Über den ungleichen Zugang zu Homeoffice

Über den ungleichen Zugang zu Homeoffice
Die Mehrheit der Jobs erfordert noch immer Anwesenheit, trotz Pandemie. Die neue Kluft von Präsenz- und Distanzarbeit.

"Ich mache diese Arbeit seit zwölf Jahren. Aber solche Extremen, wie während der Hamsterkäufe, habe ich noch nie erlebt – und ich will sie auch nie wieder erleben“, erzählt Michael Distl, Speditionsleiter für nationalen Verkehr des Logistikunternehmens Müller.

"Was meine Kollegen im Transport von frischen Lebensmitteln geleistet haben, war kaum zu bewältigen. Es gab mehr Ladungen und Nachfrage, als Frachtraum.“ Distl selbst hat in den Spitzenzeiten sieben Tage die Woche vor Ort durchgehend gearbeitet. "Die ersten Wochen waren ein Graus, anfänglich war ich verzweifelt, es war zu viel. Doch dann kamen die Arbeitslosenzahlen und die Verzweiflung wich der Demut, dass ich eine Arbeit habe – die noch dazu so wichtig ist“, berichtet Distl über die Wochen des Lockdowns. Ein Systemerhalter.

Die Präsenz-Branchen

Die Logistik und der Verkehr fallen mit 61 Prozent unter die Top-Drei-Branchen, in denen  auch während des Lockdowns weitergearbeitet wurde – musste. Auch Beschäftigte im Gesundheits- und Sozialwesen (73 Prozent) kehrten täglich an ihre regulären Arbeitsplätze zurück, sowie im Handel (65 Prozent), hier vor allem im Lebensmitteleinzelhandel. 

Auch, wenn in den vergangenen Wochen viel über den "Megatrend“ Homeoffice gesprochen wurde – nicht alle Jobs lassen sich aus der Distanz erledigen.

Daran ändern auch neue Technologien nichts – nicht einmal in Zeiten einer Pandemie. Wie eine Erhebung der Arbeiterkammer zeigt, saßen zwar 42 Prozent der Arbeitnehmer ab 16. März im Homeoffice, für die anderen 58 Prozent war so eine Umstellung aber überhaupt nicht möglich.

Eine Frage der Aufgabe

"Die Chance auf einen Homeofficezugang steigt mit dem Ausmaß an kognitiven Tätigkeiten bei der Arbeit, während manuelle Tätigkeiten zu einer Verringerung dieser Chance führen“, bringt es die deutsche Arbeitsmarktexpertin Alexandra Mergener in einer Publikation auf den Punkt.

Heißt: Wer eMails bearbeitet, forscht, recherchiert oder berät, hat weitaus größere Chancen auf Heimarbeit als jemand, der Waren transportiert, reinigt, pflegt, Regale einschlichtet, Dinge repariert oder Post zustellt.

Die Möglichkeit auf Homeoffice sei eine Segmentdebatte, ergänzt Anna Nowshad,  Director im Bereich Consulting Human Capital. Das bedeutet:  Auch innerhalb eines Betriebes gibt es Unterschiede innerhalb der Belegschaft, es kommt auf die Art der Tätigkeit an. Auch sie ist der Meinung: Kognitive Aufgaben sind leichter aus dem Homeoffice zu machen, als physische Arbeiten: "Hebammen und Pfleger müssen klarerweise vor Ort sein“, so Nowshad.

Die neue Kluft

Corona machte einerseits eine hohe Zahl an nicht-digitalisierbaren Jobs sichtbar, zum anderen verdeutlichte die Krise auch, wie ungleich die Chancen auf einen Homeofficezugang sind.Die Arbeitswelt wird geteilt in  Präsenz- und Distanz-Arbeit.

Und hier öffnet sich die Schere zum ersten Mal: Während vor allem Akademiker (60 Prozent) und jeder zweite mit Matura geschützt von zu Hause aus arbeiten konnte, war nur jeder vierte mit Lehrabschluss im Homeoffice und nur jeder siebte Arbeitnehmer mit Pflichtschulabschluss, ergab eine Studie der Uni Wien.

"Die Homeoffice-Debatte ist elitär und privilegiert“, führt Karin Steiner aus, Geschäftsführerin der Wissenschaftliche Vereinigung für Analyse, Beratung und interdisziplinäre Forschung (abif). Weil es hauptsächlich für Leute mit einem höheren Bildungsniveau in Frage käme, so die Expertin.

"Es ist eine soziale Frage: Wer hat die Möglichkeit, eine akademische Ausbildung zu machen, wer wurde in der Jugend gefördert, wer hat das Bildungssystem nach der Pflichtschule verlassen“, erklärt Steiner.   

