Ohne Zutun entspinnt sich unter den Teilnehmerinnen gleich beim Eintreffen im KURIER eine Diskussion: „Wie ich begonnen habe, da waren wir in der Chefetage 10 Frauen von 110“, „ich war damals die Einzige“, „wir sind heute 11 von 105“.
Tatsächlich hat sich der Frauenanteil in den Vorstandsebenen in den vergangenen Jahrzehnten nur wenig verändert. Je nach Statistik liegt die Zahl bei rund zehn Prozent. 10,1 Prozent weibliche Vorstandsmitglieder in börsennotierten österreichischen Unternehmen weist etwa das Mixed-Leadership-Barometer von EY aus. 64 Prozent der heimischen, börsennotierten Unternehmen hat immer noch keine einzige Frau im Vorstand.
Die Zahl der Frauen in entscheidenden Positionen ist also nach wie vor gering. Hinzu kommt, dass die wenigen Frauen in der öffentlichen Wahrnehmung kaum präsent sind. Medien, Podien, Bühnen und Veranstaltungen werden oft von Männern dominiert.
Warum gibt es eine so geringe Sichtbarkeit von Frauen? Das diskutieren Unternehmerin Karin Meier-Martetschläger, Aufsichtsrätin Gabriele Schallegger, Vorständin Claudia Süssenbacher und Unternehmerin und Ministerin A.D. Maria Rauch-Kallat.
KURIER:Frauen in Führungspositionen – immer noch reden wir von sehr wenigen.
Karin Meier-Martetschläger: Da bewegt sich nicht viel, weil viele Männer auf diesem Auge blind bleiben. Männer unterstützen sich gegenseitig. Aber: Der Mehrwert von gemischten Teams ist unbestritten.
Gabriele Schallegger: Es zahlt sich aus, das sage ich als Betriebswirtin. Eine McKinsey-Studie zeigt deutlich: gemischte Führungsteams haben eine 36 Prozent höhere Wahrscheinlichkeit, ein überragendes wirtschaftliches Ergebnis zu erreichen.
Man würde glauben, dass man das Potenzial von Frauen allein deshalb stärker nützt.
Maria Rauch-Kallat: Viele sehen das Potenzial der Vielfalt einfach nicht. Wir haben viele hervorragend ausgebildete Frauen, die in den Beruf einsteigen, schneller und besser ihr Studium abschließen, die engagiert einsteigen. Aber in die Top-Ebenen kommen sie nach wie vor extrem selten. Wobei ich sagen will: es gibt Unternehmen, die federführend und anders sind. Das hängt dann mit deren Unternehmenskultur zusammen.
Meier-Martetschläger: Wir sind in starren Formen, denn immer, wenn wir glauben, es wird ein bisschen besser, machen wir zwei Schritte zurück. Viele heften sich auf die Fahnen, man muss jetzt etwas für die Frauen tun. Fakt ist: Man muss nichts für uns tun. Man muss uns nur lassen. Und auch die Männer müssen darauf achten: Wer sitzt dort? In den Gremien und auf Podien? Wenn unter 35 Speakern nur eine Frau ist, dann muss dieser Fehler ja auffallen.
Man muss nichts für uns tun. Man muss uns nur lassen.
von Karin Meier-Martetschläger
Schallegger: Corona hat sicher nicht dazu beigetragen, dass wir in der Diversity einen Schritt nach vorn machen. Die vergangenen Jahre waren nicht einmal annähernd Business as usual. Da ist das Thema Diversity mancherorts wieder in den Hintergrund getreten.
Claudia Süssenbacher: Es ist traurig, dass wir überhaupt noch über dieses Thema reden müssen. Bin ich etwas Besonderes, weil ich als Frau im Vorstand bin? Ich bin doch nicht nur im Vorstand, weil ich eine Frau bin, sondern weil ich fachlich top qualifiziert bin. Ich sehe in der Finanzbranche schon, dass man sich aktiv darum bemüht, dass es mehr Frauen in den obersten Gremien gibt. Aber auf der anderen Seite muss ich auch sagen: Wenn sich die eher seltene Gelegenheit ergibt, in die erste Ebene zu kommen, dann darf man als Frau auch nicht zögern.
Rauch-Kallat: Das Geheimnis ist, dass man die Frauen aufbauen muss. Das ist eine Unternehmensaufgabe. Die sollte aber schon seit zwanzig Jahren passiert sein. Und wir wissen leider auch, dass sich Frauen aktiv viel seltener bewerben. Männer hingegen halten bewusst nach Karrierechancen Ausschau.
Regelmäßig untersucht das Mixed Leadership-Barometer von EY die Lage in den börsennotierten, österreichischen Unternehmen: unter den 198 Vorstandsmitgliedern sind aktuell 20 Frauen (10,1 Prozent) – ein neuer Höchstwert. Die meisten weiblichen Vorstandsmitglieder sind CFOs.
In 64 Prozent der Vorstände gibt es immer noch keine Frau. Unter den Aufsichtsratsmitgliedern liegt der Frauenanteil bei aktuell 30 Prozent (auch dank Quote).
