Speedinvest-CEO: "Wer über gescheiterte Unternehmer lacht, unterschätzt das komplett"
Oliver Holle war mittendrin, als sich in den 1990er-Jahren eine kleine, aber umtriebige Start-up-Szene in Österreich formierte. Er selbst startete als Unternehmer, wechselte dann auf die Seite des Investors und gründete mit Speedinvest einen der größten Risikokapitalfonds (Venture Capital, VC) Europas, der Jungunternehmen in ihrer Frühphase unterstützt. Für Holle ist dieses Geschäftsmodell längst ein alter Hut, aus dem Erklären kommt er hierzulande trotzdem nicht raus. Denn Politik und Unternehmenswelt haben kaum eine Vorstellung davon, was Holle wirklich macht. Und warum er so verdammt gut darin ist.
KURIER: Sie wurden 2023 vom „trend“ zum Mann des Jahres gekürt. Was war Ihr größter Verdienst?
Oliver Holle: Ehrlichgesagt war ich überrascht. Ich glaube, letztlich sind es zwölf Jahre Arbeit, die anerkannt wurden. Dass man eine gewichtige Funktion in der Gesellschaft etabliert hat, nämlich Innovationskapital zur Verfügung zu stellen.
Sie waren dabei, als die Innovationsszene hierzulande auflebte. Rückblickend betrachtet ein harter Weg?
Das, was ich vor und mit Speedinvest gemacht habe, ist knallhartes Unternehmertum. Inklusive jahrelange Selbstausbeutung. Wir haben 2011 den ersten Fonds geraised. 2015 habe ich das erste Mal mehr verdient als ein Student. Da war ich aber schon über 40 Jahre alt, hatte bereits viele Jahre erfolgreich Firmen aufgebaut.
Ein Knochenjob.
Das klingt immer alles so rosig. Jeder, der sich über gescheiterte Unternehmer lustig macht oder auch über Firmen mit Milliardenbewertung, die gerade kämpfen, unterschätzt das komplett. Wie viel die Leute auf persönlicher Ebene opfern – nämlich viel mehr, als man normalerweise opfern würde. Da werde ich auch wirklich emotional, weil diese Diskrepanz so groß ist.
Einfach erklärt: Was macht Speedinvest genau?
Wir sammeln Kapital von vermögenden Privatinvestoren oder auch von Institutionen, die ihr Geld in sehr langfristige Projekte anlegen wollen. Und wir suchen aus einer Vielzahl von jungen unternehmerischen Teams diejenigen aus, an deren Idee, Team, Geschäftsmodell und Marktpotential wir glauben. Und helfen diesen bei den allerersten Schritten, um unternehmerisch erfolgreich zu sein, als auch in der späteren Wachstumsphase. Das Ziel ist, einige wenige von diesen Teams zu global erfolgreichen Leitbetrieben aufzubauen. Das ist die große Wette.
Einige wenige – von wie vielen sprechen wir?
Wenn aus etwa hundert Teams, die wir unterstützen, auch nur eine Handvoll zu einem globalen Unternehmen heranwächst, ist das ein großer Erfolg. Aber das geht nur mit Kapital, man kann nicht, ohne viel zu investieren, etwas Großes bauen. Das geht weder beim Hausbau, noch bei einer Firma.
Scott Sandell, CEO eines kalifornischen VC, sagte: Sie könnten eine Zukunft sehen, auf die andere nur hoffen. Wie macht sich das bei der Suche nach den besten Ideen bezahlt?
Das ist ein sehr wichtiges Zitat, weil es genau das trifft, was unsere Aufgabe ist. Die Kernaufgabe eines Investors ist, alle Risiken abzuschätzen. Unser Job – und das ist eine sehr schöne Perspektive – ist, sich vorzustellen, was alles gut gehen kann. Dass die Wahrscheinlichkeit bei jedem einzelnen Unternehmerteam sehr gering ist, wissen wir. Dass viele Gründe dagegen sprechen auch, wir sind ja nicht naiv. Aber wir müssen uns überlegen, was richtig laufen muss, damit etwas groß werden kann. Das ist dieses In-die Zukunft-Schauen.