Die Corona-Schere öffnet sich ein weiteres Mal, wenn man die Homeoffice-Chancen nach Einkommen betrachtet.  Wer weniger als 1.350 Euro netto verdient, kann nur zu 21 Prozent im Homeoffice arbeiten, wer über 2.700 Euro netto verdient, fast zu 60 Prozent.

Auch die Faktoren Unsicherheit, Stress oder gesundheitliches Risiken während des Lockdowns waren ungleich verteilt, weist die Arbeiterkammer in ihrer Erhebung nach. Rund  450.000 Menschen, insbesondere jene in Handwerksberufen, PflegerInnen, RegalbetreuerInnen oder PolizistInnen, fühlten sich einem erhöhten Arbeitsrisiko ausgesetzt. Mehr als die Hälfte klagte über Zeitdruck, zwei Drittel über schlechte Gesundheitsbedingungen, knapp ein Drittel fühlte sich nicht ausreichend vor dem Coronavirus geschützt.

Auch eine Umfrage der Uni Wien zeigt, dass sich 30 Prozent der Arbeitnehmer, die an ihrem regulären Arbeitsort und somit an vorderster Front arbeiteten,  oft oder sehr oft angespannt fühlten, 21 weitere Prozent sogar aufgebracht.  Personen, die im Homeoffice arbeiteten, hatten solche Gefühle signifikant weniger.


Von der Homeoffice-Welle wird nur ein kleiner Teil der Arbeitswelt erfasst – trotzdem glaubt Reinhard Raml, Geschäftsführer des Instituts für empirische Sozialforschung (Ifes), dass diese Entwicklung nicht ohne Spuren bleiben wird. "Vor der Krise haben etwa 14 Prozent der Arbeitnehmer in Österreich ab und zu bis regelmäßig Erfahrungen mit Homeoffice gemacht.

Nun waren es über 40 Prozent. Wenn sich so viele Menschen plötzlich anders verhalten, anders arbeiten, bringt das schon strukturelle Veränderungen mit sich.“ Nur, in welche Richtung es sich drehen wird, könne man noch nicht sagen.

"Die Kluft in der Arbeitswelt könnte sich verstärken – oder aber es geht in die völlig andere Richtung. Denn auch Homeoffice kann eine Bürde sein. Das wird sich aber erst langfristig zeigen.“

Auswirkungen auf die Jugend

Ob die aktuelle Debatte über die Zukunftsträchtigkeit des Homeoffice oder die Gewissheit, in manchen Berufen "an der Front“ zu bleiben und Systemerhalter zu sein, eine Auswirkung auf die Berufswahl junger Menschen hat, glaubt abif-Chefin Steiner nicht. 

Denn die Berufswahl werde vor allem  von den sozialen Möglichkeiten bestimmt.

"Nur für jene, die die Möglichkeit zum Studieren haben, stellt sich die Frage nach dem Traumjob. Für Höhergebildete entscheidet die Leidenschaft und das Interesse bei der Berufswahl – und nicht die Option auf Homeoffice“, so Steiner.   

Und auch bei jenen, die beispielsweise nach der Pflichtschule das Bildungssystem verlassen, gibt es, so Steiner, nur eine Handvoll  Berufsmöglichkeiten. „Die Frage, ob dabei Homeoffice möglich ist oder nicht, stellt sich also bei der Berufswahl der Jungen nicht.“

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„Mein Job ist krisensicher“ Claudia Hammer arbeitet als Paketzustellerin

Claudia Hammer arbeitet seit drei Jahren als  Paketzustellerin in St. Peter in der Steiermark, vorher war sie in  der Gastro tätig.  Im KURIER-Gespräch erzählt sie über ihre Arbeit in der Krise:
„Vor allem jetzt, während Corona, war ich froh, einen krisensicheren Job zu haben. Wäre ich in der Gastro geblieben, hätte ich jetzt keine Arbeit mehr, da hat es viele hart erwischt. In der Krise konnte ich normal weiterarbeiten, aber es war auch sehr stressig.  
Pro  Tag habe ich 200 Pakete zugestellt, so viele sind es normalerweise zu Weihnachten.  Aber die Leute konnten ja in keine Geschäfte und noch immer trauen sich viele nicht, einkaufen zu gehen – die Paketzahl ist nach wie vor sehr hoch. Deswegen habe ich natürlich auch länger gearbeitet, teilweise bis zu zehn, elf Stunden am Tag.  Ich bin kinderlos, aber die Arbeit mit Kindern zu vereinbaren, wäre schwierig geworden. Gesundheitliche Bedenken habe ich nicht. Die einzige Zeit, wo ich mehr Kontakten ausgesetzt bin, ist in der Halle in der früh. Hier gelten aber strenge Sicherheitsvorkehrungen und nach eineinhalb Stunden sitze ich sowieso im Auto und bin den restlichen Tag allein. Dass andere im Homeoffice gearbeitet haben, ist eben so. Meinen Job kann
 man nicht mit Laptop erledigen. Für mich wäre Homeoffice nichts, ich bin froh, dass ich unterwegs sein kann und viel mit Menschen zu tun habe. Ich fühle mich da anderen gegenüber auch nicht benachteiligt.“   

 

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„Wir sind Systemerhalter“ - Philipp Haug führt ein Delikatessengeschäft

Seit 2012 hat Philipp Haug seinen Traum wahr gemacht und sein eigenes Delikatessengeschäft auf dem Sonnenbergmarkt in Oberdöbling eröffnet.

