Unruhe in Frieden, Wissenschaft

7000 Menschen protestierten gegen die Abschaffung des Wissenschaftsministeriums am Wiener Minoritenplatz
Das Wissenschaftsministerium ist Vergangenheit, Trauer und Proteste auf den Straßen

Schwarze Flaggen wehten am Montag an den österreichischen Universitäten. Bei der Angelobung der Regierung am Ballhausplatz skandierten ÖH-Vertreter mit Protestierenden: „Wir sind hier und wir sind laut, weil ihr uns die Wissenschaft klaut!“ Und appellierten an den Bundespräsidenten „Heinzi, dua’s net!“. Heinz Fischer tat es trotzdem. Später trugen Studierende die Wissenschaft vor dem Ministerium am Minoritenplatz im Sarg zu Grabe.

1970 hatte Kanzler Bruno Kreisky ein eigenes Wissenschaftsministerium eingerichtet und der Wissenschaft so einen wichtigen Stellenwert verliehen. Seit 16. Dezember sind Wissenschaft und Hochschulen erstmals in der Geschichte Österreichs dem Wirtschaftsminister unterstellt.

Eine Symbolik, die diese Woche weitere Proteste und scharfe Reaktionen provozierte: 7000 Studierende folgten am Dienstag Nachmittag dem Aufruf der ÖH auf den Minoritenplatz – Trillerpfeifen- und Trommelkonzert inklusive. Auch an den Unis Graz, Salzburg und Innsbruck wurde heftig protestiert. Die Rektoren richteten Wirtschaftsminister Reinhold Mitterlehner über die Medien aus, „sehr unangenehme Partner“ sein zu wollen, der entsorgte Wissenschaftsminister Karlheinz Töchterle stimmte am Dienstag im Nationalrat für den Antrag der Grünen und NEOS auf Beibehaltung des Wissenschaftsministeriums. Die ÖH sammelte rund 18.800 Unterschriften per Onlinepetition, die Uni-Professoren etwa 500, die Facebookseite „Österreich braucht ein Wissenschaftsministerium“ hatte rund 59.400 Likes (Stand jeweils Donnerstag).

Angst vor Kommerz

Die Protestgruppen warnen vor einer Ökonomisierung von Wissenschaft und Hochschullehre. Sprachwissenschaftlerin Katharina Brizić, beim Protest gegen die Regierungsangelobung dabei, ist froh über ihren Forschungsaufenthalt an der US-Universität Berkeley: „Dieses wissenschaftlich eh schon unbedeutende Land wird nun international noch unbedeutender.“

Für Demonstrant Christian, TU-Student und wissenschaftlicher Mitarbeiter, müsse „die Wissenschaft frei sein, ohne kommerzielle Interessen dahinter. Ein Wirtschaftsministerium wird aber kein Interesse an Grundlagenforschung haben.“

Bei seiner Parlamentsrede am Dienstag trat Wirtschaftsminister Reinhold Mitterlehner diesen Befürchtungen entgegen, während ein Grüppchen zwischenrufender ÖHler Protest-Flugblätter auf ihn regnen ließ: „Von einer Auflösung ist keine Rede. Es bleiben Autonomie und Strukturen erhalten.“ Er wolle die Frage der Finanzierung lösen und auch die Potenziale der Forschung optimieren, „ohne die Grundlagenforschung zu beeinträchtigen.“ Der angeprangerten Symbolik will er „konkrete Politik“ entgegensetzen. Wie das in der Praxis aussieht, wird sich weisen.

Die Wissenschaft ist ab sofort im Wirtschaftsministerium angesiedelt – ist das gut?

Alexander van der Bellen: Politik lebt unter anderem auch von Symbolen. Diese Symbolik ist katastrophal. Zugunsten eines kompetenzlosen Familienministeriums wird das eminent wichtige Wissenschaftsministerium ins Wirtschaftsministerium entsorgt. Wissenschaft und tertiäre Ausbildung sind in der Prioritätenskala der neuen Bundesregierung damit unter „ferner liefen“ zu finden.

Wie schätzen Sie die Konsequenzen für Forschung und Lehre ein?

