Philosoph Konrad Paul Liessmann: "Unsere Zeit ist eine Zeit des Hoffens"
Die Wirtschaft erhoffte sich das Ende der einen Krise und wurde von weiteren überrascht. Ob man hoffen darf und wie es gelingt, mit Rückschlägen umzugehen.
Die Pandemie kam und ließ die Welt stillstehen. Man hoffte, sie würde bald vorbei sein. Doch das war sie und ist sie bis heute nicht. Stattdessen wurde sie überlagert. Von knapper werdenden Rohstoffen und Arzneien, von Lieferengpässen und hoher Inflation, die Existenzen bedrohte und die Wirtschaftswelt erschüttert.
Der tobende Angriffskrieg in der Ukraine forderte nicht nur metaphorisch die letzten Energiereserven. Und wurde um einen bitteren Konflikt im Nahen Osten ergänzt.
„Unsere Zeit ist eine Zeit des Hoffens“, sagt Philosoph Konrad Paul Liessmann. „Denn das Hoffen setzt genau dort ein, wo die Probleme überhand nehmen.“ Ob die Hoffnung irgendwann erschöpft ist und wie es gelingt, vom Hoffen ins Tun zu kommen, erläutert der Denker im KURIER-Interview.
KURIER:Sind die Zeiten herausfordernd, wächst die Hoffnung. Brauchen wir sie, damit es uns besser geht?
Konrad Paul Liessmann: Hoffen ist unabhängig von den Krisen und Unabwägbarkeiten einer bestimmten Zeit. Hoffnung ist immer zukunftsgerichtet. Man wartet, erhofft und wünscht sich etwas. Hoffnung ist die positive Art und Weise, mit Ungewissheit umzugehen. Man erhofft sich ja keine Katastrophe, sondern das Ausbleiben von Katastrophen.
Wann hoffen wir mehr?
Je klarer unsere Perspektiven sind, je verlässlicher und höher die Wahrscheinlichkeit ist, dass etwas eintritt, desto geringer ist die Notwendigkeit des Hoffens. Denn das Hoffen setzt genau dort ein, wo die Probleme überhand nehmen, womöglich unbeherrschbar werden.
Ab wann schlägt das Hoffen in Bangen um?
Wenn die Erfolgsaussichten gering sind und Bedrohungen zunehmen. Wie der Ukraine-Krieg lösbar ist, weiß niemand. Wie der Krieg im Nahen Osten lösbar ist, weiß niemand. Wie die Klimakrise bewältigt werden kann, weiß im Grunde auch niemand. Hier sind Hoffnungen immer an der Tagesordnung. Man hofft auf einen Waffenstillstand, auf Instanzen wie die UNO, die vermitteln können. Und man hofft, dass sie stark genug sind, um gehört zu werden. Aber wir können niemandem etwas vorschreiben. Und deshalb sind solche Hoffnungen immer auch begleitet von der Furcht.
Wovor fürchten wir uns konkret?
Vor negativen Entwicklungen, die unabwendbar scheinen. Ich kann hoffen, dass etwas gelingen wird, ich kann mich aber auch davor fürchten, dass alles misslingt.
Welche Variante ist gesünder?
Furcht und Hoffnung gehören gleichermaßen zu unserem Leben und beide sind notwendig. Menschen, die sich vor nichts fürchten, würden nicht lange leben, weil sie bei der nächsten Katastrophe blindlings in ihr Unheil stürzen würden. Die Frage ist also nicht, was gesünder ist, sondern wann ist was angebracht? Wann soll ich mich fürchten, wann hoffen, wann ist eine Mischung notwendig und wann soll ich weder hoffen, noch bangen, sondern einfach das Richtige tun?
Bedeutet Hoffen nicht auch immer, tatenlos zu bleiben?
Manche sagen, Hoffen verleitet uns zur Resignation. Ich sehe das nicht so. Es ist ein Grund, nicht zu resignieren. Es stimmt: Die Hoffnung allein tut nichts. Aber Hoffen kann die Kraft geben, etwas zu tun.
Die Hoffnung allein tut nichts. Aber Hoffen kann die Kraft geben, etwas zu tun.
von Konrad Paul Liessmann
Wie setzen wir eine Hoffnung in die Tat um?
Das Wort Hoffen ist verwandt mit dem deutschen Wort hüpfen. Es ist genau diese innere Bewegtheit, diese innere Unruhe, die jeder Hoffende in sich spürt. Wird eine Hoffnung erfüllt, kann das unglaublich motivierend sein. Es verleitet dazu, etwas wieder zu probieren und vielleicht noch besser zu machen. Umgekehrt kann auch eine Hoffnung, die enttäuscht wird, wichtig sein. Indem man überlegt, was der eigene Anteil am Misslingen war und ob man etwas ändern kann. Das Schöne an der Hoffnung ist, dass man nicht umhinkommt, selbst aktiv zu werden. Gleichzeitig ist die Hoffnung lebensklug genug, um dem Menschen zu signalisieren, dass nicht alles in seiner Macht liegt. Es gibt Dinge, die entziehen sich unserer Kontrolle. Da bleibt nur zu hoffen, dass andere es richtig machen, oder dass ein gütiger Gott sein Auge auf einen geworfen hat.
Die Wirtschaftswelt scheint aus dem Hoffen nicht mehr rauszukommen. Man hoffte auf staatliche Hilfen, Preisbremsen, sinkende Inflation. Ist die Hoffnung denn irgendwann erschöpft?
Was die wirtschaftliche Situation betrifft, hat sich das Hoffen ja ausgezahlt. Viele glaubten, dass Corona ein Einschnitt sei, von dem sich die Wirtschaft jahrzehntelang nicht erholen würde. Das Gegenteil ist eingetreten.
