Kinder verändern Karriere

Frauen, die es augenscheinlich mühelos schaffen, Kinder und Karriere zu vereinbaren, sind Vorbilder. Andererseits ungeheuer nervig.
Frauen kämpfen um Chancengleichheit, sind strebsam, arbeiten sich nach oben – und machen dann, als Mama, doch lieber nicht Karriere. Was passiert in der Babypause?

Am 20. Oktober präsentierte Marissa Mayer, die Frau mit dem charakteristischen schulterlangen Bob und dem Hollywood-Lächeln, die Quartalsergebnisse von Yahoo vor TV-Kameras. Sie ist mit Zwillingen im siebenten Monat schwanger. Nicht ihr Habitus verrät die nahende Geburt, nicht ihr Aussehen, was der frontalen Perspektive und dem floral gemustertem Kleid zu verdanken ist. Aber jeder weiß: In weniger als zwei Monaten wird sie die Zwillingsmädchen bekommen. Danach will sie für nur 14 Tage vom Job aussetzen.

Frauen, wie Marissa Mayer, die es augenscheinlich mühelos schaffen, Kinder und Karriere zu vereinbaren, sind Vorbilder. Andererseits ungeheuer nervig. Weil sie den Druck auf andere Frauen erhöhen, indem sie die Fragen provozieren: "Wieso schaffen sie das und nicht ich?" Oder: "Ist das denn wirklich notwendig?"

Ist das nötig?

Die Antwort gibt es pauschal so nicht. Schon gar nicht in einem Land wie Österreich, wo Familie und die Rollen der Eltern noch sehr traditionell gedacht werden. Im Vergleich zu anderen europäischen Ländern bleiben Frauen in Österreich lange in Karenz. Männer spielen bei der Kindererziehung eine eher unbedeutende Rolle. Die Hälfte der Mütter in Österreich wählt eine lange Karenzvariante – im Westen Österreichs ist die Tendenz dazu noch stärker.

Wem oder was ist das geschuldet? Was passiert in dieser Babypause, dass sogar Frauen, die zuvor Karriere machen, lange zu Hause bei den Kindern bleiben? Oft nur noch in Teilzeit einsteigen? Der biologischen und emotionalen Komponente – Liebe, die Hormone, der Arterhaltungstrieb, der neue Blickwinkel – ist das nicht alleine geschuldet.

Die anderen – gewichtigeren – Zutaten, wieso Frauen ihren Fokus oft komplett auf die Kinder richten: fehlende Unterstützung, sowohl emotional, institutionell, als auch finanziell.

Eben die hat Mayer: Sie hat ein unterstützendes familiäres Umfeld und einen Arbeitgeber, der sie wertschätzt, sie ermutigt und Elternschaft als Zugewinn, nicht als notwendiges Übel zur Sicherung der Pension sieht – bloggt sie zumindest. Und sie verdient richtig viel Geld.

Auch die Journalistin Corinna Milborn kam nach dem Mutterschutz, also acht Wochen nach der Geburt ihrer Tochter, in den Job zurück. Sie sagt: "Mein Mann hat sich sehr viel Zeit genommen. Außerdem habe ich eine tolle Haushaltshilfe und Kinderfrau. Ich möchte mit dem Mythos aufräumen, dass das alles nur eine Frage von guter Organisation ist: Niemand ist so gut organisiert, dass er Beruf und Kinderbetreuung alleine auf die Reihe bekommt. Das geht nur, wenn beide Elternteile gleichermaßen Verantwortung übernehmen und zusätzlich Familie oder bezahlte Hilfe zur Verfügung steht. Wer was anderes behauptet, will Frauen wohl ein schlechtes Gewissen machen."

Viele Frauen haben nicht diese Voraussetzungen. Oft haben sie aber Jahre in den Job investiert, fühlen sich ausgepresst und ob sie je weiterkommen, ist ohnehin nicht abzusehen. Sonja Dörfler, Soziologin an der Uni Wien und im Österreichischen Institut für Familienforschung, sagt: "Frauen, die einen interessanten Job, ein gutes Einkommen haben, die viel in ihre Ausbildung investiert haben, kommen früher zurück. Aber es gibt auch das Phänomen, dass Frauen Kinder dann kriegen, wenn sie unzufrieden im Job sind, wenn sie das Gefühl haben, nicht weiterzukommen." Dann nutzt frau die Karenz, um sich umzuorientieren oder sie bleibt eben lange zu Hause – eine Auszeit vom Job. Eben dann beginnt laut Dörfler der traditionelle Rollenfilm zu laufen: Der Mann ist für das Einkommen zuständig. Die Frau für die Kindererziehung.

