Modehandel: Händler sitzen auf Bergen unverkaufter Ware

Modehandel: Händler sitzen auf Bergen unverkaufter Ware
In den Mode- und Textillagern stapelt sich die nicht verkaufte Kleidung. Was damit passiert? Eine Spurensuche.

Mal sind es die Signalfarben Gelb und Rot, die einen zum Kauf verleiten, mal zieht das Markenlogo ins Geschäft, oder die fetten Rabattzahlen. Herrscht im Handel Ausverkauf, setzt der Verstand aus und der Schnäppchentrieb wird wach. Das haben Forscher schon oft nachgewiesen.

Die aktuelle Rabattschlacht im Handel bestätigt es erneut. Preisnachlässe von bis zu minus 70 Prozent sorgen für lange Schlangen vor den Geschäften, auch Pandemie und widrigste Temperaturen halten nicht vom Shoppen ab.

Volle Lager

Der Hintergrund der Rabattschlacht: Alle sitzen auf vollen Lagern. Nach einer sechswöchigen Schließung versucht der gesamte Modehandel, seine Winterware loszuwerden. Auch Rainer Trefelik, Obmann der Sparte Handel in der Wirtschaftskammer, sowie Besitzer des Modehauses Popp&Kretschmer in der Wiener City, setzt auf minus 70 Prozent Rabatt.

Zum einen verschaffe das Platz in seinem übervollen Lager, wo die Kleider dicht an dicht hängen, so der Unternehmer. Zum anderen könne er nun sukzessive auf die Frühjahrsmode umstellen, die bereits seit Dezember angeliefert werden sollte, sich aufgrund des Lockdowns staute und nun für Druck in der Logistik sorgt.

Modehandel: Händler sitzen auf Bergen unverkaufter Ware

Trotz langer Schlangen vor den Geschäften werden Händler auf Wintermode sitzen bleiben

Alles muss raus

Die Waren erst im nächsten Winter zu verkaufen und bis dahin zu lagern, ist aus Platz- und Kostengründen für viele Einzelhändler nicht attraktiv. Dass „ein Händler mit 15.000 verkauften Stücken zurzeit nur 15 Prozent mehr Umsatz erzielt, als mit 8.000 verkauften Artikeln im Februar 2020“, wie Handelsverbandschef Rainer Will erzählt, zeigt den hohen Druck in der Branche.

Es gehe nicht mehr um positive Kostendeckung, ergänzt Günther Rossmanith, Modehändler und Obmann des Wiener Mode- und Freizeitartikelhandels. „Es geht nur noch darum, die Einkaufspreise reinzubekommen.“

"Kunden wollen nichts Altes sehen"

Der Abverkauf sorgt für Entspannung in den Lagern und zumindest für etwas Liquidität, um weitere Einkäufe zu tätigen. Denn das Rad muss sich weiter drehen. Die Händler wissen: Der Effekt des Ausverkaufs wähnt nicht lange, nach spätestens ein, zwei Wochen muss man mit der neuen, frischen Frühjahrskollektion locken.

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Rainer Trefelik ist Obmann der Bundessparte Handel in der Wirtschaftskammer (WKÖ)

Jede Saison hat neue Trends – das ist die Modebranche. Kunden möchten nichts aus dem Vorjahr sehen. Man kann sich nicht davon  abkoppeln.

von Rainer Trefelik

Handelsobmann WKO

Weil die Temperaturen steigen, und Winterjacken damit uninteressant werden. Weil nur mehr bestimmte Größen hängen bleiben, und damit die Verkaufschancen sinken. Und weil Kunden nichts „Altes im Geschäft sehen möchten“, erklärt Trefelik. „Jede Saison hat neue Trends, Designer verwenden neue Farben, neue Schnitte – das ist die Modebranche. Man kann sich nicht davon abkoppeln.“

Millionen unverkaufte Kleider

Im Moment sitzt aber die gesamte Branche auf Überbeständen. Weltweit lagern die Modehändler unverkaufte Ware im Wert von 100 Milliarden Euro, hat die Beratungsfirma McKinsey ausgerechnet. In Deutschland spricht die Branche von einer halben Milliarde Kleidungsstücke aus der Wintersaison.

