Mehr Risiko im Job: Wer wagt, hat die Chance, zu gewinnen
„Ja Hallo, hier ist der Josef, von Joseph Brot“, stellt sich Josef Weghaupt am Hörer vor. Der Bio-Bäcker ist bester Laune. „Ich habe lange ausschlafen können, dann geht’s mir immer gut,“ lacht er. Der Bäcker, der heute mit mehreren Filialen in Wien und einer Manufaktur in Burgschleinitz ein kleines Brot-Imperium aufgebaut hat, wird allerdings ernst, wenn er über die ersten Jahre seiner Gründung spricht. Da durchlebte er viele schlaflose Nächte.
Mit Ende 20 hatte er fast sein ganzes privates Geld in eine simple Idee investiert: Gutes, handgemachtes Brot zu verkaufen. Und das in einer Zeit, in der ein Bäcker nach dem anderen in Österreich zusperren musste und große Supermarkt-Ketten das Brotgeschäft für sich entdeckten. Konsumenten waren es gewöhnt, für ein halbes Kilo Brot gerade einmal 1,15 Euro zu zahlen. Ein Kilo Josephbrot hingegen kostet 7,20 Euro.
Josef Weghaupt lehnte sich mit seiner Passion für gutes Brot also weit aus dem Fenster. „Ich wollte es allen beweisen, vor allem meinem ehemaligen Chef, mit dem ich mittlerweile aber ein gutes Verhältnis pflege“, erzählt er. „Mein Geschäftsmodell war damals überhaupt nicht durchdacht, ich war schon sehr naiv“, sagt der Bäcker im KURIER-Gespräch.
Sein ursprünglicher Plan, die Produktion von Bio-Broten an Bäckereien auszulagern und ihnen einfach die Rezeptur dafür zu verkaufen, ging nicht auf. „Als ich das merkte, hatte ich aber schon sehr viel Geld in die Gründung, Produktentwicklung und Zertifizierung investiert.“ Aufgeben? War für ihn keine Option.
Zweites Risiko: die Eröffnung der ersten Filiale
Josef Weghaupt beschloss sogar, ein weiteres Risiko einzugehen: Die Eröffnung der ersten Joseph Brot-Filiale in Wien. Sein Mut, diesen einen Schritt weiter zu gehen, wurde belohnt. Schon am ersten Tag seiner Eröffnung hatte Weghaupt sein geplantes Umsatzziel erreicht.
Heute verantwortet er rund 170 Mitarbeiter in sechs Filialen. Ein Umstand, der ihn mittlerweile zu eher vorsichtigeren Entscheidungen zwinge. „Viele glauben, das Risiko ist vorbei, aber das stimmt nicht. Ich bin erst in 17 Jahren schuldenfrei“, beendet Josef Weghaupt das Gespräch – immer noch mit guter Laune.
„Größtes Risiko ist, kein Risiko einzugehen“
Beate Sander für ein Interview zu erreichen, ist nicht einfach. Sie gibt Coachings, schreibt Bücher, spricht im Fernsehen und auf Bühnen. Die 81-jährige „Börsenomi“, wie sie in Deutschland liebevoll genannt wird, ist begehrt: sie scheint das Geheimrezept zum Geldverdienen an der Börse gefunden zu haben.
Besonders an Sander ist nicht nur, dass sie Ratgeber zum Aktienhandel schreibt – vom Börsenführerschein bis zu fortgeschrittenen Anlage-Tipps ist alles dabei, rund 30 Finanz-Bücher hat sie verfasst. Das Spannende ist auch, dass sie ihre Karriere als Börsenspezialistin erst mit 59 Jahren begann, also zum Ende ihrer Karriere als Lehrerin hin. Ruhestand? „Ewigen Urlaub könnte ich mir nicht vorstellen“, sagt sie im KURIER-Gespräch.
Die umtriebige Frau wird Autodidaktin in der Wirtschaft, findet am Finanzparkett Gefallen am Riskieren. „Mut zum Risiko entspricht in vollem Umfang meiner Lebenseinstellung – und auch meiner Erfindung, der „Hoch/Tief-Mutstrategie“. Mit dieser mittlerweile preisgekrönten Aktien-Strategie macht sie aus ihrem Ersparten – 30.000 Euro – eine Million.