Fehlende Betreuung

Viele Mütter, die gerne arbeiten wollen, würden sich die Frage stellen, ob es sich überhaupt lohnt, schnell zurückzukehren. "Denn gerade im ländlichen Raum sind oft die Opportunitätskosten für Frauen zu hoch, wenn sie eine Kinderbetreuung wollen", sagt Dörfler. Die richtige Betreuung kostet Geld, die Wegzeit birgt Stress – oft lohnt sich das nicht für ein Teilzeiteinkommen.

Rotraud A. Perner veröffentlichte gemeinsam mit ihrer Stieftochter im September ein Buch: "Was Frauen stresst. Eine Erhebung." Sie sagt: "Die meisten Frauen gehen deswegen nicht schnell zurück, weil sie nicht die passende Kinderbetreuung haben. Die Großeltern sind selbst noch im Beruf, wohnen zu weit weg, sind gedanklich auch nicht auf der Linie der Eltern, sind zu traditionell oder zu progressiv. Und Kinderbetreuung ist nicht billig. Was fehlt, sind erziehungsgerechte Arbeitsplätze", sagt sie. Wie lange die noch auf sich warten lassen, ist nicht absehbar.

Gerade in wirtschaftlich schwierigen Zeiten würden Kinder die Karriere wieder in den Hintergrund rücken – auch wenn in den vergangenen 40 Jahren die Erwerbsbeteiligung von Frauen gestiegen ist. Wenn Frauen wieder in den Beruf zurückkehren, entspricht der Job zudem oft nicht mehr ihren Qualifikationen. "Ich beobachte, dass sich parallel zur Situation am Arbeitsmarkt auch die Umgangsformen verschlechtert haben: Selbst wenn man in den selben Job zurückkehrt, braucht es lange, bis frau akzeptiert wird", sagt Perner.

Die Kuschelecke

Angesichts der schwierigen Rahmenbedingungen wundert es wenig, dass sich Frauen nach der Karenz oft selbstständig machen. Das ist laut Dörfler oft ein Versuch, um bessere Vereinbarkeit zu erreichen. Dabei erfordert Selbstständigkeit vor allem gute Nerven und Ressourcen – auch wenn man ein Babymodengeschäft eröffnet. Ebenso wie die Nachteile der Selbstständigkeit werden auch die Nachteile langer Karenzzeiten gerne zur Seite geschoben. Dabei wäre es gesellschaftspolitisch wichtig, dass Frauen und Männer gleich gestellt werden und Arbeitgeber attraktive Modelle anbieten: Weil Frauen sonst nie in Quantität und Qualität gleichauf mit Männern in Führungspositionen sein werden. Sie aber nur so das System mitgestalten und gleich viel verdienen könnten.

Wem das nicht so wichtig ist, der kann vielleicht diesen Argumenten etwas abgewinnen: Erwerbstätige Frauen verbringen nicht wesentlich weniger aktive Zeit mit ihren Kindern. Sie sparen Zeit bei Haushalt und den eigenen Freizeitaktivitäten. Eine Studie aus Schweden zeigt, dass Beziehungen länger und glücklicher sind, wenn sie gleichberechtigt sind. Eine Harvard-Studie besagt: Kinder erwerbstätiger Mütter sind später erfolgreicher und selbstständiger.

Als Judit Havasi (40) in den Vorstand der Wiener Städtischen berufen wurde, war ihr erster Sohn noch keine eineinhalb Jahre alt. Weder beim ersten (8), noch beim zweiten Sohn (5) ging sie in Karenz. Gleich nach dem Mutterschutz stieg sie in Vollzeit in den Job ein („beim ersten Sohn nahm ich mir aber im ersten halben Jahr viel Urlaub“). Ehemann und Mutter halfen ihr, seit vier Jahren unterstützt eine Vollzeit-Nanny. Seit 2011 ist Havasi stv. Vorstand der Vienna Insurance Group (VIG), seit 2013 vertritt sie den Direktor der Wiener Städtischen. Ab Jänner 2016 wird sie VIG-Vorstand.

KURIER: Wie hat Sie die Karenz verändert?
Judit Havasi: Ich glaube, ich bin viel effizienter, reifer und nachsichtiger geworden – und in der Sache viel genauer. Die Kinder geben einem Weitsicht.

Wie haben sich Ihre Prioritäten verändert?
Die Prioritäten haben sich nicht so geändert. Die Kinder bringe ich jeden Tag zur Schule und in den Betriebskindergarten, ein Segen. Die Zeit von 18 bis 20 Uhr gehört meinen Kindern.

Arbeiten Sie anders als vor den Kindern? Wie?
Früher habe ich alles in der Firma gemacht, heute nehme ich den Laptop, wenn die Kinder schlafen. Es gibt eine beinharte Priorisierung der Dinge. Letzte Woche hat der Kleine sich das Bein verstaucht, da muss man einiges organisieren. Firma und Kollegen haben aber größtes Verständnis.