Bei welchem Gründerteam hatten Sie sofort eine große Zukunft vor Augen?
Nehmen wir Felix Ohswald (Anm. GoStudent-Gründer). Als wir ihn kennenlernten, war er Anfang 20. Wir mussten überlegen: Kann dieser junge Mensch mit ganz wenig Lebenserfahrung ein Unternehmen aufbauen, das mit Hunderten oder sogar Tausenden Mitarbeitern global erfolgreich sein wird? Die Antwort war „Ja“, ebenso bei den Gründern von Refurbed oder vielen anderen unserer Porftolio-Unternehmen. Es geht auch um die Frage: ist das Problem groß genug? Wenn wir bei Refurbed bleiben, ist die Notwendigkeit, gebrauchte Handys über eine Online-Plattform auszutauschen, groß genug? Und ja, der Erfolg gibt ihnen Recht.
Wie lange darf eine Idee dauern, bis sie aufgeht?
Man ist geduldig, solange es rational rechtfertigbar ist. Für mich als nicht-geduldiger Mensch und auch für unsere Investoren ist das manchmal eine Herausforderung. In der Branche warten Investoren im Schnitt ein Jahrzehnt, bis sie signifikant Kapital zurückbekommen.
Ab wann weiß man, dass eine Idee scheitert?
Wenn die zweite, dritte, vierte Überarbeitung immer noch nicht greift. Wir investieren im Wesentlichen in ein Experiment von zwölf bis 24 Monaten. So viel Zeit haben unsere Gründerteams mit unserem Kapital und unserer Hilfe, erste Ergebnisse zu liefern. Und dann investiert hoffentlich der Nächste. So war das auch bei Microsoft, Google, Facebook oder Open AI. Das ist nichts anderes. Nur dass die Amerikaner diese Iteration nicht im 12 bis 24 Monatszyklus machen, sondern in 6 bis 12 Monaten, dafür mit einer Kommastelle mehr.
Start-ups haben sich in Österreich etabliert, die Aufregung ist abgeflacht. Tut das der Szene gut?
Absolut. Österreich ist ja hier die internationale Ausnahme, da die Start-up-Szene für so lange als Nischenthema oder esoterisches Randphänomen wahrgenommen wurde. Wenn man in die USA, nach England oder auch nach Frankreich schaut, ist dort seit 20 Jahren diese Szene im Zentrum. Ist extrem eng vernetzt mit der Politik und den großen Unternehmen. Da ist diese Dichotomie Vergangenheit. Jeder versteht, wie dieses Geschäftsmodell funktioniert und warum es notwendig ist. Ich habe das Gefühl, in Österreich bin ich seit 15 Jahren immer noch am Erklären.
Ich habe das Gefühl, in Österreich bin ich seit 15 Jahren immer noch am Erklären.
Dass Speedinvest von Österreich aus zu einem führenden Player wurde, ist das auf Verwunderung gestoßen?
Absolut. Ich musste anfangs oft erklären, dass wir nicht der Ösi-Fonds sind, sondern ein europäischer Fonds mit Sitz in Wien. Das hat man irgendwann mit wohlwollendem Achselzucken zur Kenntnis genommen. Inzwischen zählen wir zu den größten Frühphasefonds Europas. Dieser unwahrscheinliche Aufstieg war sicher auch ein Grund, warum wir vergangenes Jahr den Preis gewonnen haben (Anm. Seed Fund of the Year, verliehen in London).
Wäre es einfacher gewesen, direkt in London zu starten?
Natürlich wäre das viel einfacher gewesen. Positiv gesehen, hat unser Start in der Peripherie uns dazu gezwungen, vom ersten Moment an paneuropäisch zu denken. Heute haben wir Büros und Teams quer durch Europa aufgebaut und haben damit einen Vorsprung von drei, vier Jahren gegenüber unseren Mitbewerbern. Bis heute ist das recht einzigartig. Niemand anderer hat sich das angetan. Die Deutschen nicht, die Franzosen nicht, die Engländer nicht.
