„Wann haben Sie das letzte Mal etwas zum ersten Mal gemacht?“

„Wann haben Sie das letzte Mal etwas zum ersten Mal gemacht?“
Eine Frage, die Philosophin Natalie Knapp häufig stellt. Was die Antwort darauf über den eigenen Umgang mit Unsicherheit verrät, lesen Sie hier.

KURIER: Ist der Faktor Unsicherheit ein Phänomen der modernen Gesellschaft?

Natalie Knapp: Keineswegs. Nicht Berechenbares ist immer schon geschehen. Kriege fanden statt, Ernten sind ausgeblieben. Es gibt aber Unterschiede zu damals: Die Welt ist komplexer geworden und die Anzahl an Überraschungen hat sich erhöht. Wir haben heutzutage häufiger mit extremen Wetterlagen, beruflichen Umbrüchen oder anderen Unsicherheiten zu kämpfen. Auf der anderen Seite ist das Auffangnetz auch größer geworden. Im Mittelalter gab es keine staatliche Unterstützung, Versicherungen oder Hochleistungsmedizin.

Ist unser Umgang mit Unsicherheit falsch?

Die Unsicherheit hat zwei Komponenten, die innere und die äußere. Vieles lässt sich nicht berechnen. Wie das Wetter in zwei Wochen wird, wann der Onkel stirbt. Die zweite Komponente ist unsere emotionale Reaktion auf solche Ereignisse. Wir fühlen uns schutzlos und unvorbereitet. Das ist sehr unangenehm. Aber das muss es auch sein, denn dieses Gefühl soll uns ja zum Handeln bewegen. Wenn man dann etwas tun kann, nimmt die Unsicherheit meistens ab. Wenn man nicht ins Handeln kommt, kippt sie in die Angst.

Welche Botschaft hat die Unsicherheit?

Die Unsicherheit hat die Funktion, uns darauf aufmerksam zu machen, dass wir gerade keinen Plan haben. Plötzlich wird durch ein unerwartetes Ereignis unsere Routine unterbrochen. Dieser Moment zeigt nur, dass jetzt etwas Neues entstehen darf. Wir reagieren zunächst mit Überforderung und wollen am Alten festhalten. Erst wenn wir die Veränderung akzeptieren, öffnet sich der Geist für neue Ideen. Das ist ein ganz normaler Entwicklungsprozess.

Was ist das Gute an der Unsicherheit?

Der Mensch ist ein Gewohnheitstier und tut nichts, wenn er nicht dazu gezwungen wird. Die Unsicherheit zwingt uns dazu, dass wir uns entwickeln. Wir machen dadurch neue Erfahrungen, die wir sonst nie gemacht hätten. Sie bringt Unstimmigkeiten ans Licht, zwingt uns dazu, neu zu sortieren und neu zu entscheiden und befreit uns auch manchmal von Altlasten.

Wie kann man Unsicherheit in Sicherheit verwandeln?

Die Tatsache, dass sich Überraschungen ereignen, kann man nicht verhindern, man kann nur den Umgang damit ändern. Etwa, wenn wir erleben, dass uns gemeinsam immer etwas einfällt, dass es weiter geht. Das schafft Sicherheit in der Unsicherheit. Das kann man auch üben. Wann haben Sie beispielsweise das letzte Mal etwas zum ersten Mal gemacht? Lautet die Antwort: vor sechs Monaten, dann läuft etwas schief. Wir müssen immer wieder neue Erfahrungen erleben, egal wie alt wir sind. Da reicht es schon, wenn man etwas kocht, das man noch nie zuvor gekocht hat. Immer wieder Neues zu wagen, macht uns am Ende stärker. Es hilft auch, zu begreifen, welchen Wert Unsicherheit hat.

Wie sehe eine Welt ohne Unsicherheit aus?

Wir hätten keine Möglichkeit mehr, unser Leben zu gestalten. Sicher kann es nur sein, wenn alles vorgegeben und berechenbar ist. Dann gäbe es auch keine Hoffnung mehr. Hoffnung, dass wir etwas tun können, damit die Zukunft besser wird. Wir wären Maschinen, die nur noch ihren Lebensplan abgehen. Wir sind aber lebendige Wesen und auf Unsicherheit angewiesen, um lebendig zu sein.

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