Was war Ihnen vorher wichtig, was ist es heute?
Vor den Kindern war eine spannende Arbeit wichtig für mich. Ich stand selbst auf dem Podest. Jetzt ist es so: Wenn es den Kindern, der Familie und auch der Firma gut geht, geht es auch mir gut. Langsam habe ich aber wieder Lust, ab und zu abends Essen oder ins Theater zu gehen.

Vor 16 Jahren war sie mit ihrer ersten Tochter ein Jahr lang in Karenz. Als sie 2013 mit ihrer zweiten Tochter im fünften Monat schwanger war, passierte Corinna Milborn (42) etwas Ungewöhnliches: Sie wurde von der Moderatorin zur Info-Direktorin beim Privatsender Puls4 befördert. Ihre Leitungsfunktion übte sie im ersten Jahr 30 Stunden die Woche aus. „Ich habe gleich am ersten Tag eine Pro und Contra-Sendung moderiert – so hatte ich gar nicht das Gefühl, lange weg gewesen zu sein.“ Hilfe bekommt sie von Mann und Kinderfrau.

Wie hat Sie die Karenz verändert?
Ich war mein ganzes Berufsleben lang Mutter, da ich ja meine erste Tochter mit 26 bekommen habe. Ich kann also nicht sagen, dass mich die Karenz verändert hätte – für mich waren Kinder immer ein Teil des Lebens, und ich finde es normal, Kinder und Beruf zu kombinieren.

Wie haben sich Ihre Prioritäten verändert?
Die erste Priorität sind natürlich immer die Kinder. Da meine Große fast erwachsen ist, weiß ich, wie schnell die Zeit mit kleinen Kindern vorbei ist. Ich genieße die Zeit mit meinen Töchtern umso bewusster.

Arbeiten Sie anders als vor der Geburt des Kindes?
Ich habe direkt nach dem Mutterschutz mit 30 Stunden und drei Tagen Anwesenheit pro Woche im Büro begonnen und erst nach einem Jahr auf 40 aufgestockt. Ich habe gelernt, zu vertrauen und zu delegieren. Regelmäßige Treffen mit den Teams sind aber umso wichtiger.

Was war vor der Karenz wichtig, was heute?
Familie, Freunde, der Einsatz für eine gerechte Welt – und meine große Leidenschaft für guten Journalismus. Das war vorher wichtig, das ist es jetzt auch. Ich war immer Journalistin UND Mutter.

Axel Halbhuber, KURIER-Journalist, teilte sich die Karenzzeit mit seiner Frau Katrin, auch Journalistin, paritätisch auf – beide gingen ein Jahr. Seine Frau stieg nach ihrem Jahr Karenz Vollzeit in eine neue Führungsposition ein. Axel Halbhuber kam nach seiner Karenz Teilzeit (30 Stunden) zurück.

KURIER: Wie hat Sie die Karenz verändert?
Axel Halbhuber: Ich denke, dass die Dinge bereits in dir schlummern – was man bereits in sich trägt, verschärft sich dann. Ich weiß nicht, ob die Karenz jemanden um 180 Grad drehen kann. Bei mir hat sich der Blick aufs Wesentliche geschärft, wie wichtig diese Nähe zum Kind ist. Es kommt der Arterhaltungstrieb durch. Die Karenz verändert auch, dass man am Haushalt mehr teilnimmt. Man muss sich dann damit auseinandersetzen, wie zum Beispiel ein Bügeleisen funktioniert. Dadurch brechen traditionelle Rollenbilder auf und das fördert Gleichberechtigung. Diese Nähe zum Kind macht einen Mann sanfter. Man kommt runter – auch wenn die Konfrontation mit dem eigenen Kind ein bisschen den männlichen Verhaltensweisen widerspricht. Aber ein Kind hört nicht auf zu schreien, wenn du es bös anschaust.

Hatten Sie nie Sorge um Ihre Karriere?
Nein. Das liegt aber an meinem Blick auf die Karriere. Ich habe vor fünf Jahren eine Weltreise gemacht. Das war damals die selbe Entscheidungsgrundlage: Ist mir das wichtig oder nicht? Ist mir die Karriere wichtiger als ein Jahr mit meinem Kind? Aber natürlich ist ein Jahr Karenz auch ein Risiko. Mich hat mein Arbeitgeber zu 100 Prozent unterstützt. Das ist keine Selbstverständlichkeit. Aber ich dachte, ich kann genauso gut nicht in Karenz gehen und gekündigt werden.

Arbeiten Sie anders als vor der Karenz? Wie?
Ja. Wenn ich eine Empfehlung geben kann, dann diese: Blocken Sie Ihre Teilzeit auf ganze Tage, halbtags ist purer Stress.