Ihre Grundregel: breit streuen, pro Titel nicht unter 1.000 Euro einkaufen, nur „gute Aktien rund um den Globus zu übertrieben abgestürzten Kursen kaufen und bei Gelegenheit zukaufen“ – und Ausschau nach jungen, dynamischen Firmen, sogenannten Einhörnern, halten. „Die Million hab ich bislang locker und erfolgreich mit Zugewinnen verteidigt“, sagt sie.
"Angsthasen- und Drückebergertum ist nichts für mich"
Ohne Mut zum Risiko wäre das nicht gegangen. „Bezüglich Karriere, Beruf und in der Geldanlage ist es wohl das größte Risiko, überhaupt kein Risiko eingehen zu wollen. Mutloses Angsthasen- und Drückebergertum sind nichts für mich“, so die 81-Jährige. Die Wirtschaftskennerin beobachtet eine zunehmende Risikoaversion der jüngeren Generationen.
„Die Gesellschaft hat großteils ein wenig den Mut verloren. Das sieht man auch in der Finanzwirtschaft– man hat das Geld lieber auf dem Sparbuch oder unter der Matratze, als dass man Rendite bekommt.“ Auch bei einigen neuen Familienunternehmen, über die Sander ebenfalls schreibt, erkennt man diesen Trend.
Früher waren Manager Haudegen, hatten Mut, Leidenschaft und Elan. Fragt man heute Studenten an der Uni, wollen nur die wenigsten Unternehmer werden.
„Früher waren Manager Haudegen, hatten Mut, Leidenschaft und Elan. Fragt man heute Studenten an der Uni, wollen nur die wenigsten Unternehmer werden. Sie sind zurückhaltend, viele möchten in den Öffentlichen Dienst. Sie überlegen sehr genau: Wie hoch wäre mein Risiko, wie viele Förderungen könnte ich bekommen, bliebe auch genug Freizeit? Sie schauen auf die Nebenschauplätze.“
Der Mut und unermüdliche Fleiß der alten Haudegen sterben aus. „Es ist erwiesen, dass die erfolgreichsten Generationen in Familienbetrieben die erste und die zweite sind. Heute trauen sich das viele nicht mehr zu, der Nachwuchs geht eigene Wege.“ Risiko sei, im Leben und in der Finanzwelt, aber nicht mit überstürzten Handlungen oder gar dem Eingehen echter Gefahren gleichzusetzen. „Es muss überschaubar sein, man muss diszipliniert und seiner Strategie treu bleiben.“
Über Risikobereitschaft im Job
Man braucht im Leben nichts zu fürchten, nur zu verstehen“, sagte die Wissenschafterin Marie Curie. Die zweifache Nobelpreisträgerin entdeckte vor mehr als 100 Jahren die Elemente Radium und Polonium und gilt als Mutter der Radio-Therapie. Zu ihren Lebzeiten ging Curie dafür viele Risiken ein. Sie erlitt aufgrund ihrer Arbeit mit radioaktiver Strahlung Seh- und Hörstörungen, die sich früh bemerkbar machten und doch forschte sie weiter. Für ihren Mut zum Risiko und ihre Errungenschaften als Frau in der Wissenschaft aber ist sie bis heute berühmt.
Ein Risiko kann entweder Hoffnung oder Bedrohung sein, sagt der renommierte Risikoforscher Gerd Gigerenzer in einem seiner TedTalks. „Aber wo ein Risiko ist, ist auch eine Chance nicht weit.“ Curie hatte Mut zum Risiko.
Lieber auf Nummer sicher
Heute sind es oft soziale Risiken,denen sich Menschen stellen müssen – und vor denen sich viele fürchten. Der Global Risk Report des World Economic Forum zeigt auf seiner jährlich aktualisierten Rangliste, dass neben der Angst vor Umwelt-Risiken, wie dem Klimawandel, auch soziale Risiken als gefährlich wahrgenommen werden. Es ist die Furcht vor Jobverlusten, vor zu geringen Verdienstmöglichkeiten, vor prekären Lebensverhältnissen trotz Arbeit.
