Mit Sicherheit unsicher: Unser Umgang mit der Unberechenbarkeit
Nichts auf der Welt ist sicher, außer der Tod und die Steuern. Ein Zitat von Benjamin Franklin. Was der Erfinder und Schriftsteller zu Corona sagen würde, ist genau so ungewiss wie die weltweite Situation an sich. Sicher ist: Die Pandemie hat uns kalt erwischt und nun ist der Umgang mit Unsicherheit das große Thema unserer Zeit.
Hat man in drei Monaten nochseinen Job? Muss man den eigenen Betrieb für immer schließen? Bleibt man gesund? Kommt die Pleitewelle tatsächlich auf uns zu? Das Coronavirus hat uns bewusst gemacht, wie fragil unsere vermeintlichen Sicherheiten sind.
Für Frauen immer schon ungewiss
Historisch betrachtet war der Faktor Unsicherheit seit jeher ein ständiger Begleiter in all unseren Lebenslagen (siehe auch im Interview auf Seite 9). Im Kontext der Arbeit herrscht heutzutage (auch ohne Corona) viel mehr Unsicherheit als noch vor 50 Jahren, weiß Jörg Flecker, Arbeitssoziologe an der Universität Wien: „Damals hatten Männer ein und dieselbe Beschäftigung bis zur Pension. Für Frauen war es schon vor 50 Jahren ungewiss, weil es zu der Zeit nicht als selbstverständlich galt, dass Frauen erwerbstätig sind.“
Mit dem Aufkommen der Einzelunternehmen sowie der Kreativwirtschaft und neuen Beschäftigungsweisen wie der Saisonarbeit beispielsweise, wurde unsere Arbeitswelt über die vergangenen Jahrzehnte stetig unsicherer. Mit der Pandemie stieg der Faktor der Unsicherheit noch einmal gewaltig.
Eines der Probleme dabei erläutert der Ökonom Werner Hölzl vom Österreichischen Institut für Wirtschaftsforschung (Wifo): „Der Staat kann keine vollkommene Sicherheit herstellen. Er kann aber für Stabilität sorgen und würde er das nicht tun, würde die Unsicherheit im Land jetzt noch mehr zunehmen.“
Ein weiteres Problem: Der Mensch hasst es, nicht zu wissen, was kommt. Das belegen zahlreiche psychologische Studien. In einem Experiment aus dem Jahr 2006 wurden Teilnehmer vor die Wahl gestellt, entweder einen starken Stromschlag sofort zu bekommen oder einen schwächeren irgendwann in ungewisser Zukunft. Die meisten entschieden sich für die starke, direkte Variante. Im Kernspintomografen zeigte sich: Die Erwartung eines Schmerzes, von dem man nicht weiß, wann er kommt, beschäftigt das Gehirn mehr als der tatsächliche Schmerz.
Denn zu wissen, was mit großer Wahrscheinlichkeit passieren wird, schafft Sicherheit: das geplante Abendessen mit dem Partner, der morgige Gang ins Büro, dass der Winter langsam näher rückt. Und sonst? „Das Gefühl von Sicherheit ist sehr individuell. Für den einen ist es der berufliche Erfolg, der Sicherheit gibt. Für den anderen ist es die Liebe zu den Kindern. Für den Dritten die Nähe zu Gott“, sagt Klaus Kraemer, Wirtschaftssoziologe an der Universität Graz und fügt hinzu: „Wobei Geld die Voraussetzung ist, um ein sicheres Leben zu schaffen. Ohne Geld ist Sicherheit nicht möglich.“
Mit Prognosen versuchen wir,die Zukunft ein Stück greifbarer zu machen. „Sie sind notwendig, sonst wären wir noch unsicherer. Jede Form von Plan ist eine Bekämpfung von Unsicherheit“, sagt Hölzl. Denn auf Basis der Pläne und Prognosen würden wir unsere Entscheidungen treffen. „Es gibt aber keine zu 100 Prozent richtigen Prognosen, weil die Annahmen der Gegenwart entsprechen.“
Auswirkungen von Unsicherheit
Aktuell ist eines der Probleme, dass die Unsicherheit das Konsumentenverhalten ändert. Man gibt sich verhalten, geht weniger in Restaurants, konsumiert weniger, kauft weniger. Das wiederum schürt die Unsicherheiten der Gastronomen, Theaterbetreiber und anderen Unternehmern. Diese investieren wiederum weniger und so zieht sich die Unsicherheit durch die ganze Wertschöpfungskette. „Der Staat kann mit Maßnahmen wie der Kurzarbeit Unsicherheit reduzieren, aber sie nie ganz eliminieren“, so Hölzl.