Was war Ihnen vor der Karenz wichtig, was ist heute wichtig?
Mir war vorher und nachher das Gleiche wichtig: das Leben. Mir ist es wichtig, das Leben vor die Arbeit zu stellen.

Als PR-Leiterin beim Traditionsunternehmen Manner kehrte Karin Steinhart (37) nach eineinhalb Jahren Karenz im vergangenen Jänner in Teilzeit (25 Stunden) in den Job zurück. Die Firma fragte sie vier Monate nach der Geburt, ob sie ein paar Stunden arbeiten wolle. Sie entschied sich für eine bewusste Auszeit vom Job. Ihr Sohn besucht die Kinderkrippe, Hilfe zur Betreuung bekommt sie von Ehemann, Großmutter und externen Babysittern.

KURIER: Wie hat Sie die Karenz verändert?
Karin Steinhart:
Sehr. Ich kann besser nein sagen, bin im Kopf flexibler, ich glaube heute, dass wirklich alles geht. Man kann eine Pressekonferenz organisieren, obwohl das Kind fiebernd zu Hause liegt. Im Privaten habe ich vorher in den Tag hineingelebt. Jetzt ist alles strukturiert und organisiert. Das klingt anstrengend, macht aber alles einfacher. Ich kann auch sicher besser priorisieren als vor der Karenz. Vorher hatte ich den Karriere-Tunnelblick. Ich bin froh, dass die Karenz mich da herausgebracht hat. Das war ein Aha-Erlebnis, denn ich hatte vorher nie eine bewusste Auszeit.

Wie haben sich Ihre Prioritäten verändert?
Die Karenz hat meine Prioritäten durcheinandergehaut. Das heißt nicht, dass der Job nicht wichtig ist, aber es gibt auch die Priorität Kind und Familie.

Arbeiten Sie anders als vor der Karenz? Wie?
Ich arbeite viel schneller und ohne Pause, auch manchmal abends. Das liegt an den 25 Stunden. Die Arbeit ist vom Pensum her dieselbe geblieben. Ich will aber die Zeit mit meinem Kind bewusst nutzen, das ist mir sehr wichtig. Anfangs war es schwierig, mein Kind wurde gleich drei Wochen krank.

Was war Ihnen vor der Karenz wichtig, was ist heute wichtig?
Vor der Karenz war mir wichtig: das berufliche Vorankommen, dass ich mich beruflich und privat wohlfühle und glücklich bin in dem was ich mache und mit meinem Mann. Jetzt: Die Familie ist in der Wichtigkeit gestiegen. Auch das familiäre Netz, das man hat, wächst stärker zusammen. Das berufliche Vorankommen ist mir zwar auch wichtig, aber: dass es dem Zwerg gut geht, steht über allem.

Katharina Teufer ist Mutter dreier Kinder (2, 4 und 6). Nach dem ersten Kind kehrte sie nicht in ihren Angestelltenjob zurück, weil es hieß: 40 Stunden oder gar nicht. Nach dem zweiten Kind machte sie in der Karenz einen Lehrgang zur Interior Designerin. Am Ende des Lehrgangs wurde Teufer mit dem dritten Kind schwanger. In der Karenz machte sie sich als Interior Designerin in Tulln selbstständig.

KURIER: Wie hat Sie die Karenz verändert?
Katharina Teufer:
Man ist mit Kindern zu 99 Prozent fremdbestimmt. Man lernt, an die eigenen Grenzen zu gehen. Der Blick auf Details ist geschärft, man ist viel flexibler im Denken und stressresistenter. Die Problemlösungskompetenz wird besser. Man achtet viel mehr auf das Zwischenmenschliche, die Emotionen, auf die Körpersprache, weil die Kinder anfangs ja nicht reden konnten. Das hilft mir auch im Job weiter.

Wie haben sich Ihre Prioritäten verändert?
Die Work-Life-Balance wird immer wichtiger. Früher lag mein Fokus auf Karriere. Deren Definition hat sich verändert: Heute bedeutet Karriere für mich nicht mehr, eine Position in einem Unternehmen zu erreichen, sondern im Job gut zu sein.

Arbeiten Sie anders als vor der Karenz? Wie?
Durch die Selbstständigkeit ist vieles besser. Ich bin keine Bittstellerin mehr wie im Angestelltenverhältnis. Wenn die Kinder krank sind, muss ich niemandem Rechenschaft ablegen. Ich kann viel flexibler agieren und reagieren. Das ist mit Kindern unschlagbar.

Was war Ihnen vor der Karenz wichtig, was ist heute wichtig?
Vorher war mir meine persönliche Freiheit wichtiger und die Möglichkeit zu reisen. Jetzt sind die oberste Priorität die Kinder.

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