Arbeitsmarkt im Wandel: Warum der Dienstleistungssektor boomt
Das neue Jahr war noch keine Woche alt, da waren 17 der wichtigsten Jobs im Land neu besetzt – und andere wurden überflüssig, wie etwa der einer Übergangskanzlerin. Während Wechsel auf Regierungsebene in diesem Jahr weniger werden sollten, müssen sich normale Arbeitnehmer auf einen Jobmarkt im Wandel einstellen. In vielen Bereichen werden neue Stellen geschaffen, andere fallen durch Automatisierung oder einen geringeren Bedarf weg.
Die neue Regierung will die Weichen für eine bessere Zukunft des Arbeitsmarktes stellen, indem sie die Lohn-, Einkommen- und Körperschaftsteuer senkt, Lehrberufe modernisiert und Fachkräfte mithilfe einer reformierten Rot-Weiß-Rot-Karte ins Land holt.
Wo Politik gemacht wird, muss man auf Kritik nicht lange warten. So moniert etwa die Arbeiterkammer (AK), dass Arbeitnehmer nicht die Hauptprofiteure der neuen Koalition seien, vieles im türkis-blauen Programm „auf Konzerne und Superreiche“ ausgerichtet sei, so AK-Präsidentin Renate Anderl. Lob kommt hingegen vom Hotellerie-Fachverband – vor allem für die geplante Senkung der Lohnnebenkosten und die Anpassung der Abschreibungsdauer.Gesucht: Händler, Gebäudereiniger, Köche
Wir haben die AMS-Zahlen zu freien Stellen in den einzelnen Bundesländern im Durchschnitt des vergangenen Jahres ausgewertet. Spitzenreiter unter den begehrten Mitarbeitern sind Händler, Ein- und Verkäufer: Im Ranking der Stellenausschreibungen liegen sie in fünf Bundesländern auf dem ersten Platz, in den übrigen vier auf dem zweiten.
Ebenfalls sehr gefragt – in sechs Bundesländern unter den Top 3 – sind Mitarbeiter in Hotels und Gaststätten, ausgenommen Köche und Gehilfen sowie Gebäudereiniger und Wäscher. Die Köche und Küchengehilfen wiederum sind in fünf Bundesländern die drittmeistgesuchten Arbeitnehmer. Die mit Abstand meisten Stellen waren in Oberösterreich ausgeschrieben – an erster Stelle für Mitarbeiter in der Produktion.
Zwischen 21.000 und 37.400 neue Jobs
Der Wandel am Arbeitsmarkt vollzieht sich schleichend, aber er macht sich bemerkbar. Noch schreiben Experten in ihren Prognosen, dass 2020 in Österreich ein neuer Rekordwert von 4,5 Millionen Beschäftigten erwartet wird. Unterm Strich sollen allerdings nur zwischen 21.000 und 37.400 neue Jobs geschaffen werden – hier variieren die Zahlen, je nach errechnetem Wirtschaftswachstum. Im Vorjahr wurden in Österreich allerdings noch 59.800 neue Arbeitsplätze geschaffen.
Zudem erwarten Ökonomen zum ersten Mal seit drei Jahren wieder steigende Arbeitslosenzahlen. Nachdem diese 2019 noch spürbar verringert werden konnten (-9.800), prognostiziert die Synthesis Forschung GmbH im Auftrag des AMS für 2020 erstmals wieder einen Anstieg der Arbeitslosenzahl um 8.300.
Weniger Stellen, höheres Angebot an Arbeitskräften
Selbst wenn Betriebe im laufenden Jahr ihre Personalstände aufstocken, so werden sie mit abkühlender Konjunktur vorsichtiger in der Schaffung neuer Jobs. Darin sind sich Experten des Synthesis-Instituts und der Unternehmensberatung Ernst & Young (EY) einig. 2019 noch suchten Unternehmen mehr Personal als zur Verfügung stand.Laut Synthesis-Forscher Wolfgang Alteneder wird sich das Verhältnis nun umdrehen. Rund 43.700 Arbeitskräfte mehr werden 2020 nach einem Job suchen. Die Lage ist noch nicht dramatisch, AMS-Vorstand Johannes Kopf gibt Entwarnung: „Das tiefe Tal sehe ich noch nicht, eher eine moderat schwächere Entwicklung.“
Überblick: Der Wandel am Jobmarkt
Bis zu 10.000 mehr Arbeitslose
Nach drei guten Jahren in Folge ist es mit sinkenden Arbeitslosenzahlen in Österreich wohl erst einmal vorbei, zeigt eine Prognose, die vom Forschungsinstitut Synthesis im Auftrag des AMS durchgeführt wurde. Der Aufwärtstrend am heimischen Arbeitsmarkt soll an Fahrt verlieren, 2020 wird es erstmals wieder steigende Arbeitslosenzahlen geben. Das AMS rechnet „mit einem moderaten Anstieg der Arbeitslosigkeit um 5.000 bis 10.000 Personen“ – die Synthesis-Studie schätzt die Zahl auf etwa 8.300.
