Trendscout: "Werden nicht mehr über Vier-Tage-Woche diskutieren"
Trendscout Raphael Gielgen besucht die fortschrittlichsten Firmen und Unis der Welt, um zu erfahren, wie wir in Zukunft arbeiten. Und erteilt der Vier-Tage-Woche eine Absage.
Raphael Gielgen arbeitet für vitra, ein Familienunternehmen, das sich auf Wohn- und Büromöbel spezialisiert hat. Doch Gielgen interessieren nicht die neuesten Designs, stattdessen reist er als „Future of Work“-Trendscout um die Welt, besucht mehr als 100 Unternehmen und Universitäten pro Jahr. Sein Ziel: zu erfahren, wie wir in Zukunft arbeiten werden. Darauf hat er Antworten gefunden.
KURIER:Sie reisen um die Welt, um die Zukunft der Arbeit besser zu verstehen. Was machen Sie da genau?
Raphael Gielgen: Ich schaue mir die Epizentren der Veränderung an, gehe ins Auge des Orkans. Spreche beispielsweise mit Microsoft, wie sie eine Infrastruktur für Künstliche Intelligenz aufbauen. Wie viel Geld sie investieren, was deren Pläne sind. Ich gehe also zu wesentlichen Akteuren, um aus erster Hand zu verstehen: Was machen die da?
Welche Firma hat Sie zuletzt in Staunen versetzt?
Porsche hat ein physisches Archiv, in dem alle Autos, die jemals produziert wurden oder Rennen gefahren sind, gesammelt sind. Geht man dort hinein, betritt man quasi das große Gedächtnis von Porsche. Ich habe gespürt, wie viel Kraft die Historie hat. Durch die Körperlichkeit des Autos sieht man, wie sich Sachen entwickelt haben. Aber dann sieht man auch, wie Designer und Entwickler dort ein und ausgehen und sich die Frage stellen, wie man diese Autos in die heutige Zeit transferieren könnte. Nicht um irgendetwas vintagemäßiges zu machen, das wäre trivial, sondern als würden sie ihr großes Gedächtnis fragen. Da war ich ein bisschen sprachlos.
Gibt es einen Trend in der Arbeitswelt, den Sie sicher eintreten sehen?
Abteilungen werden sich auflösen. Die Einzigen, die überleben werden, sind die regulierten: Finanzen und Recht. Es gibt zu wenige Menschen, die künftig arbeiten. Um diese bestmöglich einzusetzen, müssen sie agil sein, ihre Fähigkeiten in vier unterschiedliche Projekte einbringen. Ähnlich wie beim Gaming: Man zockt auch immer in unterschiedlichen Gruppen und nicht nur in einer.
Haben das schon viele Firmen umgesetzt?
Es gibt erste Unternehmen mit viel Innovationsdruck, die das schon machen. Das nennt man crossfunktionale Teams. Das hat auch damit zu tun, dass wir von einer wissensbasierten Ökonomie in eine fähigkeitsbasierte Ökonomie gehen. Da ist das Erlangen von neuen Fähigkeiten wichtiger als das Wissen selbst. Die Lerngeschwindigkeit nimmt zu.
Flexible Teams haben auch den Vorteil, internationaler zu werden.
Wir werden am Ende des Jahrzehnts Menschen haben, die zu 25 oder 30 Prozent in der Zeitzone Europa arbeiten und eben nicht nur in Wien. Die Postleitzahl spielt keine Rolle mehr. Bis dahin hat das Steuerrecht das reguliert. Der Arbeitsort ist die Zeitzone, da haben wir einen großen Vorteil gegenüber Asien oder den USA, die viel größere Zeitunterschiede haben.
Wie sieht es mit den Arbeitszeiten per se aus?
Wir werden soziale Debatten – nehmen wir die Vier-Tage-Woche, die alle so geil finden – nicht mehr führen. Denn hat man selbst vier Tage, hat auch die Kindergärtnerin vier Tage und die Hausärztin und der Busfahrer und dann findet drei Tage lang nichts statt. So funktioniert die Welt nicht. Wir werden feststellen, dass die Ich-Perspektive eben nicht die gesellschaftliche Perspektive sein kann.
Wir gehen von einer wissensbasierten Ökonomie in eine fähigkeitsbasierte Ökonomie. Da ist das Erlangen von neuen Fähigkeiten wichtiger als das Wissen selbst.
von Raphael Gielgen
Woraus ziehen Sie diese Schlüsse?
Ich bin weder Hellseher noch Forscher. Aber die Summe der Einblicke, die ich aus ganz verschiedenen Domänen sammle, dann übereinanderlege und kombiniere, geben mir das Gefühl, dass das eine logische Konsequenz ist.
Wir wissen vom demografischen Wandel und dass wir flexibler werden müssen. Warum machen wir es nicht?
Ihr habt diesen wunderbaren Österreicher Wolf Lotter, der in einem Buch schrieb: Noch nie haben wir im reichen Westen so viel gewusst, so viel gelernt und so wenig verstanden. Im Verstehen sind wir ziemlich mies, das Bildungswesen hat uns in feste Denk- und Handelsmuster verdammt. Selbst wenn man in eine Firma reingeht: das Onboarding verläuft nach einem Plan. Und nach dem wird man konditioniert. In der Zukunft braucht es viel mehr Anpassungsfähigkeit. Eine Führungskraft war früher wie ein Kurarzt, der sich die Zeit nehmen konnte, Tee zu trinken und dann erst in die Patientenakte zu schauen. Heute ist er in der Ambulanzstation im Krankenhaus. Ob man die Dynamik gut oder schlecht findet, nützt nichts.
Amy Webb, eine bekannte Futuristin, hat jüngst in der Harvard Business Review einen Bericht veröffentlicht, in dem sie schrieb: Man hat irgendwann Strategie und Vorschau getrennt. Man ist nur mehr die Strategie gefahren und wundert sich, dass die Welt jetzt eine andere ist, und das Geschäft nicht mehr funktioniert. Wir hatten ein stabiles System – Ressourcenverbrauch spielte keine Rolle, Energie kostete kein Geld, die Globalisierung verlief friedlich. Die Welt war eine große Party. Jetzt aber sind wir so stark mit Veränderung konfrontiert, dass die Firma wieder mehr Zeit in ihre Vorschau investieren muss. Und sich die Frage stellt: Wie findet mein Unternehmen in fünf oder zehn Jahren statt? Oder: Was bleibt von meiner Arbeit in fünf oder zehn Jahren übrig? Ist dieser Muskel einmal aktiviert, hat man eine innere Unruhe und merkt: da ist was dran.
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