Finanziell ausgesorgt: Wie viel Geld Sie wirklich brauchen, um nie wieder zu arbeiten
Wer finanziell ausgesorgt hat, lebt sorgenfrei. Kann arbeiten, muss aber nicht. Stürzt sich gelegentlich in Projekte und macht dazwischen ausgiebig Urlaub. So oder so ähnlich klingt der Traum von der finanziellen Freiheit. Über den vermutlich die meisten schon fantasiert haben.
Private Bankerin Beatrice Schobesberger kann das bestätigen. In knapp 40 Jahren Finanzberatung ist ihr die Idee laufend begegnet. „Aber die Leute sprechen davon, ohne eine konkrete Vorstellung zu haben, was es bedeutet“, sagt sie.
Was fehlt, ist die klare Zahl vor Augen. Wie viel Geld es wirklich bräuchte, um von heute auf morgen den Stift fallen zu lassen. Und nur vom Vermögen zu leben. Vielleicht, weil die Summe so hoch geschätzt wird, dass man gleich kapituliert, vermutet Gehaltsexpertin Martina Ernst. Oder weil Menschen immer etwas brauchen, von dem sie träumen können.
Wessen Blase also nicht platzen soll, steht an dieser Stelle frei, den Traum der finanziellen Freiheit weiterzuträumen. Allen anderen präsentieren vier Expertinnen und Experten jetzt die Fakten:
Wie viel Geld es wirklich bräuchte, um sich monatlich – und ein Leben lang – das Gehalt eines Durchschnitt-Vollverdieners auszuzahlen (das sind aktuell 2.500 Euro netto). Ob sich das nur durch Erbschaft oder allgemeinen Wohlstand erreichen lässt. Und welche Investmentstrategie es jedenfalls braucht.
Die Vier-Prozent-Regel: Könnte sogar ein Leben lang funktionieren
Zunächst die Milchmädchen-Rechnung: Wer sich monatlich 2.500 Euro netto auszahlen will, braucht 30.000 Euro im Jahr. Über 50 Jahre sind das 1,5 Millionen. Inflationsangepasst ist da noch nichts. Sollte man aber bedenken, weil sich alle 36 Jahre die Kaufkraft halbiert. Zinsen fehlen auch. Und 1,5 Millionen muss man erst einmal haben. Das geht genauer.
Florian Märzendorfer, Finanzplaner für Jungakademiker, setzt auf die Vier-Prozent-Regel. Dabei zieht man seine jährlichen Ausgaben heran (30.000 Euro) und multipliziert sie mit 25. Macht 750.000 Euro, die man haben muss, um nicht mehr zu arbeiten. Klingt besser als 1,5 Millionen. Allerdings braucht es hier die Bereitschaft, in den Kapitalmarkt zu gehen.
Denn das Konzept wurde 1998 von Forschern in Texas entwickelt, funktioniert nur, wenn das Vermögen in Aktien und Anleihen investiert ist und dort jährlich im Schnitt vier Prozent Rendite macht. Das Ergebnis: Selbst im schlechtesten Fall reichte das Kapital für mindestens 30 Jahre. Und: „Man geht davon aus, die Inflation bei der Entnahme jedes Jahr mitnehmen zu können“, so Märzendorfer.
Klingt rosig, trotzdem gibt es einiges zu beachten. Erstens: In Österreich zahlt man Kapitalertragssteuer (KESt) auf Dividenden (27,5 Prozent), also fällt ein Viertel des Ertrags weg. Zweitens: Fährt man in den ersten Jahren des Investments ein ordentliches Minus ein – ja, das Risiko gibt es – muss man reagieren können.
Weiter Geld zu entnehmen, wäre nicht klug, weil die Gesamtsumme radikal schrumpfen und der Zinseszins-Effekt leiden könnte. Generell gilt: Je länger man von der Vier-Prozent-Regel leben will, desto unzuverlässiger wird sie, erklärt der Finanzplaner. Wer sich absichern will, sollte deshalb konservativer rechnen. Und die Prozent runterschrauben.