„In Österreich hat sich über den zweiten und dritten Lockdown hinweg ein Berg von etwa 50 Millionen unverkaufter Wintermodeartikel aufgetürmt“, so der Handelsverband-Geschäftsführer. Das Problem, vor dem nun die gesamte Branche steht: Wohin mit der Ware?

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Webshops, Outlets, Spenden

Die üblichen Wege, über die Restposten weitergereicht werden – Webshops, Outletcenter, Großhändler im In- und Ausland oder Hilfsorganisationen, sind ebenfalls überlastet. Die letzte Station sind Verbrennungsanlagen – von diesen wird in der Branche aber nur hinter vorgehaltener Hand gesprochen.

„Bei uns wurde noch nie ein einziges Kleidungsstück verbrannt“, sagt Trefelik. Er versuche Restbestände auf dem üblichen Wege zu verkaufen. Zuerst vergünstigt im Webshop, ein ganz kleiner Teil werde gespendet.

Mitunter würden Lieferanten Teile einer Kollektion zurücknehmen, weil sie in anderen Ländern gut verkauft wurden. Eine weitere Option sind Restwaren-Großhändler, die Artikel weit unter dem Einkaufspreis ab- und auf anderen Märkten weiter verkaufen.

Ernst Mayer, Geschäftsführer der österreichischen Modekette Fussl, verkauft Restbestände in firmeneigenen Outlet-Filialen. Das seien aber nur bis zu 200 Artikel im Jahr. „Ich denke auch, dass viele hochwertige Ware einlagern, um sie in der nächsten Saison mit Aktionen zu vermarkten“, sagt Günther Rossmanith.

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Letzte Möglichkeit: vernichten

Weggeschmissen oder verbrannt werde nichts, wird von allen Seiten betont. Dass es aber geschieht, ist allerdings eine Tatsache.

2017 deckte ein dänischer Fernsehsender auf, dass H&M jedes Jahr tonnenweise Kleidung aus seinem dänischen Hauptlager in Greve verbrennt. Auf Nachfrage wird dem KURIER bestätigt, dass auch H&M Österreich Kleidung verbrennen lässt, allerdings nur aus zwei Gründen:

Schimmel oder zu hohe Chemiewerte

Ein Produkt könne nicht verkauft werden „wenn es von Schimmel befallen ist oder unseren strengen chemischen Anforderungen nicht entspricht.“ Den durch den Lockdown entstandene Überbestand habe man zum Teil über die Webshops verkauft, alternativ würden die Kleider gespendet oder über externe Partner recycelt.

Die Frage, was mit Restbeständen passiert, führt zu den Kernproblemen der ganzen Textilindustrie. Massenhafte Überproduktion, sinkendes Konsumbewusstsein, immer billiger produzierte Kleidung, und steigende Ressourcenverschwendung sind nur Teilaspekte. 30 Prozent aller produzierten Mode wird gar nie verkauft, sondern verramscht, verbrannt oder irgendwo deponiert.

Kleine Bestellungen

Martina Meixner lehnt all das ab. Die Designerin gründete mit „Maronski“ ihr eigenes kleines Label, sämtliche Kleider werden in Österreich oder in der Slowakei produziert, seit 2010 ausschließlich mit Biostoffen.

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Martina Meixner umgeht volle Lager mit kleineren Bestellungen, die sie spontan adaptieren kann

Anders als große Modehändler müsse sie nicht ein halbes Jahr im Voraus bei den Produzenten bestellen. „Ich kann spontan reagieren, habe keine übervollen Lager. Das hat mir auch in der Pandemie geholfen.“

Auch Ingrid Gumpelmaier-Grandl verfolgt ein anderes Konzept. Sie löst das Problem mit Restbeständen, indem sie ihre Designs aus Biobaumwolle nur in kleinen Chargen anfertigen lässt. „Wir haben den Mut zu sagen: die Ware ist jetzt aus.“

Alles kombinierbar

Artikel aus der Vorsaison könne man zudem immer kombinieren. „Die Kollektionen ergänzen sich fortwährend.“ Falls Kleider übrig bleiben, organisieren Meixner und Gumpelmaier-Grandl Flohmarkttage.

Meixner: „Ich verkaufe kein Kleidungsstück unter seinem Wert, ich habe eine hohe Wertschätzung den Produzenten und den Materialien gegenüber.“

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