Wall Street: Börsen im US-Wahlfieber

Wall Street: Börsen im US-Wahlfieber
Warum die Pandemie einen größeren Einfluss auf die Börse hat, als die Präsidentschaftswahl.

In wenigen Tagen fällt die Entscheidung: Geht der amtierende US-Präsident Donald Trump in seine zweite Amtszeit oder wird mit Joe Biden ein neues Gesicht der 46. Mann als Staatsoberhaupt der Vereinigten Staaten von Amerika?

Wie auch immer die Wahl ausgehen wird – für die Börsen ist das relativ egal, sagt Friedrich Strasser, Mitglied des Vorstands bei der Privatbank Bank Gutmann. „Als Asset Manager ist die wichtigste Aussage für mich: Ich bin froh, wenn es vorbei ist. Die Märkte werden sich mit dem nächsten Präsidenten arrangieren, da habe ich keine Sorge.“

Wilde Spekulationen

In den vergangenen Monaten – vor allem vor Corona – war ja stark spekuliert worden, welches Wahlszenario sich wie auf den amerikanischen Börseplatz auswirken könnte. Strasser hält auch die kolportierte Angst davor, dass ein Demokrat von einem Republikaner das Amt übernehmen werde, für unbegründet.

Zwar werde die befürchtete Anhebung der Corporate Tax von aktuell 21 Prozent unter Biden kommen. Der Spielraum sei durch Corona aber ohnehin ein sehr geringer – die Steuer werde daher bei 25 Prozent anstelle der kolportierten 28 Prozent zum Liegen kommen.

„Auch die große Angst, dass das Monopol der IT-Companies wie Google & Friends zerschlagen werden könnte, ist bis auf Weiteres von der Agenda. Im Moment gibt es ganz andere Probleme.“ Gemeint ist natürlich die Corona-Pandemie.

Einzig die Gesundheitstitelkönnten unter Biden ob der Diskussion rund um eine staatliche Kostenregelung im Sinne einer „Bodengare“ mit Skepsis betrachtet werden, vermutet Strasser.

Wahlausgang unerheblich

Für die Börse ist der Ausgang der Wahl also unterm Strich relativ unerheblich – vorausgesetzt, Trump erkennt das Wahlergebnis im Falle einer Niederlage an. Falls nicht, wäre das eine Verunsicherung, die „natürlich“ zu einer Volatilität der Märkte führen würde, so Strasser.

Schon 2016 war der Schock über Trumps Sieg an den Börsen ein äußerst kurzer. Wohl auch, weil damit die noch unternehmerfreundlicheren Republikaner wieder den Präsidenten stellten.

Ähnlich sieht das auch Olivier de Berranger, Investmentchef bei der französischen Fondsgesellschaft lüde. Wiewohl vor allem rund um seine Corona-Erkrankung zusehends Eskapaden eines unruhigen Donald Trump zu erkennen sind  – die Finanzmärkte scheinen davon unbeeindruckt, so verringer.

Sinkende Volatilität

Die sinkende Volatilität der Aktien „ist ein Signal, dass die Nervosität des Präsidenten nicht zu den Anlegern durchdringt, vermutlich, weil ein deutlicher, schwer anfechtbarer Sieg der Demokraten immer wahrscheinlicher wird.“

Damit könnten die Bären am Aktienmarkt in den Winterschlaf geschickt werden, so die bildhafte Interpretation des Investmentexperten – obwohl es auch 2016 einen sehr überraschenden Wahlausgang gab.

Könnte sich der nicht auch wiederholen? Randee Somer, Portfolio Manager beim Fondsanbieter M&G, weist darauf hin, dass nach dem Zweiten Weltkrieg nur Jimmy Carter und Richard Nixon nicht wiedergewählt wurden.

Entwicklung der Pandemie ist ausschlaggebend

„In beiden Fällen war die Wirtschaft in einem schlechten Zustand.“ In Wirtschaftsfragen würde laut Umfragen die Mehrheit der US-Bürger weiterhin Trump mehr vertrauen als Biden. Nicht zuletzt auch, weil infolge der Corona-Hilfen das verfügbare monatliche Durchschnittseinkommen von 1.650 auf 1.730 Dollar stieg, zeitweise waren es sogar 1.900 Dollar.

Für Christopher Smart, Chefstratege und Leiter des Barings Investment Institute, ist die Wahl „ohne Zweifel eine der krassesten Entscheidungen seit Langem“.

Und doch werde bei allen Unterschieden zwischen den Kandidaten die wirtschaftliche Erholung und die Entwicklung der Finanzmärkte im nächsten Jahr weit mehr von der Entwicklung der Pandemie als von der Wirtschaftsagenda des Weißen Hauses abhängen.

