Textilexperte Jochen Strähle über Restware im Modehandel

Jochen Strähle ist internationaler Modehandelsspezialist und Textilexperte, er arbeitet und forscht aktuell an der Hochschule Reutlingen
Über das Schicksal unverkaufter Kleider, die Verantwortung von Produzent und Konsument und die Grenzen des Recyclings.

KURIER: Die Modebranche sitzt auf Bergen unverkaufter Ware. Was wird damit passieren?

Jochen Strähle: Zuerst wird die Ware weit unter dem Preis auf den Markt geworfen. Ein Teil wird eingelagert und im nächsten Winter wieder verkauft. Manche Kleider werden in Osteuropa weiterverkauft oder werden unter Umständen sogar verbrannt. Der Warendruck wird zu einem Preisverfall führen, da führt kein Weg dran vorbei.

Waren werden verbrannt, um den Preis stabil zu halten. Was soll das heißen?

Die Luxusmarken haben damit angefangen. Bevor die Ware verramscht wird und den Markenwert schädigt, verbrennt man sie lieber. Die meisten haben aber von dieser Politik Abstand genommen. Für andere ist es günstiger. Primark ist deswegen so billig, weil die Ware direkt vom Hersteller in die Filiale kommt. In dem Moment, wo man die Restware mehrmals verpacken, umherschicken oder lagern muss, steigen Personal-, und Transportkosten, die Wertschöpfung liegt bei Null. Verbrennen kann günstiger sein, ökologisch natürlich höchst fragwürdig. Es ist aber auch so, dass der Konsument die billigen Preise deswegen auch bekommt.

Händler geben Kunden die Verantwortung dafür, Kunden den Produzenten. Wer hat recht?

Es betrifft alle. Es kann nur gemeinschaftliche Projekte geben, die zur Verbesserung der Gesamtsituation führen. Die textile Wertschöpfungskette ist lang, sehr viele Akteure sind an ihr beteiligt. Die Branche ist anders als die Auto- oder Tech-Industrie. Es gibt wenig große Player, sondern viele kleine Akteure. Da keiner das Geschäft dominiert, ist auch die individuelle Macht, die Verantwortung geringer und damit die Wirksamkeit der jeweiligen Maßnahmen. In Westeuropa sind Sozialstandards ein großes Thema. Aber der Druck wird dann einfach nur weitergereicht, an Lieferanten, an die Produzenten. Sie müssen dann umsetzen, was wir einfordern, aber sitzen bei der Diskussion gar nicht mit am Tisch.

Warum ist das Ende der Wertschöpfungskette eigentlich so undurchsichtig?

Das Thema einer durchgängigen Kreislauftwirtschaft wurde lange nicht beachtet. Für die meisten war Kleidung kein Produkt, das in den Recyclingprozess zurückgeführt wird, viele wurden auch nicht so hergestellt, dass sie recycelbar sind. Man hat einfach lange nicht die Notwendigkeit gesehen, dass man mit Kleidern, anstatt sie zu verbrennen, noch etwas machen kann.

Stimmt es, dass es noch keine funktionierenden Recycling-Methoden gibt?

Die Technologien gibt es, es geht eher um die Infrastruktur. Recycelte Ware ist am Ende oft teurer, weil sie sortiert wird, Knöpfe und Etiketten entfernt werden. Recycling führt zudem immer zu schlechterem Ausgangsmaterial. Besteht die Kleidung aus reiner Baumwolle, ist die Wiederverwertung einfacher, als bei einem Gewebe mit Natur- und Kunstfasern. Der Prozess ist oft zu aufwendig dafür, dass am Ende ein Produkt mit schlechterer Qualität herauskommt, während Textilien für ein neues Kleidungsstück günstiger am Markt erhältlich sind.

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