Weil der Staat nicht knauserte.
Dass an manchen Stellen zu viel und an anderen zu wenig gefördert wurde, kann man nachträglich kritisieren und, wenn gravierende Fehler passiert sind, die Entscheidungsträger zur Rechenschaft ziehen. Aber im Grunde hat es funktioniert. Wir sind erstaunlich gut durch diese Krisen gekommen. Auch die Hoffnung auf den ökonomischen Aufschwung nach der Pandemie war nicht unberechtigt, es hat einen gegeben. Der Flugverkehr war vollkommen lahmgelegt, jetzt sind wir auf dem Vor-Pandemie-Niveau angelangt.
Dem Philosophen wurde kürzlich das Österreichische Ehrenkreuz für Wissenschaft und Kunst verliehen. „Zeuge zu sein, wie ein Gedanke entsteht, ist, als ob man zugegen wäre bei der Erschaffung einer Welt“, rühmte ihn Michael Köhlmeier in der Laudatio
Liessmann feierte heuer seinen 70. Geburtstag. Bis 2021 war er Universitätsprofessor für Philosophie an der Uni Wien. Er veröffentlichte zahlreiche Essays und Bücher, zuletzt erschien „Lauter Lügen“ im Zsolnay Verlag
Vergangenen Winter bangten wir auch noch um unsere Energieversorgung. Es wurde lautstark über Heizschwammerl diskutiert.
Es ist erstaunlich, wie schnell wir die vor einem Jahr im Zuge der Sanktionen gegen Russland prognostizierte Energieknappheit vergessen haben. Davon redet in diesem Winter niemand mehr. Wir sind sofort bereit, das zu verdrängen und darauf zu hoffen, dass der Strom schon von irgendwo herkommen wird.
Wenn wir neue Ideen kreieren, steckt ja auch immer die Hoffnung dahinter, dass aus diesen etwas wird. Gäbe es ohne Hoffnung keine Innovation?
Das Denken des Neuen ist untrennbar mit der Hoffnung verknüpft, weil Hoffen immer bedeutet, sich in einem positiven Sinn auf bislang Unvorstellbares einzulassen. Ohne Hoffnung auch keine Utopien. Aber gerade bei Innovationen spielen viele Motive eine Rolle. Es kann sein, dass die Programmierer der Künstlichen Intelligenz überhaupt keine Verbesserung der Welt im Auge hatten, sondern nur eine profitable Marktlücke erkannten. Auch das ist ein Antrieb, der zu sehr interessanten Neuerungen führen kann. Man darf die Gier als Motivationskraft nicht unterschätzen.
Kann zu viel Hoffnung auch zerstörerisch sein? Wenn ich verbissen an etwas festhalte?
Es gibt natürlich Formen der Hoffnung, die blind machen. Um konstruktiv hoffen zu können, braucht es eine hohe Frustrationstoleranz. Weiß man, dass etwas Angestrebtes mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht eintreten wird und probiert es trotzdem, kann es in seltenen Fällen gut gehen. Das sind dann die strahlenden Beispiele, wo man gerne davon spricht, dass nicht vorhandene Chancen genützt wurden.
Und wenn man scheitert?
Scheitern ist bitter. Aber je frustrationstoleranter Menschen sind, je mehr sie gelernt haben, mit Enttäuschungen, Rückschlägen und Verweigerungen umzugehen, desto produktiver können sie hoffen. Wer mit der Haltung an die Welt herangeht, dass sich jeder Wunsch sofort erfüllen muss, der wird von einer Depression in die nächste taumeln.
Würden Sie uns als frustrationstolerante Gesellschaft sehen?
Ich sehe gerade in unserer Pädagogik wenig Tendenzen, jungen Menschen Frustrationstoleranz zu vermitteln. Unser Ideal ist prompte Wunscherfüllung. Jugendliche mit Enttäuschungen zu konfrontieren und ihnen zu erklären, dass nicht alle Wünsche auf der Welt in Erfüllung gehen, steht nicht in den Lehrplänen. Dass man für manche Dinge, die schiefgehen, selbst verantwortlich ist, ebenso wenig. Deshalb ist Hoffnung ein zweischneidiges Schwert: Wenn sie mit überzogenen Erwartungen verbunden ist, deren Nicht-Eintreten man emotional nicht bewältigt.
Österreicher sind dafür berühmt, ständige Kritikbereitschaft an den Tag zu legen. Sie finden eigentlich nichts gut, aber im Grunde hoffen sie ständig, dass das, was sie nicht gut finden, doch gut ist. Das erklärt auch bestimmte Phänomene: dass man mit einer Partei unzufrieden ist, ständig über sie lästert und sie trotzdem wieder wählt, weil man hofft, dass es eigentlich eh nicht so schlimm war.
Was wäre eigentlich, wenn immer alles gut laufen würde? Jedes Geschäft aufgeht, der Wohlstand immer größer wird?
Das wäre das Paradies und es gab für Adam und Eva gute Gründe, alles zu tun, um aus dem Paradies rausgeworfen zu werden.
So ein Leben wäre also nicht lebenswert?
Es wäre langweilig. Es hätte den Preis, dass es keine Freiheit gibt. Alles müsste geplant und kontrolliert werden. Das wollen vielleicht Maschinen, aber doch nicht Menschen. Solange Menschen als Menschen auf diesem Planeten existieren, werden sie auf die Freiheit pochen. Und dadurch auch genau die Krisen produzieren, die zeigen, dass wir als freie Wesen eben nicht perfekt sind.
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