Durchhalten statt Durchstarten

Durchhalten statt Durchstarten
Auch die österreichische Start-up-Szene ist von der Krise massiv betroffen, dabei könnten gerade sie hilfreiche Lösungen bringen

Der eine entwickelt einen Online-Selbsttest auf Covid-19, der Ärzte und Gesundheitshotlines entlasten soll, die anderen stellen medizinische Schutzmasken im 3-D-Druck her, wieder andere tüfteln an Tracking-Apps zum Offenlegen von Ansteckungsketten.

Viele Start-ups beweisen in der Corona-Krise einmal mehr Kreativität und Hands-on-Mentalität. Gleichzeitig trifft die Krise sie besonders hart: 85 Prozent der Start-ups leiden unter der Corona-Krise, nur 58 Prozent gehen davon aus, sie zu überleben. Das ergab eine Umfrage der Plattform Austrian Start-ups Anfang April unter mehr als 100 Gründern.

Anders als etablierte Firmen können die jungen Innovativen oft weder mit einem soliden Finanzpolster noch mit einer stabilen Position am Markt aufwarten. In dieser Zeit Investoren, aber auch Neukunden zu gewinnen, ist je nach Branche schwer bis nicht möglich.

„Aus etlichen Telefonaten weiß ich, dass sehr viele besorgt sind“, sagt Christiane Holzinger, Bundesvorsitzende der Jungen Wirtschaft (JW). „Für ein Start-up kann es sein, dass es monatelang keine Umsätze hat, auch wenn es gute Lösungen anbietet. Aber die Entscheidungsträger in den Firmen, die neue Produkte einführen könnten, haben gerade andere Sorgen.“ Hinzu komme, dass viele nicht nur auf dem österreichischen Markt aktiv seien, sondern auch Kunden in weitaus betroffeneren Ländern hätten.

„Mein Bauchgefühl sagt mir, dass die Krise schwer sein wird und wir frühestens Mitte 2021 anfangen können, an normale Zeiten zu denken“, meint Johann „Hansi“ Hansmann, Business Angel und Investor mit derzeit 34 Investments im Portfolio. „B2B-Start-ups, die sich an Firmenkunden wenden, haben es schwerer – denen in meinem Portfolio habe ich geraten, für den Rest des Jahres nicht mehr mit Neukunden-Geschäft zu rechnen“, sagt er. Aber auch das Geschäft mit dem Endverbraucher werde in den kommenden Monaten leiden, weil die Konsumausgaben sinken, prophezeit Hansmann.

Frage der Branche

Derzeit hängt es stark von der Branche ab, wie gut das Geschäft noch läuft. Wie überall sind Tourismus, Gastronomie und Hotellerie besonders betroffen. Besser sieht es im Bereich Bildungssoftware, Telemedizin oder Automatisierungen in der Logistik aus. „Die Start-ups im Tourismus haben keine Auslastung, andere haben eine gute Auslastung, aber ein Finanzierungsproblem“, fasst JW-Chefin Holzinger zusammen. Anbieter von digitalen Kommunikationslösungen etwa seien zwar derzeit extrem gefragt, viele bieten aber kostenlose Versionen an – ob und wie schnell sich der Erfolg also in Umsätzen niederschlägt, ist offen.

„Wie überall gibt es auch in meinem Portfolio Krisengewinner und -verlierer“, sagt Start-up-Investorin Marie-Hélène Ametsreiter, Partnerin beim Risikokapitalgeber Speedinvest. „In der jetzigen Situation werden überall Kosten gespart – und der Fehler ist, dass das oft bei Innovationsprojekten passiert. Das ist ein Problem für Start-ups.“ Die größte Herausforderung liegt für die jungen, innovativen Unternehmen in der Finanzierung. „Es hat eine allgemeine Angststarre eingesetzt“, sagt Ametsreiter.

Was tun mit einem Geschäftsmodell, das darauf gebaut ist, eine kluge Idee mit Fremdkapital von Investoren umzusetzen? „Von Drittinvestoren gibt es in der Regel derzeit kein Geld“, meint auch Hansmann. Die meisten Venturecapital-Fonds agierten vorsichtig, private Investoren hätten oftmals gerade viel an der Börse verloren. „Ein Start-up, das Geld braucht, bekommt das gerade nur von seinen Bestandsinvestoren – wenn sie nachschießen können.“ Doch auch hier gibt es Ausnahmen, meint Ametsreiter: Investoren mit hohen Kapitalreserven, die diese Zeit als Möglichkeit sehen, sich günstiger in ein Unternehmen einzukaufen.