Generell sieht der Ökonom drei wirtschaftspolitische Instrumente, um der Bevölkerung Sicherheit zu vermitteln: eine konsistente, glaubwürdige Kommunikation, das Schaffen von Liquidität und zielgerichtete Unterstützungsmaßnahmen wie gesetzliche Rahmenbedingungen. „Das Schlimmste für die Unternehmer ist die Ungewissheit. Investitionen und Entscheidungen werden verschoben. Das kostet Geld und ist riskant. Wenn klar ist, dass man den Betrieb hingegen zusperren muss, gibt das ja ironischerweise wieder Sicherheit, weil man dann zumindest weiß, wo man steht. Nichtwissen ist oft schlimmer“, sagt auch Ökonom Hölzl. Negativ sind auch die Auswirkungen von Unsicherheit. Diese kann schnell in Angst kippen und dann weitreichende Folgen haben. „Das Gefühl von ständiger Unsicherheit führt zu psychosozialem Stress. Es kann zu Erkrankungen kommen “, sagt Arbeitssoziologe Flecker. Aber nicht nur das.
Gerade in Krisen, wo der Zusammenhalt in der Gesellschaft wichtig wäre, um die schwierige Zeit besser zu bewältigen, kann Unsicherheit auch das Gegenteil bewirken und zu mehr Egoismus führen. „Die Probleme werden verschärft, wenn in unsicheren Zeiten das Mitgefühl für andere zurückgeht“, sagt Flecker. Was hilft? Nicht nur um sich selbst und seine Probleme kreisen. „Betroffenen muss bewusst werden, dass sie nicht alleine sind, die mit unsicheren Situationen zu kämpfen haben. Und im nächsten Schritt kann man sich zusammentun und versuchen, etwas gegen die prekäre Situation zu unternehmen“, sagt der Experte.
Der Sinn dahinter?
Man geht in die Aktion, verschafft sich damit wieder Kontrolle über die Lage und gewinnt ein Stück Sicherheit zurück. Zur Bewältigung von Ungewissheit empfehlen Psychologen generell die Akzeptanz der Unsicherheit zu trainieren. Kleine Risikoübungen im Alltag sollen helfen. Ein Gericht in einem Restaurant bestellen, das man noch nie gegessen hat. Etwas zum ersten Mal machen und so aus der Erfahrung lernen und Sicherheit schöpfen. Spontanes unternehmen wie einen Ausflug in eine fremde Stadt. Das zeigt uns, dass aus der Ungewissheit auch etwas Positives entstehen kann. Gerd Gigerenzer ist Risikoforscher und geht sogar noch einen Schritt weiter. Der Autor des Buches „Bauchentscheidungen“ (erschienen im Goldmann Verlag) sagt, dass wir den Umgang mit der Unsicherheit bereits in der Schule üben sollten: „Statt Schülern vorgefertigte Antworten auf bekannte Probleme vorzugeben, müsste man ihnen beibringen, wie man kreative Lösungen für unsichere Situationen findet.“
Wir brauchen für ein erfülltes Leben ein gesundes Maß von beidem: Sicherheit und Unsicherheit. „Die Ungewissheit ist auch eine Quelle der Innovation. Fantastische Möglichkeiten können sich ergeben, in dem man andere Wege geht und so die Zukunft neu gestaltet“, sagt Wirtschaftssoziologe Kraemer. Das bestätigt auch Experte Flecker: „Gewisse Unsicherheiten können reizvoll sein, uns zu motivieren. Eine Grundabsicherung muss aber gegeben sein. Wenn man seine Rechnungen nicht mehr bezahlen kann, nichts mehr zum Essen hat und nicht weiß, wie es weiter gehen soll, wirkt es zynisch, zu sagen: ’Jetzt mach etwas Gutes draus’“.
Absolute Gewissheit ist wie der Tod
Was dann hilft ist, sich einerseits an seine Freunde, seinen Partner oder seine Familie zu wenden – quasi Sicherheit im Außen suchen. Aber auch im Inneren findet man immer Quellen der Sicherheit, in dem man sich seiner Fähigkeiten bewusst wird. Auf welche Kompetenzen hat man sich immer schon verlassen können? Welche Kraftquelle hat man, an der man sich nähren kann? An den eigenen Fähigkeiten sowie Plänen (seien sie auch nur gedanklich) festhalten schafft Kontrolle und man nimmt dadurch das Ruder wieder in die Hand, statt sich von der Unsicherheit leiten zu lassen.
Eines muss man sich laut Risikoforscher Gigerenzer auch bewusst machen: „Absolute Gewissheit ist noch schlimmer als Ungewissheit. Wenn alles im Leben sicher wäre und damit vorhersehbar – wen man liebt, wann man sich trennt, ob man Erfolg hat oder nicht, wann man erkrankt und wann man stirbt –, dann hätte nichts mehr eine Bedeutung. Absolute Gewissheit ist wie der Tod.“
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