Oliver Braun: Wenn ein Kind das Haus verlässt, und so hat es sich beim Verkauf von Gerstner angefühlt, dann hat man im Hintergrund sehr viel zu tun – organisatorisch und auch rechtlich. Und dann gibt es da auch die Frage, wie man sich für die Zukunft personell aufstellt. Das ist umso schwieriger in einer Zeit, in der das Personal nicht auf einen wartet. Ich habe im vergangenen Jahr also alles neu positioniert – und jetzt geht es wieder mit aller Kraft los.
Sie könnten nach dem Gerstner-Verkauf auch einfach nur das Leben genießen und mal nichts tun. Warum ist das für Sie keine Option?
Nichts gibt es nicht. Es gibt nur anders. Und anders werde ich es definitiv machen. Ich bin in einem neuen Lebensabschnitt, wo es überhaupt nicht darauf ankommt, mit Gewalt zu wachsen. So, wie das in der Wirtschaft überall ist: ständig größer werden und das Rad immer größer drehen. Ich musste das in der Vergangenheit auch. Jetzt geht es darum, Nischen zu besetzen und mit hoher Qualität und Freude für die Gäste da zu sein. Ich will keine Quantifizierungsverpflichtungen mehr haben.
Ein luxuriöser Ansatz.
Luxus ist für mich Zeit und Raum. Ich versuche, mir das jetzt so zu schaffen, wie es sich für mich gut und richtig anfühlt.
Das machen Sie jetzt mit einem neuen, kleinen Boutique-Hotel im Achten. Aber gibt es nicht schon genug Hotels in Wien?
Ich glaube, dass es genug gibt. Aber auch, dass es unterschiedliche Qualitäten braucht. Corona hat Entwicklungen beschleunigt und für mehr Differenzierung gesorgt. Dort setze ich an: Die Menschen sind wählerischer geworden, zeitlich sensibler, sie wissen mehr, was sie wollen. Die Differenzierung des Produkts wird also wichtiger.
Im Konzept von Artist steckt die Kunst. Wir haben 58 Persönlichkeiten gesucht, die in dieser Stadt gewirkt haben. Viele davon sind längst vergessen. Jedes Zimmer ist einer Person zugedacht, mit all ihrer Geschichte. Wir wollen einen authentischen Rahmen schaffen, in dem man genießen, eintauchen und sich mit sich selbst beschäftigen kann.
Die Stadthotellerie hatte es in den vergangenen Jahren besonders schwer, weil die Touristen gefehlt haben. Wie ist Ihr Befund und Ihre Aussicht dazu?
Die Zeiten waren schwierig, die Politik hat es uns nicht einfacher gemacht. Mein Befund für die Ist-Situation: Alles ist extrem schwankend. Es gibt den großen Willen der Menschen, zu reisen. Aber auch viel Ungewissheit – ökonomisch und politisch.
Zudem: Der Kongresstourismus ist nicht zurück, Geschäftsreisen auch nicht. Insgesamt ist man also weit weg vom Niveau von 2019. Meine Prognose für die nächsten zwei Jahre ist, dass wir starke Schwankungen im Geschäft haben werden, mit vielen Löchern. Damit muss man umgehen lernen. Und man muss sich das auch leisten können.
Wie kann man ein relativ kleines Hotel gewinnbringend führen?
Leider gilt hier das Gleiche wie bei allem in der Wirtschaft: Quantität produziert Gewinn. Ein kleines Haus kann man nur gut führen, indem man es qualitativ stark abspeckt oder stark auflädt. Wir haben und für die Qualität entschieden. Wir verfolgen das Konzept eines 5-Sterne-Hauses bei Service, Angebot und Qualität. Aber unsere Zimmer sind bewusst klein gehalten.
Wie lange braucht man, um ein Hotel in einer Stadt zu etablieren?
Normalerweise ein Jahr. Jetzt ist es ein bisschen anders, weil nach Corona mehr oder weniger alle neu anfangen. Jeder muss sich finden, der Markt funktioniert anders als vorher.
Man kann schon im Artist nächtigen, das Soft-Opening läuft seit September. Ihr Resümee?
Die Menschen lieben es. Im Haus dreht sich alles um den Wohnsalon, mit echtem Kamin und der Bar. Es ist wie früher zur Jahrhundertwende: Der Salon ist der Ort der Begegnung.
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