Personal- und Imageprobleme: Wie sehr brodelt es in Österreichs Küchen?
Die Währung heißt Hauben, Gabeln oder Sterne, doch den höchsten Wert hat der Genuss. So auch vergangene Woche, als die österreichischen Gourmetküchen einen Abend ohne ihre Chefinnen und Chefs auskommen mussten. Die sammelten sich in Wien im Hotel Andaz, wo der Gault Millau die besten Köchinnen und Köche des Landes auszeichnete.
Ausgiebig gefeiert und erholt wird sich danach jedoch nicht. Denn November und Dezember sind die – mit Abstand – stressigsten Monate in dem Beruf, der nicht nur Glitzer und Glamour mit sich bringt, sondern auch ein Image- und Personalproblem.
Schattenseiten des Kochberufs
Gaststättenköche halten sich seit 2019 eisern auf der bundesweiten Liste der Mangelberufe (nur nicht 2021). Doch auch davor kamen selten mehr als zwei Arbeitssuchende auf eine offene Stelle. Warum das so ist, lässt sich nur vermuten. Negativ-Berichte über ein raues Klima in den Küchen oder Verstöße gegen Sozial- und Arbeitsrechte zeichnen ein unvorteilhaftes Bild, das freilich nicht auf alle Betriebe umzumünzen ist. Doch auch die Fakten sprechen für sich:
Als Koch arbeitet man dann, wenn die meisten anderen frei haben und das – zumindest laut Kollektiv – um ein Gehalt, das kaum zum Leben reicht. Hinzu kommen ein enormer Arbeitsdruck, die Hitze, das Platzproblem, das in vielen Küchen herrscht, der Mangel an Tageslicht, Überstunden, die in dieser Branche fast unumgänglich sind. „Acht Stunden am Tag, fünf Tage die Woche sind selten machbar bei dem Arbeitskräftemangel“, sagt Eva Eberhart von der Gewerkschaft vida, die außerdem Betriebsratsvorsitzende bei Nordsee ist.
„Es ist der schönste Beruf“, sagt sie, sofern man das Negative ausblendet, das die Branche belastet. „Meistens sind Mitarbeiter unterbesetzt, haben fast keine Pausen, keine Zeit zu essen, Ruhezeiten können nicht eingehalten werden.“ Dennoch habe sich in den vergangenen Jahren vieles zum Positiven gewandelt. Was genau und ob das reicht, um wieder mehr Menschen in den Beruf zu locken?
Das Klima wird milder in den Küchen
Es ist die ältere Kochgeneration, die laut Fabian Schablas zu verantworten hat, „dass wir jetzt in der Situation sind, in der wir sind.“ Der Jungkoch arbeitet in einem Fünf-Sterne-Hotel in Bad Waltersdorf, war heuer Finalist beim „Next Chef Award“ und hat es sich zur Aufgabe gemacht, wieder mehr Junge für seinen Beruf zu begeistern. Das vermeintlich niedrige Gehalt wäre nicht der ausschlaggebende Faktor, warum viele dem Job fernbleiben, sagt er.
Fabian Schablas startete den Video-Podcast "Von Koch zu Koch", um junge Menschen für den Job zu begeistern. In der ersten Folge: Niemand Geringerer als Steirereck-Chef Heinz Reitbauer.
„Die ganzen Schauergeschichten hängen schon mit dem Umgangston zusammen. Dass geschrien oder mit Sachen geworfen wird“, sagt er. Auch er hätte „natürlich“ Vorfälle wie diese erlebt, nur sind sie seltener geworden und sollen selbst in der Sterneküche keinen Platz mehr finden.
Das bestätigt Vitus Winkler. Er wurde vergangene Woche vom Gault Millau zum „Koch des Jahres“ ausgezeichnet. Mit seinem „Kräuterreich“ in St. Veit im Pongau erkochte er zwei Michelin-Sterne und vier Hauben. Wer heute noch hinter dem Küchenpass schreit, Mitarbeitern keinen Respekt zollt, hat keine mehr, ist er überzeugt. „Das hat sich gewandelt und ist auch gut so.“ Gut ausgebildete Köche könnten spätestens seit Corona sehr wählerisch sein, für welchen Betrieb sie arbeiten möchten. Das hat auch die Verhandlungsmacht beim Gehalt verändert.
Aufpolierte Gehälter und bessere Verhandlungsbasis für Köche
Parvin Razavi ist seit 2021 Chefköchin im &flora im siebenten Bezirk, hat dort drei Hauben erkocht und war „Newcomerin des Jahres“. Erst Ende 2017 wagte sie sich als Quereinsteigerin in die Szene. Sie ist sicher: Hätte sie als Lehrling begonnen, würde sie den Beruf vermutlich nicht mehr ausüben.
„Gerade als junge Frau ist es in einer männlich dominierten Küche nicht so einfach“, sagt sie. Als Erwachsene mit ausgeprägtem Gerechtigkeitssinn fiel es ihr einfacher, Grenzen zu setzen und für sich einzustehen. Nur beim Gehalt lief auch sie anfangs gegen eine Wand. „Wie ich in der Küche begonnen habe, habe ich 1.600 Euro netto verdient“, erinnert sie sich. „Ich wollte hundert Euro mehr und habe sie nicht gekriegt.“ Sie sei als Mama zu wenig flexibel, hieß es. Wenige Jahre später könnte man in der Branche aus ihrer Sicht gut von dem Gehalt leben. Auch wenn ein Blick in den Kollektivvertrag anderes vermuten lässt.