Die Erwerbslosenquote in Österreich wird sich laut einer EY-Analyse auf etwa 4,5 Prozent einpendeln. Ein Grund ist, dass mehr Arbeitskräfte nach einer Stelle suchen und gleichzeitig weniger Jobs geschaffen werden. Zudem sei die Stimmung in der Industrie angespannt, so Gunther Reimoser, Country Managing Partner von EY Österreich. Wegen ausbleibender Auslandsaufträge wurden zuletzt Umsatzrückgänge verzeichnet – und gerade in diesem Sektor wurden in den vergangenen Jahren die meisten Jobs generiert. „Das fordert seinen Tribut. Firmen werden vorsichtiger, wenn es darum geht, Stellen zu schaffen.“
Zwischen 21.000 und 37.400 neue Jobs
Die gute Nachricht: Österreichs Unternehmen schaffen auch in einer konjunkturell kühlen Phase weiterhin Jobs – wenn auch etwas weniger. Dabei variieren die Zahlen der Ökonomen. EY rechnet für 2020 mit 21.000 neuen Arbeitsplätzen, die Synthesis-Studie hingegen beziffert 37.400 zusätzliche Jobs. Zum Vergleich: 2019 waren es 59.800. „Die Zahlen unterscheiden sich insofern, als dass wir von einem geringeren Wirtschaftswachstum ausgehen“, erklärt Gunther Reimoser von EY Österreich.
EY errechnet für Österreich ein realwirtschaftliches Wachstum von einem Prozent, Synthesis geht von 1,2 Prozent aus. Einig sind sich beide Institute dahingehend, dass die meisten Jobs im Dienstleistungssektor entstehen werden (plus 0,7 Prozent), Beschäftigungen in der Industrie (-0,3 Prozent) sowie Land- und Forstwirtschaft (-0,9 Prozent) hingegen gehen leicht zurück. Zugpferd der nächsten Jahre ist die Digitalisierung: Autoren der „Future of Work“-Studie von EY gehen davon aus, dass bis 2030 die IT um 38.000 auf bis zu 106.000 Arbeitsplätze und der Finanzbereich um 18.000 auf 148.000 Stellen anwachsen werden.
Wo neue Jobs entstehen oder wegfallen
Rückgänge in der produzierenden Industrie
Seit 2016 war vor allem die warenerzeugende Industrie für die Schaffung neuer Arbeitsplätze verantwortlich. 2019 wurden in der Warenerzeugung noch 12.400 neue Jobs gezählt – insbesondere Branchen wie Fahrzeug- und Maschinenbau oder Betriebe der Metall- und Elektroindustrie weiteten ihre Belegschaft spürbar aus. Weil sich die Weltwirtschaft nun eintrübt, werden Ökonomen zufolge vor allem exportorientierte Unternehmen weniger Personal brauchen.
„Viele Industriebranchen, wie etwa Automobilzulieferer, stecken mitten in einem technologischen Umbruch. Traditionelle Arbeitsplätze werden wegfallen, während woanders neue Stellen entstehen“, so Gunther Reimoser von EY. Allerdings: „Firmen bauen nicht sofort Jobs ab“, beruhigt Synthesis-Studienautor Wolfgang Alteneder. „Aus Sorge, beim nächsten Aufschwung nicht genügend Personal zu haben.“ Weitere Rückgänge soll es im Kredit- und Versicherungswesen sowie in der Energieversorgung geben. „Vom wirtschaftlichen Abschwung sind vor allem Geringqualifizierte und ältere Arbeitnehmer über 50 betroffen“, so der Experte.