Oliver Holle stieg schon in den 1990er Jahren ins Start-up-Geschäft ein. 1997 gründete er Sysis für Online-Computerspiele
Sysis fusioniert zweimal, wird dann zu 3united. Im Bild (v.l.n.r.): Andreas Wiesmüller, Markus Wagner, Oliver Holle
Speedinvest wird 2011 gegründet. Es beginnt im fünften Bezirk, das zweite Büro befindet sich in der Eschenbachgasse in 1010 Wien (im Bild)
Heute befindet sich das Headquarter im weXelerate-Geschäftsgebäude in der Praterstraße
Über eine Milliarde Euro an Kapital hat Speedinvest bislang eingesammelt. Wie viel davon fließt nach Österreich?
Deutlich unter zehn Prozent.
Sie wünschten, es wäre mehr, höre ich raus?
Klar. Natürlich haben wir eine patriotische Brille, aber wir haben nun mal ein paneuropäisches Mandat. Da ist Österreich einer von vielen Märkten. Wenn ich mir mein Investment-Team anschaue, dann sitzen die allermeisten jungen hungrigen Investorinnen woanders.
In England vermute ich.
Das größte Team sitzt in London, dann Deutschland und Frankreich. Aber wir sehen auch ganz viele Deals aus Skandinavien, Italien, Spanien. Wir sind quer durch Europa aktiv. Und auch immer mehr in den sogenannten Emerging Markets.
Innovationen aus Afrika und Bangladesch haben es Speedinvest seit ein paar Jahren angetan. Was passiert dort?
Es ist wirklich faszinierend. So wie Innovation von den USA nach Europa gekommen ist, sieht man jetzt viele Geschäftsmodelle, die in Europa gut funktionieren, in diesen Märkten neu entstehen. Da sind meistens junge Unternehmer dahinter, die eine extrem gute internationale Ausbildung haben.
- Der Fonds hat vergangenes Jahr die Milliarden-Höhe an gesammeltem Kapital geknackt, etwa die Hälfte davon ist bereits investiert
- Seit 2011 hat sich Speedinvest an 360 Start-ups in 30 Ländern beteiligt
- 5 Unicorns, also Start-ups mit einer Bewertung von einer Mrd. US Dollar, hat Speedinvest bereits begleitet, darunter GoStudent und Bitpanda
- Das 1. Investment in ein Gründungsteam beträgt zwischen 700.000 und 1,3 Mio. Euro. In einer späteren Phase bis zu drei Mio. Euro
- Venture Capital oder Risiko- bzw. Wagniskapital ist laut Gabler Wirtschaftslexikon eine zeitlich begrenzte Mittelüberlassung in Form von Eigenkapital an das Spezialsegment junger Wachstumsunternehmen
Welches Start-up gibt hier gerade den Ton an?
Eines meiner Lieblingsbeispiele ist ein nigerianisches Team. Die Firma heißt Moove. Das Geschäftsmodell ist, Taxi- oder Uberfahrern den Traum vom eigenen Auto zu ermöglichen. Denn für gewöhnlich besitzen sie keines – sind immer abhängig davon, eines zu mieten. Moove bietet ein Finanzierungsmodell und stellt das Auto zur Verfügung. Noch dazu ein neues – was wiederum zu mehr Fahrten führt. Moove verdient mit jeder einzelnen Taxifahrt mit. Damit schneiden sie die Banken raus, die viel höhere Zinsen hätten. Das ist eine extreme Win-win-Situation.
Ist es damit auf den Markt beschränkt, wo Eigentum rar ist?
Das Interessante an Moove ist: sie haben angefangen in Nigeria, sind dann sehr schnell nach Indien und jetzt nach England. Inzwischen sind sie auch dort einer der größten Player.
