Schlechte Berufschancen und eine angespannte finanzielle Lage: Frust bei jungen Menschen
45 Prozent der jungen Menschen in Österreich sind mit ihrer psychischen Gesundheit unzufrieden. 39 Prozent mit ihren beruflichen Chancen und 59 Prozent mit der finanziellen Lage. Die Ergebnisse der Studie „Jugend in Österreich“, für die Heinz Herczeg (Lifecreator Consulting) 800 repräsentativ ausgewählte 14- bis 29-Jährige diesen Sommer befragen ließ, stimmen nachdenklich.
Identifikation
Studien-Initiator Herczeg sieht Unternehmen mehr denn je in der Pflicht, auf die Bedürfnisse der jungen Menschen einzugehen – und ihnen vor allem eines zu bieten: Wertschätzung und Identifikation. Wie das gelingen kann und wieso man Jugendlichen bereits viel früher Möglichkeiten der Beschäftigung bieten muss, erklärt er im Gespräch mit dem KURIER.
KURIER: Ein Drittel der heimischen Jugend ist unzufrieden mit ihrem Leben – das zeigt Ihre Studie „Jugend in Österreich 2022“. Wie dramatisch sehen Sie dieses Ergebnis?
Heinz Herczeg: Die Psyche ist sehr stark belastet. Aber auch die Finanzen. Das sind die maximalen Trigger, die dazu führen, dass eine Unzufriedenheit mit dem Leben entsteht. Viele junge Menschen haben derzeit das Gefühl, dass sie ihr Leben nicht mehr kontrollieren können. Dass sie fremdgesteuert sind. Schon zu Corona-Zeiten war das so: Es gab viele Verbote. Jetzt kommt aber hinzu: Der Lockdown ist vorbei, ich könnte wieder etwas machen, aber ich kann es mir nicht mehr leisten. Die Lebenspläne vieler wurden durchkreuzt. Große Reisen, im Ausland studieren, eine eigene Wohnung: das ist für viele nicht mehr leistbar.
Zu den größten Sorgen der Menschen im Alter von 14-29 Jahren zählen die hohe Inflation und die Angst vor der Armut. Wie kann man hier gegensteuern?
Das Wichtigste ist zunächst einmal: Wie gehe ich als Mensch damit um? Wie viel Selbstsorge-Kompetenz haben Menschen? Wie resilient sind sie? 20 Prozent der Altersgruppe zwischen 14 und 29 Jahren fühlen sich so schlecht, dass sie ihren Lebensalltag nicht mehr bewältigen können. Es fehlen die soziale Anerkennung, die beruflichen Chancen, und man muss sich von einigen Plänen verabschieden, weil sie nicht mehr durchführbar sind. Wir haben Konsumenten erzogen – Konsumenten, die abhängig sind von den Systemen. Jetzt bräuchte es aber eigentlich Produzenten, also Menschen, die etwas aus der jeweiligen Situation machen können. Das haben sie jedoch nie gelernt, es fehlt die Fähigkeit, zu handeln. Wenn man selbstwirksam wird, also schwierige Aufgaben durch eigenes Handeln bewältigt, steigert das den Selbstwert und hilft dabei, die Kontrolle über sein eigene Leben wiederzuerlangen. Und genau dabei müssen wir als Gesellschaft junge Menschen unterstützen.
Wie könnte diese Unterstützung aussehen?
Für die psychische Gesundheit zum Beispiel: Wo holt man sich am meisten Unterstützung? Bei Familie und Freunden. Andere Menschen an sich heranzulassen, erfordert jedoch Mut. Aber durch das Miteinander entsteht soziale Anerkennung. Und das gilt auch in Unternehmen: Wenn sich jeder ein bisschen mehr für den anderen interessiert, wird es wieder zu einem „Füreinander“ kommen. Als Arbeitgeber muss man viel mehr hinhören, aber auch unter Kollegen. Denn ein soziales Netzwerk ist die beste Therapie.
Als Motivatoren für gute Leistung in der Schule oder im Job steht Geld mit 48 Prozent an erster Stelle – danach kommt Spaß mit 32 Prozent: ein Appell an die Arbeitgeber?
Ja, das ist eine Forderung von jungen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern. Der Psychologe Frederick Herzberg sprach bereits in den 60er-Jahren von den sogenannten Hygienefaktoren. Dazu gehören: Ein höheres Einkommen, Nähe zum Wohnort, Sicherheit des Arbeitsplatzes usw. Das sind die Grundvoraussetzungen. Damit der Job auch Spaß macht, braucht es dann noch die Motivatoren: Gute Arbeitsatmosphäre, Anerkennung der Leistung und Wertschätzung.
Heute wollen immer mehr junge Menschen Teilzeit statt Vollzeit arbeiten. Müssen sich Firmen umstellen?
Wir sind an einem Wendepunkt angelangt. Bereits 46 Prozent sagen, dass sie ihre Arbeitszeit reduzieren möchten. Das liegt aber wider Erwarten nicht an der „Generation Z“ und auch nicht am Geschlecht. Sondern es zieht sich quer durch alle Bildungs- und Gesellschaftsschichten. Jeder Mensch will aktuell diesem Wunsch nachkommen. Führungskräfte müssen das berücksichtigen. Unternehmen müssen die Bedürfnisse der Kandidaten zu hundert Prozent erfüllen. Denn wenn die Arbeit psychisch belastet, sind das existenzielle Gründe, es geht also nicht nur um Selbstverwirklichung.
Man muss also viel individueller auf die Bedürfnisse der Arbeitnehmer eingehen. Wie kann das gelingen?
Die direkten Führungskräfte, die Teamleiter, müssen sich jetzt fragen: Was brauchen meine Mitarbeitenden? Wie geht es ihnen? Dabei wird man um das persönliche Gespräch nicht herumkommen. Und wenn das Verhältnis zwischen Mitarbeitenden und Führungskräften stimmt, lassen sich daraus konkrete und individuelle Maßnahmen ableiten.
Die Loyalität gegenüber dem Arbeitgeber ist bei jungen Menschen verschwindend gering geworden. Woran liegt das?
Womit müssen sich Menschen identifizieren, damit sie sich gebunden fühlen? Das sind nicht die Hygienefaktoren, sondern emotionale Benefits. Das sind die Werte, die Wertschätzung, die Kommunikationskultur. Das sind die Dinge, die Menschen binden. Wenn ich mich in einer Kultur wohlfühle, ist es sehr schwer für mich, aus dieser in eine andere Kultur zu gehen, die mir zwar vielleicht ein besseres Gehalt bietet, mich im Herzen jedoch nicht berührt. Es braucht also mehr Identifikation.
Ein Vorwurf der jungen Menschen häufig gemacht wird: Sie wollen nicht mehr arbeiten. Stimmt das?
Wir müssen jungen Menschen viel früher Möglichkeiten der Beschäftigung und Herausforderungen bieten. Wir müssen es ihnen ermöglichen, dass sie schon in jungen Jahren etwas tun dürfen. Früher haben die jungen Menschen viel mehr tun dürfen. Sei es, etwas basteln oder etwas reparieren zu können. Heute ist alles sehr digital geworden, manuell passiert nicht mehr viel. Und das fehlt uns. Einfach probieren. Das stärkt den Selbstwert enorm. Darum ist auch die Lehre jetzt so wichtig, um jungen Menschen zwei Dinge zu geben, die sie brauchen: Geld und ein stabiles Umfeld. Jugendliche brauchen also Ziele, und wir geben ihnen zu wenig Anreize und Probiermöglichkeiten.
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