KURIER: Was hat Sie ausgerechnet in die Krebsforschung gezogen?
Maria Sibilia: Ich wollte immer schon Medizin studieren, aber wollte Krankheiten nicht nur behandeln, sondern auch verstehen. Ich habe mich damals für die Krebsforschung entschieden, weil mein Opa an Lungenkrebs erkrankt ist. Seitdem erforsche ich die molekularen Grundlagen, wie es überhaupt zu Krebs kommt und wie Tumorzellen mit dem Immunsystem interagieren.
Was genau macht man als Forscherin?
Man hat innovative Ideen, stellt Hypothesen auf und versucht, sie mit Experimenten zu belegen oder zu widerlegen. Wenn man einen Schritt weiter kommt, ist das ein großartiges Gefühl, das kann aber Jahre dauern.
Inwiefern?
Als ich noch jung war, hat man mir gesagt, dass man eine erfolgreiche Wissenschafterin wird, wenn 20 Prozent der Experimente funktionieren. Man muss immer wieder neue Wege versuchen. 80 Prozent der Dinge, die man zu erforschen versucht, führen zu nichts.
Wie geht man mit so vielen Enttäuschungen um?
Aus Fehlern lernt man. Man muss eine positive Grundeinstellung haben. Wenn etwas nicht gelingt und man ewig getrübt bleibt, ist man im falschen Beruf. Man braucht Resilienz und muss mit Kritik und Feedback umgehen können, sie positiv umsetzen. Wenn meine Forschungsprojekte abgelehnt werden, lege ich sie erst mal in die Schublade und befasse mich später damit. Sich zu sehr ärgern hat keinen Sinn.
Worauf arbeitet man als Krebsforscherin hin – abgesehen von Heilungsmethoden? Langfristig wollen wir Krebs natürlich zu einer chronischen Erkrankung machen. Um in Ruhe forschen zu können, muss man aber genügend Forschungsgelder haben und entsprechend Förderungen bekommen.
Manche Förderungen haben ein Volumen von 2,2 Millionen Euro: Ist das viel für ein Wissenschaftsprojekt?
Man braucht Förderungen, um Projekte durchzuführen. 70 bis 80 Prozent des Geldes wird für Personal verwendet, der Rest für Sachmittel, die man für die Forschung braucht. Mit Förderungen können wir Forscher und Forscherinnen der Zukunft ausbilden. Diese Doktoranden leisten eine sehr wertvolle Arbeit.
Oft werden Wissenschafter in den Medien als Einzelkämpfer dargestellt, die allein in einer Kammer sitzen und forschen: Wie realistisch ist dieses Bild?
Das gewisse Eigenbrötlerische gibt es sehr wohl. Aber in den vergangenen 15 Jahren ist die Forschung interdisziplinärer geworden. Das Zusammenspiel wird immer wichtiger. Man arbeitet mit Klinikern zusammen, mit Analysten und Big Data. Die Forschung ist eine Teamarbeit geworden.
Mit Konkurrenzkämpfen?
Die gibt es natürlich, aber Konkurrenz ist etwas Gesundes. Man ist dadurch angespornt, besser zu sein. Man braucht starke Mitspieler, um sich gegenseitig mit guten Ideen zu fordern und zu fördern.
Was braucht man noch?
Eine große Dosis an Neugierde, Glück und die Bereitschaft, viele Stunden zu arbeiten. Ich sage meinen Studenten immer: Wissenschaft ist eine Leidenschaft. Es ist kein Job wie jeder andere. Wenn man ein großes Talent hat, aber nicht jeden Tag trainiert, dann wird man es nicht an die Weltspitze schaffen.
Also keine Work-Life-Balance.
Es ist schon möglich, aber man kann dann vielleicht nicht hochverantwortungsvolle Jobs übernehmen. Um vorne dabei zu sein, muss man viel Zeit investieren, so wie beim Spitzensport.
Wie sieht ihr Arbeitsalltag als Managerin aus?
Manchmal kann mein Arbeitsalltag langweilig sein, da ich auch viel Papierkram bearbeite. Die Forschung selbst ist aber unglaublich spannend. Ich forsche seit über 20 Jahren am gleichen Thema, nämlich an der Rolle eines Wachstumsfaktorrezeptor, dem EGFR, in der Krebsentstehung. Man findet in der Forschung immer Neues und die Wissenschaft entwickelt sich ständig weiter. Wenn ich die Wahl hätte, würde ich mich wieder für diese Karriere entscheiden.
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