Duales Gymnasium: So begegnet ein deutscher Betrieb dem Fachkräftemangel

Yara Hirsch, Malerin und Lackiererin
Dem Handwerk mangelt es an Nachwuchs. Die Heinrich Schmid AG in Reutlingen überlegte sich ein neues Ausbildungsmodell: Abitur plus Gesellenbrief.

Eigentlich hätte sich Yara Hirsch als 14-Jährige auch dafür entscheiden können, in den Ferien auszuschlafen. Stattdessen war sie auf der Baustelle und lernte, mit Farben, Lacken und Werkzeugen umzugehen. Wie man Wände beschichtet, tapeziert und streicht oder wie man Risse in Hauswänden repariert. „Ich habe auch gelernt, was harte körperliche Arbeit ist. Aber am Abend weiß man, was man geschafft hat.“

Yara, heute 18 Jahre alt, steht in der Lehrwerkstatt ihres Ausbildungsbetriebs, der Heinrich Schmid AG in Reutlingen. Sie gehört zu den ersten Absolventen eines Dualen Gymnasiums, hat Abitur und Gesellenbrief in der Tasche und übt sich gerade in der „freien Technik.“ Mit einem Schwamm will sie drei Farben, ein Blau und zwei Lila-Töne, auf eine Holzplatte tupfen. „Für Baustellen ist das eher untypisch, aber mir macht das Spaß.“

Vorbereitung auf die Gesellenprüfung

Clemens Höbel, 17, und Armandus Jerabek, 18, arbeiten an einer Lackierplatte neben ihr. Sie liegen am Boden und übertragen konzentriert die Maße einer Flächengliederung von einer Vorlage auf die Platte. Die Aufgabe ist fordernd, es gilt, auf den Millimeter genau zu arbeiten. Die Farbe darf beim Ausmalen später nicht ablaufen, die Kanten sollen scharf bleiben. Eine Aufgabe, die so auch bei einer Gesellenprüfung vorkommen könnte.

Duales Gymnasium: So begegnet ein deutscher Betrieb dem Fachkräftemangel

Armandus Jerabek und Clemens Höbel (liegend) am Abmessen einer Flächengliederung

Hirsch, Höbel und Jerabek gehören zu jenen rund 69 Schülerinnen und Schülern, die vor sechs Jahren das Pilotprojekt Duales Gymnasium des Malerbetriebs Heinrich Schmid begonnen haben.

Das Projekt heißt: Abitur plus Gesellenbrief. Der Gedanke: Handwerk und Theorie miteinander verbinden. Vier Jahre vor dem Abitur können Schüler parallel zur Schule mit einer handwerklichen Ausbildung im Unternehmen beginnen. Die fachliche Materie, also das Arbeiten auf der Baustelle, wird in den Schulferien absolviert.

Neun Ferienwochen auf der Baustelle

„Neun von 14 Wochen Schulferien verbringen die Dualen GymnasiastInnen auf der Baustelle und erlernen das Handwerk“, erklärt Pascal Roth, „die Gesellenprüfung wird ein halbes Jahr nach dem Abi gemacht.“ Roth verantwortet das Ausbildungsmodell und geht auch regelmäßig an die Schulen, um das Projekt vorzustellen.

Das Interesse sei groß. „Rund 50 Schülerinnen und Schüler sind aktuell in Ausbildung.“ Doch sie ist auch fordernd. Etwa zwei Drittel halten durch, davon wiederum entscheiden sich ein Drittel später für das Handwerk als Beruf.

Auch Yara Hirsch gibt zu, gerne ein paar Tage mehr frei gehabt zu haben. „Trotzdem habe ich es als guten Ausgleich zur Schule gesehen. Da gehen die Meinungen eben auseinander.“ Armandus Jerabek sieht es pragmatisch. „Man verdient sich ja auch ein Taschengeld nebenbei und am Ende spart man sich Zeit. Ein halbes Jahr nach dem Abi habe ich meinen Gesellenbrief in der Tasche, während andere erst damit anfangen.“

Duales Gymnasium: So begegnet ein deutscher Betrieb dem Fachkräftemangel

Die Heinrich Schmid AG mit 175 Standorten wird inzwischen in der vierten Generation geführt

 

Rekrutieren aus den eigenen Reihen

Entstanden ist das Ausbildungsmodell aus einer Not heraus. Wie in Österreich auch, fehlt es dem deutschen Handwerk an Nachwuchs. Um dem Fachkräftemangel entgegenzuwirken, begann der Malerbetrieb, 1914 gegründet, heute über 5.500 Mitarbeiter und mit 567,3 Millionen Euro Umsatz, selbst für Nachwuchs zu sorgen.

Über 700 Auszubildende pro Jahr werden in 20 Lehrberufen ausgebildet, ein Teil davon in Dualen Gymnasien. 2016 entstand das erste Pilotprojekt mit dem Firstwaldgymnasium in Kusterdingen/Mössingen, inzwischen gibt es sechs Partnerschulen, weitere sollen folgen.

Neben der klassischen Lehrausbildung und dem Dualen Gymnasium, haben künftige Fachkräfte auch die Option, ein Duales Studium zu belegen, für Mitarbeiter gibt es eine eigene Führungsakademie – man will Karriere- und Aufstiegsmöglichkeiten bieten.

Sechs Millionen Euro für die Weiterbildung

Rund sechs Millionen Euro investiert die Heinrich Schmid AG jährlich in sämtliche Aus- und Weiterbildungsmaßnahmen. Initiator des Projekts ist Carl-Heiner Schmid, der den Betrieb in dritter Generation führte und 2011 operativ an seine drei Söhne Heinrich, Max und Carlo übergab. Alle drei durchliefen ihre Lehre im Unternehmen, Heinrich als Maler und Lackierer, Max als Trockenbauer und Carlo als Stuckateur, danach folgte ein Studium.

Auch Yara Hirsch plant dual zu studieren. Vorher aber macht sie ein Work-&-Travel. Zum Redaktionsschluss dieser Ausgabe wird sie bereits eine knappe Woche auf Mallorca sein, an einer Auslandsniederlassung der Heinrich Schmid AG.

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