Wie groß wird das Sommerloch?

Wie groß wird das Sommerloch?
Im Sommer läuft die Wirtschaft meist schleppend – wie wird das heuer, im Corona-Jahr sein? Experten und Unternehmer geben eine ernüchternde Prognose.

Der Hochsommer ist Urlaubszeit. eMails werden mit Abwesenheitsnotizen beantwortet, es gibt mehr freie Parkplätze in Städten, in den Gärten reifen die Gurken. Da Letzteres (in normalen Jahren) mit einem gefühlt schleppenden Geschäftsbetrieb stattfindet und politische Ereignisse bis zum Herbst auf Eis gelegt werden, spricht man in der Medienwelt auch von der „Saure-Gurken-Zeit“. In Hinblick auf die österreichische Wirtschaft, die coronabedingt hohe Verluste verkraften muss, klingt so eine Aussicht nach einem soeben überstandenen Lockdown besonders sauer.

Milliarden-Verluste

Mehr als zwei Monate lang vegetierten ganze Branchen dahin. Allein im März verzeichnete der Handel 5,1 Milliarden Euro an nicht nachholbaren Verlusten, zeigt eine Erhebung der Statistik Austria. 6,6 Milliarden sind es in der Herstellung von Waren, 1,8 Milliarden im Bau, 1,7 Milliarden bei Finanzdienstleistungen und 1,6 Milliarden Euro in der Beherbergung und Gastronomie.

Was die Wirtschaft jetzt dringend braucht, ist Schwung. Doch noch ist die Krise nicht vorbei, die Arbeitslosigkeit im Land ist hoch und die Kauflaune der Konsumenten getrübt. „Konsum ist Psychologie“, sagt Handelsverband-Geschäftsführer Rainer Will. „Erst wenn die Menschen Sicherheit ob ihrer Arbeitsplätze und Planbarkeit haben, gehen sie wieder gerne shoppen.“ Geht es also vom Sommerloch ins Corona-Loch?

Sparmodus

Das Konsumbarometer zeigt historische Tiefstände, die Österreicherinnen und Österreicher schnallen den Gürtel enger. „Ein Drittel der Kunden kauft in der Krise deutlich weniger, 14 Prozent sogar nur lebensnotwendige Güter“, sagt Will. Gespart wird vor allem bei Freizeitaktivitäten, Kleidung und Urlaub. Der zögerliche Konsum trifft im Einzelhandel damit vor allem jene Produkte, die im Sommer ohnehin weniger gekauft werden: „Das betrifft etwa Bekleidung, Schuhe, Accessoires und Elektro-Geräte“, zählt Will auf.

Für den Handel prognostiziert er: „Das Sommerloch wird ausgeprägter sein als üblich.“ Die Unsicherheit in der Bevölkerung trifft auch den österreichischen Tourismus, der Jahr für Jahr neue Nächtigungsrekorde verzeichnet hatte. Der Corona-Sommer könnte das erste richtige Sommerloch der Branche werden. Auch, wenn zahlreiche Werbekampagnen sich bemühen, Stimmung zu entfachen – „Rekordnächtigungen wie im Vorjahr wird die Branche nicht einfahren“, sagt Oliver Fritz, Tourismusexperte des Wirtschaftsforschungsinstituts (Wifo).

Keine Urlaubsstimmung

Fritz zeichnet ein pessimistisches Szenario: „Mai und Juni fallen in dieser Saison schon weg, diese Verluste sind nicht mehr aufzuholen. Zudem haben viele Arbeitnehmer ihre Urlaubsbestände bereits während der Krise abgebaut und damit fällt der Sommerurlaub weg.“ Auch, wie viele Gäste aus dem Ausland nach Österreich kommen werden, sei ein „großes Fragezeichen.“ Vollends am Boden sei die Urlaubsstimmung trotzdem nicht, will eine Umfrage der Österreichischen Hoteliervereinigung (ÖTV) wissen.

Dieser zufolge würden mehr als 60 Prozent einen Urlaub planen, 40 Prozent davon in Österreich. Zumindest laut Umfrage steht der Inlandsurlaub hoch im Kurs. „Das gibt der Branche ein wenig Hoffnung.“ Hochgerechnet auf die Nächtigungszahlen käme man laut Fritz auf 13,3 Millionen Nächtigungen – um 24,4 Prozent weniger als im Sommer 2019.