Handel und Gastronomie schaffen Jobs
Der Löwenanteil der neuen Jobs wird 2020 aus der Dienstleistungsbranche kommen. Bereits 2019 entstanden dort zwei Drittel der neuen Arbeitsplätze: die größten Stellenzuwächse wurden mit 5.600 im Handel und 4.700 in der Beherbergung und Gastronomie verzeichnet. Heuer sollen hier bis zu drei Viertel aller neuen Jobs entstehen – damit löst die Dienstleistungsbranche die Industrie, den Jobmotor der vergangenen Jahre, ab.
„Generell werden digitale Kompetenzen wichtiger und daher profitieren von den neuen Jobs vor allem Höherqualifizierte, die sich weiterbilden“, erklärt Gunther Reimoser von EY. Traditionelle Arbeitsplätze werden weniger, doch mit zunehmender Digitalisierung von Dienstleistungen werden mehr Jobs in der IT, Forschung und Entwicklung entstehen. „Mit steigendem Personalbedarf ist auch innerhalb der Bauwirtschaft zu rechnen, sowie bei freiberuflichen, wissenschaftlichen und technischen Dienstleistungen“, zählt Synthesis-Experte Alteneder auf. Jene Jobs entstehen wegen der hohen Nachfrage nach Wohnraum bzw. des Auslagerns von Aktivitäten (Outsourcing) an externe Firmen.
Skills: Was man können muss
Körperliche Arbeit und Controlling weniger gefragt
Die Digitalisierung verändert die Arbeitswelt. Maschinen und Roboter übernehmen immer mehr Aufgaben, Künstliche Intelligenz macht selbst akademische Berufe überflüssig. Damit wandeln sich auch die Kenntnisse, die auf dem Arbeitsmarkt gefragt sind. Nicht nur körperliche Arbeit verliert an Bedeutung, auch das Managen von finanziellen und anderen Ressourcen. Handwerkliche Fähigkeiten, Ausdauer und Präzision, ein gutes Gedächtnis und räumliches Vorstellungsvermögen, das Management von Ressourcen sowie die Installation und Wartung von Technik werden laut „Future of Jobs Report“ des Weltwirtschaftsforums künftig weniger gebraucht.
Ebenfalls unwichtiger wird, was in den Schulen – noch – als Grundlage gilt: Lesen, Schreiben, Mathe und aktives Zuhören. Aus- und Weiterbildung ist somit eines der wichtigsten Ziele im neuen Jahr – für Unternehmen und Arbeitnehmer. Doch eine Erkenntnis des Weltwirtschaftsforums weist auf ein grundlegendes Problem: Mitarbeiter, in die die Unternehmen am wenigsten investieren wollen, sind diejenigen, die Weiterbildung am meisten brauchen.
Technisches und menschliches Verständnis zählen
„40 Prozent aller Jobs, in denen wir 2030 arbeiten, sind heute noch nicht erfunden“, sagt Hannes Schwaderer, Intel-Manager und Co-Präsident des Digitalisierungsnetzwerkes A21Digital. Die Verantwortlichen fordern, junge Menschen gezielt auf den Arbeitsmarkt der Zukunft vorzubereiten – mit der Vermittlung digitaler Kompetenz „im Sinne einer vierten Kulturtechnik“. Dateanalysten, Software- und App-Entwickler sowie Spezialisten für Internethandel und Soziale Medien – auch die Experten des Weltwirtschaftsforums sehen einen wachsenden Bedarf an Jobs, die auf neuen Technologien beruhen.
Gleichzeitig werden menschliche Fähigkeiten wichtiger, wie ihre Befragung von Unternehmen weltweit zeigt: Analytisches Denken und Innovation, aktives Lernen und Lernstrategien sowie Kreativität, Originalität und Initiative sind die Top 3 der Zukunfts-Fähigkeiten. Erst dann folgt Programmieren und technisches Design. Auf dem fünften Platz der gefragten Fähigkeiten für den Arbeitsmarkt von morgen und übermorgen steht etwas, das Maschinen und virtuelle Netze wohl nicht so bald ersetzen können: kritisches Denken und Analysieren.
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