 

Chancen der Krise

Jenseits der Probleme birgt die Krise auch Chancen für Start-ups. „Wir erleben einen unglaublichen Digitalisierungsschub“, sagt Ametsreiter – und dies bereite vielen Geschäftsfeldern im Digital-Bereich erst den Boden: „Viele Start-ups waren ihrer Zeit voraus, haben versucht, ihre Produkte und Dienstleistungen in einen Markt zu setzen, der teilweise noch nicht reif war. Diese Reife kommt jetzt aus der Krise heraus.“ Viele Firmen merkten erst jetzt, wie wichtig die Digitalisierung sei – auch, um besser auf künftige Krisen vorbereitet zu sein.

An einem zweifelt keiner der Experten: Start-ups sind zwar von der Corona-Krise außergewöhnlich stark betroffen – sie hätten aber auch entscheidende Vorteile gegenüber etablierten Firmen, mit den veränderten Bedingungen umzugehen. „Viele sind sehr technisch und innovativ gut aufgestellt, das Arbeiten von zu Hause war für die meisten kein Problem“, erzählt Holzinger. Marie-Hélène Ametsreiter schätzt die „Agilität, Flexibilität und Reaktionsgeschwindigkeit eines kleinen digitalen Unternehmens“ als sehr viel höher ein als die etablierter Unternehmen.

Und nicht zuletzt helfe der zähe Gründergeist der Szene, auch in der Krise nicht den Kopf zu verlieren. Viele hätten innerhalb von 48 Stunden reagiert und ihre Business-Pläne umgeschrieben. „Das ist unmöglich in der Corporate-Welt“, meint Hansi Hansmann. Start-up-Gründer seien schon eine spezielle Spezies von Unternehmern, meint er: „Das Start-up-Leben ist ein hartes Leben. Das formt und bildet die Gründer – die haben permanent mit Krisen zu kämpfen.“

Auch die JW-Vorsitzende zeigt sich beeindruckt von so manchem Gründer: „Der Innovationsgeist ist trotzdem da“, sagt Holzinger. Viele junge Unternehmer seien massiv betroffen und ließen trotzdem den Kopf nicht hängen, sondern suchten nach Lösungen. „Die können herausragend durchhalten, weil sie das gewohnt sind“, sagt Holzinger. „Wir haben großartige Köpfe in der Start-up-Welt. Das sollten wir schätzen und schützen.“

Darum ist ein eigener Rettungsschirm in Planung

Die Hilfen, die die Regierung in der Corona-Krise auf den Weg gebracht hat, greifen oft nicht für Start-ups. Weil sie üblicherweise ein negatives Eigenkapital haben und keine gesunde wirtschaftliche Bilanz vor Beginn der Krise. Jetzt werden 100 Mio. Euro von Investoren und 50 Mio. vom Bund bereitgestellt, Investor Michael Altrichter wird Start-up-Beauftragter im Wirtschaftsministerium.


Um die Liquidität der heimischen Start-ups zu sichern,  will der Bund via der staatlichen Förderbank aws rund 50 Mio. Euro bereitstellen und private Investoren rund 100 Mio. Euro. Die aws verdoppelt beim COVID-19 Startup-Hilfsfonds privates Kapital in Höhe von 10.000 Euro bis 800.000 Euro. Die Zuschüsse der Förderbank sind im Erfolgsfall rückzahlbar. Um Geld aus dem Hilfsfonds zu bekommen, darf das Start-up  aber nicht mehr als fünf Jahre alt sein. Das Kapital des geplanten privaten Risikokapitalfonds wird zu 50 Prozent staatlich garantiert, die Finanzierung pro Start-up beträgt 200.000 Euro bis zu 1 Mio. Euro. Zielgruppe sind junge Firmen, die ohne Coronakrise eine Investorenfinanzierung in Aussicht gehabt hätten.

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