"Wenn nichts hilft: Münzwurf"

Philosoph Christoph Quarch im Interview.
Philosoph Christoph Quarch schreibt über Entscheidungen. Und findet: Gute könne man niemals allein treffen – oder ohne Münze.

Studieren oder nicht studieren? Einen Master machen? Lernen oder feiern? Der deutsche Philosoph Christoph Quarch denkt und schreibt in seinem neuen Buch "Nicht denken ist auch keine Lösung" zu dem, was diesen Fragen zugrunde liegt: Die Schwierigkeit, eine Entscheidung zu treffen. Der KURIER traf ihn zum Kaffee. Eigentlich.

KURIER: Herr Quarch, trinken Sie lieber Kaffee oder Tee?

Christoph Quarch: Lieber Tee.

Ist Ihnen diese Entscheidung leicht gefallen?

Ich bin eigentlich Kaffee-Trinker, aber ich vertrage ihn in letzter Zeit schlecht. Die Entscheidung ist mir in dem Fall also leicht gefallen.

Und doch tun wir uns mit Entscheidungen in anderen Fällen oft schwer. Warum eigentlich?

Wir müssen definieren, um welche Art von Entscheidung es jeweils geht. Man kann, grob gesagt, unterscheiden zwischen: Was will ich haben? Und was will ich sein? Wenn ich ein Handy haben will, gehe ich in einen Laden, informiere mich und kaufe, was meinen Wünschen entspricht.

Sind die meisten Entscheidungen, die wir heute treffen, aus der Kategorie "Was will ich haben"?

Ja, wir treffen sie ständig. Sie sind auch nicht schwierig. Solche Entscheidungen könnten wir mit Hilfe intelligenter Maschinen, die mit Algorithmen gefüttert werden, auch treffen.

Die großen Entscheidungen des Lebens, wie "Soll ich ein Studium beginnen?" oder "Soll ich eine Familie gründen?", wohl weniger.

Wenn es um die existenziellen Fragen des Lebens geht, helfen uns Berechnungen nicht weiter. Fragen, wie "Will ich die Frau, mit der ich seit zwei Jahren zusammen bin, heiraten? Möchte ich eine Karriere-Perspektive dafür opfern, dass ich mehr Zeit mit meiner Familie verbringe?" bereiten uns schlaflose Nächte. Da können Sie bis zum Sankt Nimmerleinstag Informationen sammeln – Sie kommen doch nicht weiter.

Wie also solche Fragen entscheiden?

Bei den täglichen Was-will-ich-Entscheidungen ist der Entscheider unser Ich: ein rationales, selbstbewusstes, kalkulierendes Subjekt, mit dem wir uns identifizieren. Bei den existenziellen Entscheidungen ist der Entscheider nicht dieses Ich, sondern das, was ich die Seele nenne. Die Seele strebt manchmal Dinge an, von denen Ihr Ich gar nichts ahnt. Dann haben Sie in sich konkurrierende Stimmen, die Sie nicht zusammen bekommen. Da fängt die Sache an, spannend zu werden.

Warum konkurrieren die?

Stellen Sie sich einen See vor: Sie sehen nur die Oberfläche. Aber er ist viel mehr als das. Genauso ist es mit Ich und Seele. Das Ich ist die Oberfläche, die Ansicht, die wir von uns haben und die wir anderen zeigen wollen. Als Ich wollen wir immer etwas. Die Seele aber funktioniert anders: Sie hat nur den Impuls zu wachsen, sie möchte ihr Potenzial entfalten. Das widerspricht zuweilen dem, was das Ich will. Genau dann macht sich die Seele bemerkbar: über den Körper, die Gefühle oder die Intuition. Bei existenziellen Entscheidungen ist es daher sinnvoll, auf all das, also sein Bauchgefühl, zu achten.

Das ist die Magie der Entscheidungsfindung?

Die Sache ist tricky: Auch Intuitionen muss man deuten können. Da kommt wieder das Denken ins Spiel. Es ist daher hilfreich, andere Menschen zu konsultieren und sie zu fragen, welchen Reim sie sich darauf machen würden.

Widerspricht sich das nicht? Auf sich selbst und gleichzeitig auf die anderen hören?

Gar nicht. Die Menschen in unserer Umgebung kennen uns oft besser, als wir selber. Wir haben blinde Flecken für unsere Seele.

Oft treffen wir falsche Entscheidungen, weil wir zu sehr auf andere hören.

Das geschieht, wenn wir uns von anderen einreden lassen, was wir wollen sollen. Dann sind nicht die Entscheidungen falsch, sondern das Ich will das Falsche.

Zu wissen, was man will: Ist das nicht ein Lebensprojekt?

Entscheidend für ein gutes Leben ist, nicht zu stagnieren. Und auf die Fragen "Wer bin ich und was will ich" wird es sicherlich nie eine abschließende Antwort geben. Aber das Verrückte ist: Die verlässlichsten Antworten auf diese Fragen sind im Gespräch mit anderen zu finden. Martin Buber sagte dazu: "Der Mensch wird mit dem Du zum Ich." Nur in der Begegnung mit anderen entscheidet sich, wer wir sind. Sonst kreisen wir immer wieder um unser Ego und kommen zu keiner guten Entscheidung.

Ihr Crashkurs in Entscheidungsfindung lautet also: Redet miteinander?

Ja, wenn etwas ansteht, wo ich nicht weiterkomme, ist es wirklich gut, Menschen zu suchen, denen ich erklären kann, wo das Dilemma liegt – und sehr sorgfältig darauf höre, was sie mir sagen und dabei darauf achte, was es in mir selbst auslöst. Denn dort, wo sich der größte Widerstand regt, ist meistens die Lösung.

Etwas auswählen zu dürfen, ist eigentlich Luxus. Warum legen wir uns trotzdem ungern fest?

Die Angst, etwas zu verpassen, ist in unserer Gesellschaft heute extrem ausgeprägt. Die Menschen versuchen sich alle Optionen offen zu halten, weil sie hoffen, dass noch etwas Besseres kommt. Das ist eine hochproblematische Haltung. Wer sich nicht entscheiden kann oder will, bekundet damit, dass er nicht bereit ist, Verantwortung zu übernehmen. Es gibt keine falschen Entscheidungen, außer, man entscheidet sich nicht. Dieses in der Schwebe-Bleiben, ist, was uns fertig macht.

Was raten Sie jungen, unschlüssigen Menschen?

Man muss sich nicht das Hirn zermartern, welchen Weg man gehen soll. Wenn es überhaupt etwas gibt, sollte man versuchen, auf die Impulse aus den Tiefen der Seele, zu achten. Was spricht mich an? Was sehe ich, wenn ich die Augen schließe und an die Zukunft denke? Und wenn gar nichts hilft, empfehle ich den Münzwurf: Dabei ist nicht entscheidend, welche Seite oben liegt. Sondern wie ich darauf reagiere.

"Wenn nichts hilft: Münzwurf"
Nicht denken ist auch eine Lösung, Christoph Quarch

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