Folgen schwer vorhersehbar

„Klar ist, Investoren werden in beiden Fällen von einer unterstützenden Politik profitieren, aber die Folgen auf bestimmte Branchen sind viel schwieriger vorherzusagen“, sagt Smart.

Angesichts der anhaltenden monetären Unterstützung durch die Fed und eines nach wie vor wahrscheinlichen Konjunkturpakets dürfte dies ein günstiges Umfeld für Aktien-, Kredit- und Privatmärkte sein, aber die Chancen werden je nach Region, Sektor und einzelnen Unternehmen unterschiedlich sein. „Die Investoren werden sorgfältig auswählen müssen“, so Smart.

Die gute Nachricht sei, dass sowohl Trump als auch Biden sich darin einig seien, dass es mehr Anreize brauche.

Finanzminister Steven Mnuchin und die Sprecherin des Repräsentantenhauses, Nancy Pelosi, stehen Berichten zufolge kurz vor einem 2 Billionen Dollar-Deal. Das Bekenntnis der Fed zu ihrem umfangreichen Instrumentarium bedeute, dass die Geldpolitik für reichlich Liquidität und niedrige Zinsen sorgen werde.

Verschiedene Standpunkte

Die Kandidaten selbst vertreten laut Barings-Experten Smart verschiedene politische Ideologien, weshalb sich auch unterschiedliche Auswirkungen der Wahl auf wichtige Sektoren ableiten ließen.

Trump betont demnach niedrigere Steuern und weniger Regulierung, während Biden höhere Steuersätze für Unternehmen und wohlhabende Haushalte und mehr staatliche Eingriffe in Klimapolitik, Gesundheitsversorgung und Energie vorsieht.

Die Auswirkungen auf den Infrastruktursektor sind Smart zufolge relativ einheitlich: Trump versprach ein Infrastrukturprogramm in Höhe von 1,5 Billionen Dollar, das sich stark auf die Hebelwirkung privater Finanzierung stützte, aber es kam im Kongress ins Stocken.

Biden hat bis zu 2 Billionen Dollar für traditionelle Projekte wie Straßen, Brücken und öffentliche Verkehrsmittel vorgeschlagen, sieht aber auch steigende Investitionen in den Breitbandausbau vor.

M&G-Fachmann Randeep Somer erwartet hier von einer möglichen Präsidentschaft Bidens mehr. Denn Trump habe demokratisch geführte Bundesstaaten bisher in diesem Bereich wenig unterstützt.

Im Energiesektor sticht vor allem Bidens Versprechen heraus, dem Pariser Klimaabkommen wieder beizutreten und den Übergang zu erneuerbaren Energien zu beschleunigen, was der Wind-, Solar- und Batteriespeicherindustrie zugutekommen sollte. Das könnte Ölgesellschaften zusetzen, vermutet Somer. Im Gegenzug wären möglicherweise Greentech-Firmen im Aufwind.

Herausforderungen bleiben

Was letztlich in dieser Zeit erbitterter Debatten und großer Emotionen deutlich wird, ist, dass die wirtschaftlichen Herausforderungen des Landes ungeachtet des Siegers bestehen bleiben werden.

„Ein kluger Investor wird das sich auftuende Drama genau beobachten, mit einem Auge auf eine Erholung, die an Schwung zu verlieren scheint, und einem anderen Auge darauf, wie eine neue Regierung und der Kongress Wahlkampfrhetorik in Politik übersetzen“, so Somer.

Was einen viel größeren Einflussauf die Börse zu haben scheint als die Wahl, ist die Corona-Pandemie. Unabhängigkeit vom Wettbewerb großer Konzerne ist daher eine der Strategien, die Bank Gutmann in ihrem Aktienportfolio fährt. Friedrich Strasser vergleicht das gerne mit der Schaufel, die man dem Goldgräber verkauft. „Wir schauen uns an, was alle brauchen.“

Im Portfolio: Pharma und IT

So setzt die Bank etwa auf Equinix, ein Konzern, der Hochgeschwindigkeitsrechenzentren betreibt, die alle IT-Firmen brauchen – unabhängig davon, wer gerade die Nase vorn hat. Ähnliches gilt für den Gesundheitsbereich.

Dem Rennen um einen Corona-Impfstoff sieht man bei der Bank Gutmann aber gelassen entgegen. „Wir haben einige der Firmen, die da im Rennen sind, tatsächlich im Portfolio. Aber nicht wegen des möglichen Impfstoffs, sondern weil sie gute Pharmafirmen mit einem guten Produktmix sind.“

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