3.000 Euro brutto pro Monat knackt nicht einmal der Küchenchef mit über zwanzig Jahren Erfahrung in der Gehalts- bzw. Lohntabelle (hier die Lohn- und Gehaltstabellen im Überblick). Lediglich Geschäftsführer oder Hoteldirektoren gelingt das knapp. Trinkgelder, die das Gehalt aufpeppen, sind überschaubar – meist gibt es für die Küche nur freiwillige Abgaben vom Service oder einen kleinen Prozentsatz vom Tagesumsatz. An die Gesamteinnahmen von Kellnern ranzukommen, war für Köche schwierig. Das soll sich geändert haben.
„Die Kollektiventlohnung ist maximal eine Verhandlungsbasis, speziell bei Köchen“, sagt etwa der neue Obmann des Fachverbandes Gastronomie Alois Rainer der Wirtschaftskammer. Gewerkschafterin Eva Eberhart bestätigt: „Ein guter Koch steht unter 3.000 Euro (brutto, Anm.) gar nicht auf.“ Wobei sie ergänzt, dass es in der Systemgastronomie (Ketten, Fast-Food, Anm.) und in kleinen Restaurants sehr wohl Ausnahmen gibt. Da gilt, was im KV steht.
Sternekoch Vitus Winkler plädiert dafür, die Kollektivgehälter sukzessive an die Realität anzupassen. „Da ist kein Praxisbezug mehr“, sagt er. Und auch Fabian Schablas hält das für wichtig, um keine Nachwuchstalente zu verlieren. „In der Obersteiermark merken wir ganz stark, dass wir keine Lehrlinge für den Kochberuf mehr kriegen. Die voestalpine nimmt viele Lehrlinge weg, gerade wegen des hohen Lohns. Da gehört etwas gemacht“, sagt Schablas, der an die Politik und nicht an die Betriebe appelliert. „Der Betrieb macht eh so viel, wie er kann. Wenn man sich die Lohnsteuer anschaut, ist das ein Wahnsinn, was da aufgefressen wird.“ Seitens der Betriebe sieht er aber eine andere Möglichkeit, Mitarbeitenden entgegenzukommen.
3.572 offene Stellen verzeichnet das AMS für Köche und Küchengehilfen im Oktober 2025. Vor einem Jahr waren es noch über 4.000. Generell schwanken die offenen Stellen je nach Saison, ordnet Alois Rainer, WKO-Obmann des Fachverbandes Gastronomie ein. Arbeitslos und in Schulung sind aktuell 21.244 Köche und Küchengehilfen in Österreich. Klingt vergleichsweise viel, aber „das Bild ist verschoben“, so Rainer und nennt ein fiktives Beispiel: „Wenn in Wien 2.000 offene Stellen sind und in Vorarlberg 2.000 Arbeitslose, lässt sich das nicht ummünzen.“ Insbesondere der Gaststättenkoch ist deshalb schon seit Jahren Mangelware und Fixstarter auf der Mangelberufsliste. Das Ziel sei, von dieser „runterzukommen“, so Rainer. Bis dahin ermöglicht der Status des Mangelberufs aber, Personal aus Drittstaaten gezielt zu rekrutieren.
Für Agenturen ist das mittlerweile ein gutes Geschäft – sie übernehmen die Bürokratie für Betriebe, holen Köche etwa aus der Türkei (lesen Sie mehr hier) oder von den Philippinen nach Österreich, um den Bedarf zu decken. Mit dem inländischen Nachwuchs allein geht sich das nicht mehr aus. 920 Koch-Lehrlinge sind es aktuell in ganz Österreich, sagt Alois Rainer. Diese Zahl will man halten. Ein Teil des Demografie-Problems, das langsam auch die Küchen ereilt, ließe sich so gut abfedern, erklärt der Gastonomie-Obmann. Sofern Lehrlinge, die in den Beruf kommen, auch darin bleiben.
Wie viel Work-Life-Balance verspricht der Kochberuf?
Es geht um das Thema Work-Life-Balance, das lange ein Fremdwort in der Gastronomie war. Rahmenrechtlich hat sich im Kollektivvertrag dazu einiges getan – erhöhte Nachtzulagen oder Mehrstundenzuschläge (weshalb Stunden weniger überreizt werden) oder ein Anspruch auf zusammenhängende Freizeit. „Wir haben geschafft, dass Mitarbeitende einmal pro Monat am Wochenende freihaben müssen“, sagt Gewerkschafterin Eberhart. Fraglich ist nur – hält man sich daran?
„Die Work-Life-Balance ist sicher eine andere, als sie einmal war“, sagt Fabian Schablas. Das empfinden auch Vitus Winkler und Parvin Razavi so. Es wird mehr abgesprochen, Rücksicht genommen, wenn ein Kollege an einem bestimmten Wochenende frei braucht, sofern es der Personalstand zulässt. „Das ist ein Mehrwert, den wir über das Geld hinaus bieten. Dass wir weniger Überstunden anhäufen, Ruhezeiten einhalten“, sagt Küchenchefin Razavi. Nicht überall läuft es so rücksichtsvoll. Dagegen sprechen die vielen Fälle, die Arbeiterkammer und Gewerkschaft bekannt sind. „Es gibt solche und solche Arbeitgeber“, fasst es Gewerkschafterin Eva Eberhart zusammen, die darauf pocht, dass gesetzliche Bestimmungen auch wirklich eingehalten werden.
Momente, in denen man „am Anschlag“ ist, würde es aber selbst im besten Betrieb geben, erinnert Parvin Razavi. „Das ist Gastronomie, da muss man durch.“ Eine dieser Phasen hat jetzt begonnen, wenn die Firmen wieder für Weihnachtsfeiern einkehren, die Gastronomie geflutet wird und die Küche sowie das Service auf Hochtouren laufen. „Dieses Adrenalin, von dem leben wir“, sagt die Küchenchefin. „Rückblickend kann man immer sagen: Es war hart, aber wir haben es geschafft.“
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