Ein spannendes Ergebnis zeigt der Gender Diversity Index der Strategieberatung Boston Consulting Group (BCG). Nämlich in der Wahrnehmung von Frauen in Top-Positionen. Hier wurden mehr als 230 Pressemitteilungen zu Berufungen in Führungsrollen analysiert. Es zeigt sich, dass Männern im Durchschnitt mehr Kompetenzen zugeschrieben werden als Frauen.
Durchschnittlich 5,8 genannte Fähigkeiten bei Frauen stehen 6,8 Kompetenzen bei Männern gegenüber. „Erstmals können wir einen Gender-Bias in der Unternehmenskommunikation nachweisen“, sagt Heike Dorninger, die Co-Autorin der Studie und Partnerin bei BCG.
Die Aktivierung ist ein Thema: sich bewerben, auf ein Podium setzen, sichtbar sein. Warum diese Scheu?
Süssenbacher: Frauen wollen es immer superperfekt machen. Und daraus ergeben sich Selbstzweifel, die Männer nicht haben. Hinsetzen, reden, tun, machen – diese Coolness sollten Frauen auch haben.
Rauch-Kallat: Frauen sind viel selbstkritischer. Aber das hat auch einen Grund: Weil Frauen viel kritischer von außen betrachtet werden.
Meier-Martetschläger: Es wird besprochen, welche Kleidung sie trägt, wie ihre Fingernägel aussehen und welche Handtasche sie heute hat. Bei Männern ist der Anzug oder die Uhr nie ein Thema.
Süssenbacher: Aber wer treibt das, dass Frauen so kritisch betrachtet werden? Bei einem Mann redet niemand darüber, ob er dick oder dünn ist, seine Schuhe geputzt hat oder einen Bauch hat.
Rauch-Kallat: Das kommt vielleicht daher, dass man Frauen früher nur als Models sah. Sie waren nicht in der Wirtschaft sichtbar, auch selten in der Politik. Aber auf Plakaten und Werbefotos. Heute ist Aussehen immer noch das Bewertungskriterium.
Schallegger: Wenn es nur das Aussehen wäre… Aber es ist ja auch die Wahrnehmung insgesamt: die Frau, die sich durchsetzt ist bissig, beim Mann ist das Umsetzungsstärke. Die Frau, die ohne Umschweife kommuniziert, ist hart, beim Mann ist das Klarheit. Männer sind durchsetzungsstark, wenn sie etwas verfolgen, Frauen, die das auch tun, sind undiplomatisch. Wir müssen unser gesamtes Denken ändern.
Sie sind alle in Männerwelten tätig. Wie geht es ihnen damit?
Süssenbacher: Ich bin in dieser Position, weil ich entsprechend viel geleistet habe und gut in dem bin, was ich tue. Habe ich dort ein herausforderndes Umfeld? Ja. Genauso wie die Männer auch. Da sehe ich nicht mehr Hürden für mich als für die anderen. Wichtig ist, sich nicht zu verstellen.
Rauch-Kallat: Für die Männer sind Frauen sicher ein Störfaktor. Manchmal auch ein Funfaktor. Aber das darf Frauen nicht beirren. Auf der untersten Bezirksebene habe ich nur überlebt, weil ich nach der Sitzung mit ins Wirtshaus gegangen bin. Darunter haben die Männerzirkel gelitten, weil intrigiert wird ja nicht in der Sitzung, sondern danach. Wenn man dabei ist, tun sie sich schwerer.
Meier-Martetschläger: Ich hatte das große Glück, dass mein Frausein nie ein Nachteil war. Weil ich in einem internationalen Umfeld war und jetzt Unternehmerin bin. Ich musste erst in einer Institution andocken, um zu erkennen, wie schlecht Frauen behandelt werden. Das habe ich wirklich schwer unterschätzt.
Wenn man in der ersten Reihe steht, muss man viel aushalten. Warum zahlt sich das aus?
Meier-Martetschläger: Wir sind mehr als 50 Prozent der Gesellschaft. Da gehen viele Talente verloren, und es ist am besten, wenn wir alle zusammenhalten. Ich bin überzeugt, dass viele Probleme, die wir aktuell haben, nicht da wären, wenn mehr Frauen involviert wären.
Rauch-Kallat: Was wäre die Welt ohne Männer? Keine Kriege, keine Verbrechen, lauter glückliche, dicke Frauen. Ist einer meiner Lieblingssprüche.
Schallegger: Ich sage: Immer besser selbst bewegen, als bewegt zu werden. Damit meine ich: Frauen sollen raustreten und gestalten.
Die Teilnehmerinnen der KURIER-Diskussion:
Karin Meier-Martetschläger, Unternehmerin und Berufsgruppensprecherin der Pfandleiher und Versteigerer in der WKW
Maria Rauch-Kallat, Unternehmerin und Ministerin A.D.
Gabriele Schallegger, Aufsichtsrätin Strabag SE
Claudia Süssenbacher, Geschäftsleiterin der Raiffeisen Holding und Risikovorständin der Raiffeisenlandesbank Niederösterreich-Wien
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