Spätschicht am Punschstand: Wo man um Kunden kämpft und die Kassen glühen
Christkindlmärkte haben Hochsaison. Wie lukrativ das Geschäft als Standler tatsächlich ist, hat sich der KURIER angesehen – und einen Tag mitgearbeitet. Mit Video
Drei leere Häferl landen auf der Theke. Macht sechs Euro retour, doch der Kunde ist schneller. „Wir würden noch welche nehmen“, sagt er und bestellt einen Kinderpunsch (drei Euro), einen roten Glühwein (4,50 Euro) – oder nein, doch den Bio-Glühmost (fünf Euro), der klingt noch besser. Einen Kalamansipunsch mit Schuss (5,50 Euro) und zwei Haselnusscremepunsch (je fünf Euro).
Pfand, je zwei Euro, kommt dazu. Aber dreimal Pfand ist schon geleistet. „Was macht das“, fragt der Kunde. Gute Frage. Denn ab dem Extra-Schuss hat meine Kopfrechenkompetenz zur Gänze kapituliert. Und nichts hinterlassen außer Ratlosigkeit.
Seit 16. November ist der Weihnachtsmarkt am Spittelberg wieder geöffnet. 122 Stände laden Einheimische wie Touristen zum Flanieren und Konsumieren nach Wien, Neubau. Zum zweiten Mal mit dabei ist Earl Sherwin Valencia. Er führt das Lolo & Lola, ein philippinisches Restaurant in der Burggasse.
Dass er hier einen Punschstand betreiben darf, ist seinem Lokal geschuldet, denn nur Gastronomen, die am Spittelberg angesiedelt sind, ist das vorbehalten. Häferl-Waschstraßen gibt es aufgrund der engen Gassen nämlich nicht, genauso wenig wie mobile Toiletten. Für beides müssen die umliegenden Lokale herhalten. Ein Deal, den man gerne eingeht. Denn das Geschäft lohnt sich, wenn man weiß, worauf man achten muss, erzählt Valencia, während er sein fünf Quadratmeter großes Reich präsentiert.
Hier wird der KURIER einen Abenddienst verrichten und nebenbei ein paar anderen Stand-Betreibern einen Besuch abstatten. Aber erst nachdem die Karte studiert wurde. Speisen gibt es keine am Lolo-&-Lola-Stand. Das hat Valencia vergangenes Jahr probiert. Aufwand und Einnahmen standen aber nicht dafür. Stattdessen kredenzt er heuer 15 verschiedene Punschsorten. Je ausgefallener, desto besser, denn das spricht sich rum.
Konkurrenz belebt
Während die ersten Gäste versorgt werden und ich mühselig versuche, Rezepturen und Preise abzuspeichern, kommt der Betreiber vom Stand nebenan. Er wünscht einen erfolgreichen Abend und reicht gebrannte Mandeln. Ob es hier immer so freundschaftlich zugeht? „Es gibt schon Konkurrenz“, sagt Valencia.
„Teilweise stehe ich da und beobachte die Nachbarn, wie sie einen Punsch nach dem anderen verkaufen. Dann gibt es Phasen, wo es umgekehrt läuft.“ Zusammengehalten wird trotzdem. Man stimmt sich in der Preisgestaltung ab oder hilft sogar, die Umsätze der anderen zu steigern, solange es dem eigenen nicht wehtut, wie Kollege Hans Netuschill beweist.
Er verkauft Wurst und Wildschweinleberkäse aus Ottakring. „Das Geschäft ist gut, Gott sei Dank“, sagt er. Auf die Einnahmequelle Punsch verzichtet er. Stattdessen schickt er die Kunden ein paar Stände weiter, wenn sie etwas trinken wollen. „Der drüben macht sehr guten Punsch“, strahlt er und überreicht dabei eine Kostprobe seiner Käsekrainer.
Der Spittelberg zählt zu den größten Adventmärkten Wiens. Ab 2024 soll es neue Regeln geben, das Marktgebiet wird eingegrenzt
14 Weihnachtsmärkte gibt es allein in Wien
Am teuersten ist Schönbrunn. Über 70.000 Euro Bruttomiete soll ein großer Gastro-Stand dort kosten
Punsch & Glühwein rangieren preislich je nach Markt zwischen 2,20 und 7 Euro. Viele Preise sollen inflationsbedingt um 7 bis 8 Prozent gestiegen sein
Das Pfand kostet überall unterschiedlich. Am günstigsten in Wien ist es am Spittelberg mit zwei Euro. In Kitzbühel verrechnet man drei Euro, in Salzburg sind es vier. Die großen Märkte Wiens nehmen gerne fünf Euro pro Häferl
Geschlossen wird in Wien rund um Weihnachten. In Salzburg ist bis zum neuen Jahr geöffnet
Große und kleine Umsätze
Es ist ungefähr 19 Uhr als ich die 150er-Marke an verkauften Heißgetränken knacke. Wie viele es insgesamt sein sollten? „Zwischen 250 und 300 pro Tag wären gut“, erklärt Earl Valencia, bevor er mich mit einer Fuhre benutzter Häferl durch die immer voller werdenden Gassen schickt. Und ich mich frage, wie sich das heute noch ausgehen soll.