Das Besondere: Der studierte Jurist Haug kommt ursprünglich aus der Werbung, wo er beratend tätig war. Ein Beruf, der sich in Pandemiezeiten leicht vom Homeoffice erledigen ließe – im Gegensatz zu seiner jetzigen Tätigkeit im Einzelhandel, erzählt er im KURIER-Gespräch.

"Die größte Herausforderung für uns war es, die Waren aus dem Ausland zu bekommen – wir hatten Sorge um die Pasta. Natürlich hab ich in dieser Krisenzeit mehr Arbeitsstunden gehabt – aber das ist Jammern auf hohem Niveau. Wir haben hier auf dem Markt alle zusammengeholfen.  Ich mag den Umgang mit Menschen und hatte nie Angst – die Sicherheit war ja gegeben. Ich hatte nie das Gefühl, dass ich lieber im Homeoffice wäre. Man kann nicht auf allen Hochzeiten tanzen. Der Delikatessenhandel ist mein Job. Außerdem: Wir sind Systemerhalter. Das war ein tolles Gefühl.“

 

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„Wie soll ich denn aus dem Homeoffice die Menschen versorgen?“

Thomas Veitschegger ist Vizepräsident des Apothekerverbandes und führt seit 2003 eine Apotheke in Bad Leonfelden, Oberösterreich.

Der Apotheker hat seine Apotheke von seinem Vater übernommen. Er ist froh, dass sich die Zeiten geändert haben, denn sein Vater hatte jeden Tag 24 Stunden durchgehend Bereitschaftsdienst. Das gibt es heute nur noch jeden vierten Tag und hat sich auch in der Corona-Zeit nicht geändert, erzählt Veitschegger im KURIER-Gespräch.

"Aber am Anfang war es natürlich ein wahnsinniger Stress. Die Menschen haben alles gekauft, was nicht niet- und nagelfest ist. Wir haben jedes Jahr zur Grippezeit Desinfektionsmittel im Aufsteller – die waren immer Ladenhüter. Jetzt ist alles anders.

Lieferketten aufrecht zu erhalten, war das Schwierigste. Mir hat die Kontaktsperre gar nichts ausgemacht, ich war sowieso jeden Abend so geschafft. Wir haben unsere Belegschaft in zwei Teams geteilt, wenn wir einen Fall gehabt hätten, wäre das andere Team immer noch da, um die Apotheke offen zu halten.

In unserer Belegschaft gab es eine Angestellte, die nicht arbeiten konnte, weil sie ein Kind hat. Das war sehr bitter, denn sie ist damit ausgefallen. Meine Kinder sind schon älter. Wären  sie noch jünger, wäre das ein richtiges Problem geworden.

Im Gesundheitswesen ist Homeoffice schier unmöglich. Wie soll man denn aus dem Homeoffice die Menschen versorgen? Das geht nicht. Aber das ist unser Job. 

Ich fühle mich von der  Homeoffice-Debatte nicht ausgeschlossen  oder ignoriert. Das ist eine Segmentdebatte. Bei uns im Ort gibt es Leute, die schon vor Corona öfter von daheim gearbeitet haben. Bei Apothekern aber geht das nicht.

Sicherlich freut man sich, als Angehöriger einer Gruppe, die die ganze Zeit hart gearbeitet hat, geschätzt und honoriert zu werden. Denn wir haben funktioniert, in Österreich konnten die Apotheken standhalten und die Versorgung garantieren. “

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„Das will ich nie wieder erleben“ - Michael Distl ist Speditionsleiter bei Müller Transporte

Die Hamsterkäufe hat der Speditionsleiter für den nationalen Verkehr beim Logistik Unternehmen Müller Transporte, Michael Distl, intensiv erlebt. "Als es eskaliert ist, war ich sieben Tage die Woche durchgehend im Büro,  um meine Kollegen zu unterstützen, Entscheidungen zutreffen.   Es war kaum zu bewältigen. Man muss vor Ort sein.

Meine Frau war im Homeoffice und konnte unsere Kinder betreuen. Denn in unserer Branche ist Homeoffice nahezu unmöglich, vor allem im Segment der frischen Lebensmittel und bei Speditionen mit Eigenfuhrpark.

Aber es war auch besonders schön, dass Logistik und Fahrer in der Gesellschaft gesehen und wertgeschätzt wurden.“

 

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