Sounddesigner entwickelt digitale Bürogeräusche für's Homeoffice

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Manche mögen's laut - auch im Homeoffice. Halten wir etwa die Stille nicht aus?

Begonnen hat folgende Geschichte vor einigen Jahren. Da musste sich Stephane Pigeon immer wieder mal wundern, sobald er seine eMails las. Der Sounddesigner bekam mehrere Anfragen von Zuhörern, die in etwa so lauteten: „Kannst du bitte einmal Bürogeräusche kreieren?“ Pigeon, der vor allem Klänge der Natur einfängt und sie seinen Hörern zur Entspannung zur Verfügung stellt, hielt das für einen Scherz. Wer möchte schon einem Drucker zuhören, wenn er doch zur Beruhigung einem Wasserfall lauschen kann? Der Belgier ignorierte die Anfragen.

Darf's ein bisschen mehr Drucker sein?

Dann kam Corona und die Zeit von Homeoffice. „Ach, was soll’s, dachte ich. Bringen wir es als Witz“, sagt Pigeon heute und beginnt, einen Onlinegenerator namens „Calm Office“ zur Verfügung zu stellen. Mit diesem Tool lassen sich am Computer Bürogeräusche simulieren. Dem User stehen verschiedene Soundeffekte zur Auswahl, die er dann nach Lust und Laune lauter oder leiser stellen kann, wie das Ticken einer Uhr, Scanner-Geräusche, das Brummen des Airconditioner, das Klicken der Tastatur oder die Gespräche simulierter Kollegen. Nur das Schreien des Chefs steht nicht zur Auswahl. Was als Scherz begann, wurde schnell ernst. „Am ersten Tag hatte ich 600 Zugriffe. Am vierten Tag bereits 25.000“, sagt der Sounddesigner.

Seit dem Start von Calm Office (Ende März) bis heute haben sich über 266.000 Menschen von den virtuellen Bürosounds berieseln lassen. Ein User schreibt: „Ich liebe diesen Generator, vor allem den Sound vom Keyboard. Er hilft mir, mich auf meine Arbeit zu konzentrieren.“ Ein anderer Nutzer aus dem Homeoffice meint sogar: „In der Zeit von Social Distancing fühlt es sich an, als wäre wenigstens irgendjemand bei mir.“ Was die Fragen aufwirft: Haben wir verlernt, in Stille zu arbeiten? Brauchen wir wirklich Hintergrundgeräusche, damit wir uns auf die Arbeit besser konzentrieren können?

Während sich jene mit Kindern beklagen, dass es zu laut im Homeoffice ist, gibt es jene, denen es eindeutig zu leise ist. „Ich denke, wir sind Hintergrundgeräusche so gewohnt, dass wir uns unwohl fühlen, sobald es still ist“, meint der Sounddesigner Pigeon. Ähnliches sagt auch die Neurowissenschaftlerin Britta Hölzel: „Als soziale Wesen können uns Geräusche - und somit das Gefühl, nicht alleine zu sein - Sicherheit geben .“Auf der anderen Seite haben Geräusche auch immer einen Informationsgehalt. „Unser Gehirn checkt nebenbei immer ab, ob wir etwas Bedrohliches hören“, sagt Hölzel. Arbeitet man nun daheim am Computer und lässt nebenbei das Radio laufen, wird das Gehirn zusätzlich ständig stimuliert. Was ganz schön stressig sein kann.

Individuelle Unterschiede

Manche Menschen benötigen aber auch diese zusätzliche Stimulation, um beruhigt zu sein und sich gar besser konzentrieren zu können. Das zeigt eine Untersuchung von Forschern rund um Göran B. W. Söderlund von der Stockholm University. Sie haben festgestellt, dass sich die Leistungen von schwachen Schülern mit Aufmerksamkeitsproblemen durch Verkehrslärm im Hintergrund verbessert haben. Laut den Wissenschaftlern gibt es aber große individuelle Unterschiede – auch bei gesunden Menschen. Manche bräuchten einfach mehr Hintergrundrauschen, andere weniger. Der entscheidende Neurotransmitter dabei ist das Dopamin.

Wie Untersuchungen gezeigt haben, gebe es bei jedem eine unterschiedliche Ansammlung des Botenstoffs – vermutlich mit ein Grund dafür, dass nicht alle Menschen über die gleiche Konzentrationsfähigkeit verfügen. Das Modell der Forscher zeigt, dass ein Gehirn mit niedrigem Dopaminspiegel mehr Umgebungslärm zur Verstärkung braucht, um seine volle Leistungsfähigkeit zu entfalten. Für andere hingegen müsste sich derselbe Pegel eher nachteilig auswirken. Ob wir nun Hintergrundgeräusche bevorzugen, hängt auch von der Arbeit an sich ab. Bei stumpfsinnigen Arbeiten wie das Befüllen von Excel-Tabellen können Geräusche helfen, das Gehirn zu beruhigen. Ist der kognitive Anspruch größer und die Arbeit komplizierter, stören Nebengeräusche bei der Konzentration eher.

„In Stille zu arbeiten ist aber auch etwas Wunderbares und kann die Produktivität bei kognitiven Aufgaben erhöhen, wie verschiedene Studien zeigen“, sagt Hölzel. Für jene, die beim Arbeiten auf Hintergrundgeräusche nicht verzichten wollen, kommen bald die nächsten „crazy Sounds“, wie Sounddesigner Pigeon sagt. Er bekomme neuerdings Anfragen zu Duschgeräuschen. „Es ist verrückt, aber Leute finden es entspannend, wenn sie hören, wie andere duschen.“ Na dann: Wasser marsch!

Experten gehen davon aus, dass wir an einem Tag mehr Informationen konsumieren, als   ein Mensch im Mittelalter in seinem ganzen Leben. Warum also nicht einmal ausprobieren, in Stille zu arbeiten, zu kochen, zusammenzuräumen oder gar nur zu sitzen. Einfach neugierig sein: Was passiert, wenn alles herum still ist? Was tut der Geist? Wie geht man mit den eigenen Gedanken um? Nimmt man eine Haltung des Beobachtens ein, bringt das nach etwas Übung Ruhe und Frieden in den Geist. Ein Effekt kann mehr Entspannung sein.  Wie man es auch aus der Meditation kennt.

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