Die Wirtschaft ist an anwendungsnaher Forschung interessiert. Die Grundlagenforschung, die von den Universitäten und über den Wissenschaftsfonds betrieben wird, muss nun weiteres Aushungern befürchten. Die Folge würde ein Brain Drain sein: junge Forscher ohne Perspektive in Österreich wandern ins Ausland aus.

Einzige Hoffnung bleibt Wirtschaftsminister Reinhold Mitterlehner: Aufgewertet und im Zentrum der Macht kann er – wenn er will – mehr zugunsten der Universitäten durchsetzen als seine Vorgänger es getan haben.

Die Wissenschaft ist ab sofort im Wirtschaftsministerium angesiedelt – ist das gut?

Susanna Zapreva: Das hängt sehr stark davon ab, welche Prioritäten und Akzente künftig gesetzt werden. Diese Kombination birgt Chancen, aber auch Risiken. Durch Kooperation zwischen Wirtschaft und Wissenschaft entstehen Innovationen, die Standortvorsprung bedeuten. Andererseits besteht aber auch die Gefahr, dass die Wissenschaft nicht die erforderliche Aufmerksamkeit und Unabhängigkeit bekommt. Mir persönlich hätte eine Unabhängigkeit der Wissenschaft sehr gut gefallen. Wie schon Benjamin Franklin, Gründungsvater der USA, sagte: „Nichts ist entweder gut oder schlecht. Es sind unsere Gedanken, die es dazu machen.“

Wie schätzen Sie die Konsequenzen für Forschung und Lehre ein?

Ich hoffe, dass die Wissenschaft durch die Nähe zur Wirtschaft mehr Finanzmittel bekommt. Das wäre für Österreich sehr gut. Gerade in der Energiebranche brauchen wir neue Technologien und Lösungen, die eine Energiewende hin zu mehr Energieeffizienz und erneuerbare Energien möglich machen.

Die Wissenschaft ist ab sofort im Wirtschaftsministerium angesiedelt – ist das gut?

Günther „GunklPaal: Nein. Wissenschaft und Forschung sind grundsätzlich interessensungebundene Veranstaltungen. Da hat niemand etwas dreinzureden, da werden Befunde über die Welt erstellt, nach bestem Wissen und Gewissen, da wird herausgefunden, wie es denn ist. Diese Befunde werden zur Diskussion gestellt. An dieser sind verschiedene Stimmen mit der jeweiligen – ausweispflichtigen – Interessenslage beteiligt. Wirtschaft ist eine intrinsisch interessensgesteuerte Veranstaltung. Zumal in der neoliberalen Form: reich werden auf Kosten anderer. Wenn man Wissenschaft vor diesen Karren spannt und dem selben Anspruch, nämlich „unabhängig“, dann beraubt man die Erkenntnis als Basis gesellschaftlichen Diskurses ihrer Glaubwürdigkeit.

Wie schätzen Sie die Konsequenzen für Forschung und Lehre ein?

Auf lange Sicht ist das natürlich ein Debakel. Das legt den Schluss nahe, dass das nicht passiert ist. Sondern von Menschen beabsichtigt, die, wie in der Wirtschaft üblich, in Quartalszahlen.

Die Wissenschaft ist ab sofort im Wirtschaftsministerium angesiedelt – ist das gut?

Florian Kraushofer: Schon jetzt gibt es in der Wissenschaft viele Auftragsforschungen und die Drittmittelfinanzierung stellt einen wesentlichen Teil der Hochschulfinanzierung dar. Wissenschaft und Wirtschaft sind in vielen Punkten nicht kompatibel. Forschung unter wirtschaftlichem Kalkül zu betrachten wird weiter dazu führen, dass wichtige Grundlagenforschung die kurzfristig keinen wirtschaftlichen Nutzen zeigt, vernachlässigt wird und gegenüber der angewandten Forschung das kürzere Los zieht.

Wie schätzen Sie die Konsequenzen für Forschung und Lehre ein?

Eine Zuordnung der Wissenschaften zur Wirtschaft lässt darauf schließen, dass der Bereich der Drittmittel (und somit Forschung unter wirtschaftlichem Kalkül), in den nächsten Jahren wichtiger wird. Grundlagenforschung und Geisteswissenschaften sind somit gefährdet. Für einen Minister, der die Abläufe im Wissenschaftsbereich nicht kennt, wird es schwierig, nicht dem Diktat der Wirtschaft von außen zu folgen.

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