In einer globalisierten, komplexen Welt suchen Menschen nach Sicherheit, Berechenbarkeit, man will Risiken vermeiden. Eine generell spürbar zunehmende Risikoaversion sei laut Petra Eggenhofer-Rehart vom Interdisziplinären Institut für Verhaltenswissenschaftlich Orientiertes Management an der WU Wien auch auf die Konjunkturlage zurückzuführen.
Aus Studien wisse man, so die Forscherin, dass Menschen in Zeiten der Rezession weniger bereit sind, ihren Job zu wechseln. In Zeiten des Aufschwungs hingegen würden sie mehr Risiken eingehen.
Millennials suchen Stabilität und Sicherheit
Eine im Mai 2019 veröffentlichte Deloitte Millennial Survey ergab zudem, dass vor allem Millennials ein Bedürfnis nach Stabilität und Sicherheit in der Arbeitswelt haben, ihr Wunsch, einmal selbstständig zu werden oder in als Freelancer zu arbeiten, sinkt. Knapp die Hälfte der europäischen Arbeitnehmer ist an diesen Arbeitsformen nicht mehr interessiert, belegt auch die Studie „The Workforce View in Europe 2019“ der Schweizer Human-Ressources und Finanz-Beratung ADP.
In Hinblick auf Karriere und Arbeit macht auch Eggenhofer-Rehart eine größere Risikoaversion aus. „Dazu tragen einerseits die Medienberichterstattung über Krisen und schwierige wirtschaftliche Bedingungen bei, andererseits ist es die stetige Zunahme von prekären Arbeitsbedingungen, die die zunehmende Risikoaversion ein Stück weit rechtfertigt.“
Angst vor dem Scheitern
Hinzu komme eine Angst vor dem Scheitern und die damit verbundene gesellschaftliche Stigmatisierung. Wem ein kapitales Missgeschick passiert oder wer gar ein Unternehmen in den Sand setzt, gilt als Versager.
Auch in der Arbeitswelt ist eine positive Fehlerkultur häufig ein Tabuthema. Obwohl Firmen durch mutige und risikobereite Mitarbeiter sehr profitieren würden, wie Uni-Lektorin und Karriere-Coach Gabriele Cerwinka sagt.
„Solche Menschen sind für Unternehmen sehr wertvoll. Sie sind als Mitarbeiter vielfältig einsetzbar, denn sie haben keinen Tunnel-, sondern einen Rundumblick und ein breites Wissen. Der Mut, seine Komfortzone zu verlassen, sollte honoriert und nicht sanktioniert werden.“
Dass Risikobereitschaft sich lohnen kann, zeigen Geschichten wie jene von Josef Weghaupt. Mit Ende 20 stemmte er sich gegen die industrielle Massenfertigung von Brot und biss sich auch durch die schwierigen Gründungsjahre durch, in denen er kein Geld verdiente, sondern private Verluste machte. Von solchen Köpfen können auch Firmen lernen, meint Cerwinka. Große Unternehmen müssen agil sein, um wettbewerbsfähig zu bleiben. „Sonst bestraft sie der Markt.“
Aber wie wird man mutiger?
Die Expertin Gabriele Cerwinka rät:
1. Sich zuallererst bewusst werden, was einen persönlich blockiert. Ist es die Angst vor dem Chef? Einem Jobverlust, einer Bloßstellung?
2. Ein Ziel formulieren: Was soll mit seiner Entscheidung erreicht werden?
3. Risiken abschätzen. Visualisieren, was der schlimmste Fall werden könnte und entscheiden, ob es das wert ist.
4. Für sich beantworten, ob man die Verantwortung für einen möglichen Fehler übernehmen will.
5. Einen Reality-Check machen: Wie realistisch ist die Umsetzung meiner Entscheidung?
Mut zum Risiko braucht mitunter einen starken inneren Anreiz. Das kann persönliche oder berufliche Weiterentwicklung sein oder aber der Ansporn, mit einer Entdeckung die Welt zu verändern.
Der Mut vieler unserer (einstigen) Weggefährten zeigt, dass sich das lohnen kann. Hätte es Menschen wie Marie Curie, Thomas Alva Edison oder Tim Berners-Lee nicht gegeben, gäbe es heute keine Strahlen-Therapie, keine Glühbirnen und kein World Wide Web. Also, nur Mut.
Kommentare