Auf Nummer sicher

Verhaltensökonom Gerhard Fehr kann die gemäßigte Urlaubslaune ins Ausland nachvollziehen, „denn wo kann man dem Risiko einer Infizierung oder Quarantäne entgehen? Tendenziell zu Hause oder zumindest im Inland“, sagt Fehr. Auch Ischgl haben die Leute noch nicht vergessen. Was dort passiert ist, könne an jedem Urlaubsort passieren. „Menschen gehen in diesem Fall lieber auf Nummer sicher.“

Die Bauwirtschaft läuft indes noch, die Auftragsbücher sind voll. „Das sind die Nachwirkungen der Hochkonjunkturphase im abgelaufenen Jahr“, sagt Paul Grohmann vom Österreichischen Baumeisterverband. Problematische Auswirkungen könnte aber der massive Rückgang der kommunalen Bauvorhaben auf die Branche haben. „Wenn hier nicht massiv gegengesteuert wird, dann steuert der Bau nach Abarbeiten der laufenden Projekte im Herbst 2020 und jedenfalls 2021 auf einen zweiten – diesmal hausgemachten – Konjunktureinbruch zu.“

Lange Erholungsphase

Die Zeit bis zur Erholung von der Krise wird je nach Branche sehr unterschiedlich eingeschätzt, heißt es in einer aktuellen Studie der Wirtschaftsuni Wien. Während zum Beispiel die verarbeitende Industrie von rund 9,6 Monaten ausgeht, werden im Gastgewerbe 15,9 Monate bis zur vollständigen Erholung erwartet. Ausschlaggebend ist zudem die Größe des Betriebs. „Sehr große Unternehmen gehen durchschnittlich von zwölf Monaten aus, mittlere Unternehmen von nur 10,7“, sagt Studien-Autor Johann Puck.

Gebremst wird die wirtschaftliche Regeneration auch von der nach wie vor hohen Kurzarbeit, die mit 15. Juni immer noch 1.139.471 Menschen betroffen hat. Laut Berechnungen der Agenda Austria (Stand 4.6.2020) sind vor allem die Sektoren Kultur- und Veranstaltungen mit 63,6 Prozent, die Herstellung von Waren (59,3 Prozent), der Handel mit 52 Prozent und das Beherbergungs- und Gastgewerbe mit 48,7 Prozent, am stärksten von Kurzarbeit betroffen.

Geldprobleme

Die Wirtschaft spürt die Akutfolgen der Krise, die gedrückte Stimmung hemmt. „Damit sich die Wirtschaft erholt und wir ins konsumieren, investieren und expandieren kommen, braucht es ein Klima der Zuversicht“, so Rainer Will. Aufgrund von Liquiditätsproblemen halten viele Unternehmen aber den Ball flach.

Allein im Einzelhandel hätten 21 Prozent der Unternehmen Zahlungsschwierigkeiten – das Auszahlen des anstehenden Urlaubsgelds sei eine zusätzliche Belastung. Sieben Prozent der Händler hätten ihre Geschäftstätigkeit bereits ruhend oder völlig eingestellt. „Das Sommerloch, nun gepaart mit einem Corona-Loch, kann nur durch rasche Konjunkturmaßnahmen geschlossen werden“, sagt Will.

Corona-Loch

Trotz aller Hiobsbotschaften – ein wenig bergauf wird es im Sommer gehen, glaubt Christian Helmenstein, Chefökonom der Industriellenvereinigung (IV). „In der Industrie sind wir immer weniger von Einschränkungen betroffen. Betriebe liefern wieder, Werke werden hochgefahren, Logistikketten sind nicht mehr unterbrochen. Es gibt also weniger Angebotsausfälle.

Die entscheidende Frage ist, wann die Nachfrage wieder da ist.“ Helmenstein ist positiv: „Ich sehe in diesem Sommer eine Phase der Erholung für die Wirtschaft – auch wenn sie weit unter dem Niveau des Vorjahres liegt.“ Zwischen ein bis drei Prozentpunkten werde das Wachstum in den kommenden Monaten liegen, schätzt der Ökonom. „Ich würde dazu neigen, eher vom Corona-Loch, als vom Sommerloch zu sprechen.

Drei Unternehmer über den Corona-Sommer

Isabella Dschulnigg-Geissler, Geschäftsführerin des Hotels Saalbacher Hof, der Saalbacher Bergbahnen und Betreiberin einer Skihütte

Wie groß wird das Sommerloch?

KURIER: Sie leiten ein Hotel in der Urlaubsregion Saalbach Hinterglemm, eigentlich ein Wintersportort. Wie sieht das Sommergeschäft ohne Corona aus?
Isabella Dschulnigg-Geissler:
In den vergangenen Jahren haben wir viel investiert – auch für Biker. Dadurch ist der Sommer fast so stark wie der Winter geworden. Saalbach ist mit 2,3 Millionen Nächtigungen  auf 2.900 Einwohnern, nach Wien und Sölden, die stärkste Tourismusregion.  

Welchen Einfluss hatte der Shutdown auf ihr Hotel, auf die Bergbahnen und die Hütte?
Mitte März bis Mitte April  gehören zu unseren umsatzstärksten Wochen. Hier haben wir  durch den Shutdown 977.000 Euro Verlust gemacht. Die ganze Phase war geprägt von Stornierungen für den Sommer – wir haben praktisch  täglich nichts anderes gemacht, als Stornierungen von ausländischen Gästen entgegen zunehmen.