Das Drei-Prozent-Konzept: Konservativer, vorsichtiger, realistischer
„Drei Prozent ist ein Zinssatz, den man realistischerweise ansetzen kann, wenn man bereit ist, in den Kapitalmarkt zu gehen“, sagt Beatrice Schobesberger und zieht einen Auszahlplan-Rechner zurate, von dem es online zahlreiche gibt:
Hat man ein Vermögen von 500.000 Euro und erzielt mit guter Anlagestrategie eine Netto-Rendite von drei Prozent, könnten 23 Jahre lang 2.500 Euro monatlich aufs Konto fließen. (Bei einer Million Euro wären es sogar 90 Jahre!) Netto-Rendite ist das Stichwort: es heißt, dass Spesen und Steuern schon abgezogen sind.
Je länger die Anlagedauer, desto geringer das Verlustrisiko und je realistischer werden die drei Prozent.
Nach 23 Jahren sind die 500.000 Euro dann vermutlich weg, aber es reicht immerhin für die durchschnittliche Pensionsdauer (Frauen: 25,3 Jahre, Männer: 20,2 Jahre). Und lässt sich in manchen Branchen tatsächlich eigenmächtig erwirtschaften.
In welchen, verrät Gehaltsexpertin Martina Ernst später im Artikel. Zuvor stellt sich die Frage, wie man sein Geld anlegt, um auch wirklich drei Prozent rauszubekommen.
Hundert Prozent Aktien: Eine gute Investment-Strategie?
Wer von Robert Karas, Chief Investment Officer der Gutmann Privatbank, jetzt eine Anleitung erwartet, wird enttäuscht sein. Denn die gibt es von Profis natürlich nicht.
„Das Geldthema blind an Experten abzugeben, hat noch nie funktioniert“, weiß Karas. Sich selbst mit Finanzen und Anlagestrategien zu beschäftigen, ist also der erste Schritt zu den drei Prozent.
Der wichtigste Faktor ist aber nicht das Auskennen, mahnt Karas, „sondern dass einem die eigenen Emotionen nicht im Weg stehen“. Denn wer drei Prozent und mehr rausholen will, muss lernen, mit Aktien umzugehen.
Die sind historisch betrachtet die besten Renditebringer, können aber jahrelang im Keller liegen. „Menschen, die mit der Thematik nicht vertraut sind, werden das nicht aushalten“, sagt Karas. Schon gar nicht, wenn sie vom investierten Geld abhängig sind. Anfängern würde er daher nie die Empfehlung aussprechen, zu hundert Prozent auf Aktien setzen, „das wäre naiv“.
Noch naiver ist nur der Gedanke, das Geld am Sparbuch in Sicherheit zu wägen. Denn sicher ist dort nur eines: der Kaufkraftverlust. „Egal, wie man es dreht und wendet. Es ist überall ein Risiko involviert“, fasst Karas zusammen. Wer es an der Börse minimieren will, muss breit streuen.
Eine gute Methodik wäre mittels ETFs, das sind börsen-gehandelte Fonds mit niedrigen Spesen, die eine Vielzahl an Einzelaktien enthalten. Über einen langen Zeitraum bespart, stellen ETFs eine gute Rendite in Aussicht. Praktisch, wenn man nicht zu den Glücklichen gehört, die erben. Sondern zu jenen, die sich den Wohlstand selbst erarbeiten müssen.
Finanzielle Freiheit selbst ansparen - das ist möglich
Im Laufe des Erwerbslebens verdient der Durchschnittsvollverdiener grob hochgerechnet 1,2 Millionen Euro netto. Wer ein Leben lang keinerlei Ausgaben hat, hätte damit ausgesorgt. Das spielt es leider nicht. Und doch lässt sich mit diesem Einkommen eine solide Summe ansparen, sofern man frühzeitig beginnt.
Wie? Das erklärt Martina Ernst und verweist auf den aktuellen Stepstone-Gehaltsreport. Berufseinsteiger verdienen nach drei bis fünf Jahren Erfahrung rund 2.350 Euro netto im Monat. Schafft man es, jeweils 500 Euro davon zu sparen (auch wenn es wehtut), rückt die finanzielle Freiheit lange vor dem Pensionsalter in greifbare Nähe. Wer daran zweifelt, schaut in einen Sparplan-Rechner.
