Toxische Positivität
Grundsätzlich versteht man darunter den Druck „trotz schwieriger oder sehr belastender Situationen, nur positive Gefühle oder Gedanken ausdrücken zu müssen“, sagt Glückstrainerin und Mentalcoach Katharina Mühl. „Wenn ich also das Gefühl habe, dass ich immer freudestrahlend durchs Leben gehen muss und das auch von anderen verlange, fällt es unter toxische Positivität.“
Auf sozialen Medien findet dieser Lebensstil unter dem Spruch „Good Vibes Only“ (Nur gute Stimmung erlaubt) sogar eine Fangemeinde. Trotzdem stößt die „Positivity-Bewegung“ nicht nur auf glückliche Gesichter.
Positiv, bis man platzt
Dass man zu positiv sein kann, wirkt zunächst etwas absurd. Immerhin ist eine positive Einstellung laut Studien sogar von Vorteil. Selbst Mühl sagt: „Wenn ich immer vom Schlimmsten ausgehe, ist es wahrscheinlicher, dass ich nicht das optimale Ergebnis erreichen werde.“
Positivität wird erst zum Problem, wenn man das Negative ignoriert: „Wir brauchen nicht nur gute Gefühle, um glücklich zu sein“, erklärt die Glücksexpertin. „Wenn wir unsere unangenehmen Gefühle einfach unterdrücken, spalten wir einen Teil von uns ab.“ Außerdem verschwinden diese Gefühle nicht, „sie schlummern im Untergrund weiter, bis sie platzen.“ Was wiederum psychische oder physische Erkrankungen verursachen könnte.
Und nicht nur das: Durch den Wunsch nach null Negativität übersieht man wertvolle Informationen über sich: „Negative Gefühle zeigen uns, dass mindestens eines von unseren Bedürfnissen nicht erfüllt ist“, sagt Mühl.
Gift für die Arbeit
Im Job kann sich der „Good-Vibes-Only“-Trend auf das Arbeitsklima auswirken: „Aus Sorge zu negativ zu wirken, sind manche Mitarbeiter ihren Vorgesetzten gegenüber nicht ehrlich.“ So bleibt Kritik unausgesprochen oder es wird gezögert, um Hilfe und Unterstützung zu bitten, was sich wiederum auf die Produktivität auswirkt.
Durch das strikte positive Denken könnten auch Risiken übersehen werden: „Menschen, die Hürden einplanen, sind erfolgreicher, als jene, die es nicht tun. Weil sie sich auf Rückschläge vorbereiten können. Das heißt nicht, dass man stundenlang überlegen soll, wie man scheitern könnte.“ Man sollte sich nicht fragen, ob, sondern wie es klappen könnte.
Weiter nörgeln
Haben chronische Nörgler also einen Business-Vorteil? Katharina Mühl meint: „Gerade Wien ist für seinen Grant bekannt. Manchmal macht das Jammern als Bewältigungsstrategie Sinn und könnte sogar charmant wirken.“
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