Wie ist ihre Buchungslage für die kommenden Sommermonate?
Es herrscht  wieder Nachfrage, ab Juli sieht  es ganz gut aus, wir haben viele  Belgier, wir hoffen die kommen – aber die meisten ausländischen Gäste sind weggebrochen. Ich glaube an den Inlandstourismus, die kommen jetzt langsam darauf, Urlaub daheim zu machen. Natürlich kommt es auch auf das Wetter an, ich glaube, dass der Sommer gut wird – aber nur, wenn das Wetter passt.

Ist das Corona-Loch durch den Sommer ausgleichbar?
Naja, wir planen mit weniger Mitarbeitern, statt 70 haben wir nur noch 35. Wir hoffen auf einen starken Sommer. Aber die Verluste können wir sicher nicht wettmachen.

 

Lukas Sattlegger, Geschäftsführer des Bauträgers Glorit. Trotz Anfragerekorde erwartet er schwierigere Finanzierungslagen

Wie groß wird das Sommerloch?

KURIER: Die Baubranche hatte keinen kompletten Shutdown verordnet. Wie haben Sie weitergearbeitet?
Lukas Sattlegger: Wir haben wesentlich reduzierter weitergearbeitet und  haben, was die Bautätigkeit angeht, etwa vier bis sechs Wochen verloren.

Wie sieht Ihre Auftragslage aus?
Wir haben im April und Mai wirklich einen Anfragerekord verzeichnet. Weil die Leute mehr Zeit hatten, sich mit dem Thema Hauskauf zu beschäftigen.  Außerdem bauen wir vor allem in den Randbezirken, mit Garten und großen Freiflächen.

Gibt es in ihrer Branche üblicherweise ein Sommerloch?
Natürlich sind  Anfragen immer etwas zurückgegangen, seit zwei Jahren aber gibt es das nicht mehr. In der Sommer- und Urlaubszeit nehmen sich die Leute bewusst Zeit. Wir haben jetzt im Sommer und am Wochenende sogar die meisten Termine.

Und wie wird dieser Sommer laufen?
Seit Mai sind wir bei der Bautätigkeit  wieder bei 100 Prozent, das wird sich durch die Anfragen so halten. Wir rechnen mit einem Rekordsommer.

Trotz der tendenziell schlechter werdenden Finanzsituation in Österreich?
 Wir erwarten, dass die Finanzierungen schwieriger werden.  Wenn zum Beispiel ein junges Paar auf Kurzarbeit ist, spüren wir das auch. Wir decken ein breites Preissegment ab. Im günstigen Segment wird es deutlich schwieriger, im mittleren beziehungsweise höheren Preisgefüge wird die Nachfrage aber steigen.  

 

Jasmin Turek-Rezac und Bettina Turek-Sundström führen das gleichnamige heimische Modegeschäft

Wie groß wird das Sommerloch?

KURIER: Sie und ihre Schwester führen das Modegeschäft Turek mit 14 Filialen in Wien. Wie ist das Geschäft seit der Öffnung angelaufen?
Jasmin Turek-Rezac: Die Frequenz war anfänglich  lau,  die  Konsumenten sehr zurückhaltend. Niemand wusste, was erlaubt war, niemand wollte mit den Öffis zu den   Einkaufsstraßen fahren. Wir  haben sogar eigens einen Online-Shop eingerichtet.  Die  Öffnung der Gastro hatte dann aber einen großen positiven psychologischen Effekt. Außerdem spürt man, dass Kunden nachhaltig regionaler und lokaler kaufen.

Die Modebranche ist ja immer von Saisonen bestimmt ...
Die Modebranche ist ein extrem saisonales Geschäft. Im Januar und Februar ist der Herbst- und Wintersale. Der Kick-off-Saisonstart ist  im März. Wir haben dafür kurz vor dem  Lockdown neue Ware bekommen – und dann mussten wir schließen.  Diese saisonale Ware für den Frühling hat ein psychologisches Ablaufdatum. Eine Regenjacke ist   im Sommer nur schwer zu verkaufen.

Gibt es in ihre Branche so ein Sommerloch?
In den Sommermonaten ist es immer eher ruhig. Man merkt, dass die Wiener nicht in der Stadt sind. Aber normalerweise wird das von den Touristen ausgeglichen. Durch das Fehlen der Touristen im Juli und August wird das diesmal schwierig. Für ein Sommer-T-Shirt gibt man weniger Geld aus, als für eine  Jacke.

Wie sieht die Zukunft aus?
Unsere Hoffnung liegt im Herbst, das ist generell eine starke Saison. Aber der Umsatzentgang ist nicht wieder aufzuholen. 

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