Wie das?
Da geht es vor allem um Elektrifizierung. Weil das Geschäft von Moove in UK rein auf Teslas ausgerichtet ist. Es gibt auch viele indische und nigerianische Taxler, die das System aus ihrer Heimat kennen. Das ist jetzt ein globales Erfolgsmodell.
Beim Stichwort Banken rausschneiden, ist mir vorhin das Wiener Start-up Notarity in den Sinn gekommen. Es hat den Besuch bei Notaren obsolet gemacht und liegt jetzt rechtlich mit diesen im Clinch. Wie stark muss man sich als Gründer gegen vorherrschende Strukturen aufwiegen?
Das ist das Geschäftsmodell. Tut man niemandem weh, ist meistens der Einfluss nicht so groß. Letztlich versucht man Geschäftsmodelle einfacher und kosteneffizienter zu machen. Das bedeutet, Mittelsmänner rauszuschneiden. Das ist für alle gut, außer für die Mittelsmänner.
Das vergangene Jahr nannten Sie eine „Korrektur in der Techwelt“. Geht es 2024 wieder bergauf oder denkt man eher schon an 2025/26?
2024 wird auch schwierig, ich habe da keine Illusionen. Schon die ersten Wochen waren herausfordernd. Das spüren auch große Wachstumsunternehmen, man ist noch nicht auf der anderen Seite des Tunnels angekommen.
In welches Start-up hätten Sie gerne investiert, haben es aber nicht?
Natürlich, dutzende! Bei Bitpanda hätten wir in der allerersten Finanzierungsrunde mitmachen können. Und haben es halt nicht kapiert (lacht). Das Bild, aus Österreich heraus eine Kryptobörse aufbauen zu können, die gegen unzählige andere besteht, haben wir nicht gesehen. Deshalb sind wir viel später zu viel teureren Konditionen eingestiegen. Aber es war für uns am Ende trotzdem ein tolles Investment.
Ist Speedinvest generell vorsichtiger mit Investments geworden so wie der Rest der Investorenriege?
Wir sind sehr konsistent, vielleicht jetzt einen Tick langsamer im Zuge dieser Krise. Aber sonst haben wir eine gewisse Schlagzahl, in die wir investieren. Speedinvest steht für eine gute Kontinuität und als aktiver Investor in guten und schlechten Zeiten. Wenn man historischen Daten Glauben schenken will, ist genau das entscheidend. Hysterische Auf und Abs, also nur in Hochzeiten viel investieren und in Krisenzeiten wenig, ist genau das falsche Rezept.
Was wünschen Sie sich von Österreichs Start-up-Szene und was fehlt noch in Ihrem Portfolio?
Dass wir mehr Universitäts-Spin-offs sehen. Dafür, wie groß und wie gut unsere Unis sind, müsste viel mehr rauskommen. Im KI-Bereich sind wir erst bei fünf Prozent von dem, was wirklich funktionieren wird. Das macht Spaß, weil wir aktuell so viele sinnvolle und sehr unmittelbar verständliche Anwendungen, etwa im Gesundheitsbereich und in der Forschung sehen. Und das Thema Climate Tech ist eines, das uns bei Speedinvest bis zu einem gewissen Grad stolz macht, hier in Europa so eine führende Rolle zu spielen.
Zur Person:
Oliver Holle studierte an der WU, gründete1997 eines der ersten Internet-Start-ups Sysis (als Verein wurde Sysis bereits 1992 gegründet). Das Start-up fusionierte zweimal und wurde zum Bezahl-SMS-Anbieter 3united. 2006 wurde es für 55 Mio. Euro an den US-Giganten VeriSign verkauft. Holle wanderte mit dem Unternehmen ins Silicon Valley aus und verantwortete mehr als 600 Mitarbeiter. Später kehrte er zurück nach Wien, sicherte sich 10 Mio. Euro von privaten Investoren und legte den Grundstein für Speedinvest
Kommentare