Monatlich 500 investierte Euro in einen breit gestreuten ETF (als Beispiel dient hier der MSCI World mit 1.600 Einzelaktien) ergeben nach 30 Jahren im Schnitt 514.000 Euro. Die halbe Million wäre geknackt. Auch wenn „nur“ 180.000 eingezahlt wurden.
Im Alter von 50 Jahren ausgesorgt haben, kann also funktionieren. „Will ich das wirklich, ist das Ziel nicht aus der Welt“, sagt Martina Ernst. Sofern man bis dahin sparsam lebt und in gut bezahlten Jobs war. Wo sich diese finden, verrät die Gehaltsexpertin.
Karriereplanung: In diesen Jobs lässt sich gut verdienen und viel sparen
Klar ist: 500 Euro schon am Beginn der Karriere monatlich zur Seite legen, ist nur für die wenigsten finanzierbar. Einfacher wird das im Laufe des Erwerbslebens, wenn die Expertise steigt und parallel das Gehalt (sowie die Summe, die sich wegsparen lässt).
35-Jährige hätten heute die Chance, ein Monatsgehalt von 4.000 Euro netto rauszuholen, wenn sie in den richtigen Branchen unterwegs sind, berichtet Martina Ernst. Oder erfolgreich selbstständig.
Als Beispiel nennt sie Top-Expertinnen im Investmentbanking, Führungskräfte von größeren Teams, Verkäufer im Bereich Versicherung oder Pharma sowie Unternehmensberater. Lukrativ wäre auch die Montage im Ausland, so Ernst. „Aber nicht in Deutschland, sondern auf den Bohrinseln.“
Es zeigt sich: Das Portfolio an gut bezahlten Jobs ist breit. Geld sollte trotzdem niemals der einzige Faktor sein, einen Karriereweg einzuschlagen. „Man sollte sich für ein Thema begeistern“, stellt Martina Ernst klar. Nur dann würde man Mehrwert schaffen. Könnte so die Wahrscheinlichkeit steigern, gut zu verdienen und – wenn man das noch immer möchte – irgendwann die Füße hochlegen.
Es war ein tröstlicher Gedanke. Wer reich ist, ist nicht automatisch glücklicher. Bei rund 90.000 US-Dollar Jahreseinkommen wäre eine unsichtbare Grenze gesetzt, lautete lange das Credo. Bis US-Psychologe Matthew Killingsworth 2023 für eine Studie knapp 34.000 erwerbstätige Erwachsene befragte und die Annahme widerlegte. Wer bereits glücklich ist, wird mit Geld noch glücklicher. Die neue Obergrenze lautet eine halbe Million Dollar. Resistent sollen nur die sowieso Unglücklichen sein. Ihnen soll kein Cent über 90.000 Dollar ein Lächeln ins Gesicht zaubern können.
Die These des Psychologen ist umstritten, sollte daher nicht für bare Münze genommen werden. Trotzdem würde Menschen ein ureigener Wunsch nach finanzieller Absicherung innewohnen, sagt Gehaltsexpertin Martina Ernst. Sie stützt sich dabei auf die Maslowsche Bedürfnispyramide. Nach den physiologischen Grundbedürfnissen (Essen, Trinken, Schlafen) steht nämlich die Sicherheit an zweiter Stelle. Eine bedeutende Rolle nimmt darin die materielle Grundsicherung ein. Doch wann sich ein Mensch finanziell sicher fühlt, sei höchst individuell, berichtet Bankerin Beatrice Schobesberger.
„Im Private Banking trifft man auf Menschen, die alle Geld haben oder einmal hatten. Das heißt nicht, dass sie sich sicher gefühlt haben.“ Geschweige denn: das Gefühl hatten, „ausgesorgt“ zu haben. Auch Privatbanker Robert Karas sind bislang nur wenige Menschen begegnet, die das Finanzthema aufgrund ihres Wohlstands abgeschlossen haben. „Oft sind diffuse Ängste da. Die Sorge, wirklich davon leben zu müssen.“
Hätte man finanziell ausgesorgt, würde das Geld somit in den meisten Fällen an die nächste Generation übergehen, so Karas: „Jeder, der sein Leben lang auf sein Geld geschaut hat, haut es mit 70 nicht plötzlich auf den Kopf.“ Auch wenn Ausnahmen bekanntlich die Regel bestätigen.
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