Der Spittelberg wird von vielen Anrainern kritisch beäugt, gilt als Weihnachtsmarkt mit dem größten Widerstand in Wien und schließt deshalb früher als andere, nämlich um spätestens 21.30 Uhr. Überziehen ist nicht drin. Außer man möchte eine Verwaltungsstrafe riskieren, sagt Valencia, während sich plötzlich eine Traube an Menschen um den Stand bildet und ich es aus der Restaurant-Küche gerade noch rechtzeitig zurückschaffe.
Die Arbeit am Punschstand ist hektisch, insbesondere dann, wenn Häferl oder Kanister ausgehen und aufgefüllt werden müssen. Ist das der Fall, ist die Kundschaft geduldiger als erwartet
Den Punschstand unbeaufsichtigt lassen, kann man nicht. Zu groß ist der Andrang
Man hat vom Bananencremepunsch auf TikTok gehört und will diesen jetzt kosten. Ab dem Zeitpunkt werden die Zapfhähne nicht mehr stillstehen. Kundschaft zieht nun mal Kundschaft an. Earl Valencia übernimmt das Kassieren und Rechnen. Ich schöpfe Punsch, nehme Pfand entgegen, tausche Kanister und befülle bis zu vier Häferl gleichzeitig. Mit wie viel Gewinn Standler am Ende einer Saison aussteigen, wäre interessant. Aber mit Zahlen hält man sich bedeckt, so Valencia, die sind ein Betriebsgeheimnis.
Genauso wie Gebühren für Gastronomie-Stände. Denn die variieren und werden selbst auf KURIER-Anfrage unter Verschluss gehalten. „Da gibt es 100.000 Dinge, die den Preis beeinflussen“, erklärt Michael Schmid vom Spittelberger Kulturverein.
Transparent sind hingegen die Kosten für Kunsthandwerk und Handel mit einer Basisgebühr von rund 900 bis 1.300 Euro pro Stand. Einen dieser Stände betreibt Renate Denk. Sie ist das erste Mal da, leider auch das letzte Mal, sagt sie. Nur 90 Euro soll sie mit ihren handgefertigten Glücksbringern an einem Tag umgesetzt haben. „Die meisten Besucher haben zehn Euro eingesteckt und die fließen in Erdäpfelpuffer und Punsch“, erkennt sie.
Annabell Hingerl kommt seit 15 Jahren extra aus Bayern, um am Spittelberg geröstete Nüsse und Süßigkeiten zu verkaufen. Hier ist es gemütlich, sagt sie
Renate Denk hätte sich etwas mehr Geschäft erhofft. Ihre im Weinviertel hergestellten Silvester-Glücksbringer und Holz-Dekorationen warten auf Abnehmer
Besinnliche Menschenmassen
„Jetzt muss es schnell gehen“, sagt Earl Valencia. In den letzten Minuten kann noch viel rausgeholt werden. Das Publikum ist schließlich erpicht, einen Absacker zu ergattern. Dennoch bin ich überrascht, wie friedlich die Stimmung ist. Tatsächlich weihnachtlich.
Betrunken ist keiner, übergeben hat sich dementsprechend niemand. „Ich habe mir das im vergangenen Jahr auch anders vorgestellt“, sagt Valencia, der mit vielen Alkoholisierten rechnete und positiv überrascht wurde. „Die müssen sowieso beim Trinken stehen und wenn sie nicht mehr stehen können, gehen sie heim“, lacht er.
Auch Annabell Hingerl, nur ein paar Meter weiter, schwärmt vom Spittelberger Publikum. Sie hat zuvor auf anderen, noch größeren Wiener Christkindlmärkten ihre gebrannten Nüsse verkauft. Seit 15 Jahren bleibt die Bayerin aber dem siebenten Bezirk treu. „Es geht hier gemütlich zu, nicht so kommerziell“, schwärmt sie, bevor sie sich wieder ihren gezuckerten Köstlichkeiten zuwendet. „Sie sind kleinlich, diese Mandeln. Wenn ich nicht aufpasse, sind sie sofort beleidigt und brennen an. Das wollen wir nicht.“
Als die Uhrzeiger auf 21.30 Uhr springen, weiß ich gar nicht, wie mir geschieht. Gerade überreiche ich noch einen Becher Glühwein, als Earl Valencia in Sekundenschnelle alle Luken seines Punschstands schließt. Ob wir trotz Sperrstunde nicht zumindest Häferl annehmen dürfen, frage ich und bekomme ein Nein. Hier wird sich an die Regeln gehalten. Bedeutet: „Wir verstecken uns jetzt und putzen bis alle weg sind“, sagt er und drückt mir einen Schwamm in die Hand.
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