschicht aufgestiegen. Die Einkommensschere gehe trotzdem auf: „Weil manche sehr viel schneller reich werden.“

Wer will zahlen?

Dass die Entwicklungsbanken als geostrategisches Macht-Instrument verstanden werden, ist indes schwer zu leugnen. Die Weltbank steht seit der Gründung 1944 unter US-Einfluss. Bei der Asiatischen Entwicklungsbank (ADB) hat Japan die meisten Stimmen. Bei der Europäischen Wiederaufbaubank (EBRD), die 1991 nach dem Kollaps der Sowjetunion gegründet wurde, ziehen die EU und ihre Mitgliedstaaten die Fäden.

Seit 2015 gibt es noch einen Spieler: Weil die USA den Chinesen größeren Einfluss lange Zeit verwehrt hatten, gründete Peking die Asiatische Infrastruktur-Investitions-Bank (AIIB). Auch dort ist Österreich beteiligt. Es sei Platz für alle, sagt ADB-Präsident Nakao. Er sieht die chinesische AIIB nicht als Konkurrent, sondern als Partner: Die ersten Projekte im Wasser- oder Transportbereich würden gemeinsam finanziert.

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