Die Zukunft der Arbeit hat begonnen

Die Zukunft der Arbeit hat begonnen
Forscherin Lynda Gratton hat in 200 Unternehmen auf der ganzen Welt die Zukunft der Arbeit recherchiert.

Wir stehen an der Schwelle zur neuen Arbeitswelt, meint die britische Management-Forscherin Lynda Gratton. Und die ist herausfordernd: Wir müssen schwerwiegende Berufsentscheidungen treffen, ständig erreichbar sein, kommunizieren im Minutentakt und zersprageln uns zwischen den Anforderungen, die auf uns einprasseln. Gratton erläutert im Interview, was auf uns zu kommt  – und wie wir uns für die Zukunft wappnen.

KURIER: Für die Recherche Ihres Buchs "Job Future  – Future Jobs" haben Sie mit 200 Experten von  Unternehmen weltweit gesprochen. Welche Trends beeinflussen die Arbeit der Zukunft?

Lynda Gratton: Der große Umbruch findet schon jetzt statt. Er wird unser Denken über  Organisationen   tief greifend verändern. Die Globalisierung wirkt sich auf die Wirtschaft aus.  Die neuen Technologien verbinden die Menschen auf nie gekannte Weise. Künftig wird nicht mehr entscheidend sein, ob man in Großbritannien oder Indien aufgewachsen ist,  sondern die Begabung und Motivation des Einzelnen. Es wird auch in den Industriestaaten mehr Unterprivilegierte geben.

Sie sagen, die Globalisierung führt dazu, dass wir  24 Stunden am Tag erreichbar sein müssen, der Druck steigt. Wie können wir in Zukunft  damit umgehen?

Die Menschen müssen mehr Selbstverantwortung übernehmen, müssen darüber nachdenken, wie sie ihre Arbeit organisieren. Und die  Unternehmen  müssen nachdenken, wie ihre Mitarbeiter  flexibler arbeiten können. Unsere Forschung zeigt: Die Generation Y, die Anfang-20-Jährigen nutzen schon heute neue Technologien, um produktiver zu arbeiten. Die Menschen werden künftig mehr Wahlfreiheit haben, wie und wo sie arbeiten.  

Die zukünftige Arbeit wird von Innovationen  geprägt sein. Welche sind das?

Die Arbeit wird virtueller.  Wir teilen Ideen auf Online-Plattformen miteinander. Immer mehr Kollegen, Kunden, sitzen am anderen Ende der Welt.  Wir werden künftig zu Hause vor dem Bildschirm  über  Avatare mit anderen  kommunizieren.   Die Vernetzung nimmt zu, spontane Kontakte sterben aber aus – viele Menschen werden in ständiger Isolation arbeiten.

Welche Fähigkeiten brauchen wir künftig?

Ein negativer Trend der Zukunft wird sein, was wir Fragmentierung,  Zersplitterung nennen.  Arbeitsprozesse werden ständig von Kommunikation unterbrochen sein. Das geht auf Kosten der Konzentrationsfähigkeit.Wir müssen lernen, uns zu konzentrieren.  Der Fokus muss auch darauf gesetzt werden, wie junge Leute lernen. Die Generation Y ist gierig darauf, möglichst viel zu lernen. Wir müssen schneller lernen, und das unser ganzes Leben lang.

 Karriere-Entscheidungen werden künftig härter?

Wir werden in unserem Berufsleben mehrere schwerwiegende Entscheidungen treffen müssen.  Es wird schwieriger, Karrieren zu planen, aber wichtiger, immer wieder über  Karriereoptionen nachzudenken. Wir werden uns künftig auch viel stärker auf das Lebenslange Lernen konzentrieren müssen.

Wird es künftig so sein: Arbeiten gehen und gleichzeitig zu Hause bleiben?

Ja, da wird es flexiblere Arbeitsweisen geben. Pendeln in die Arbeit kostet viel Energie. Manchmal wird es nötig sein, ins Büro zu gehen, manchmal können wir von zu Hause aus  arbeiten. Ein Trend, der sich vor allem in den USA und in Großbritannien abzeichnet, sind Hubs – also offene Gemeinschaftsbüros.

Sie sagen, wir müssen uns spezialisieren – warum?

Es ist klug, in Zukunft ein Spezialist zu sein. Und wir müssen auf einem Spezialgebiet meisterhaft werden und uns so von der Konkurrenz unterscheiden. Wenn du tust, was jeder andere tut, wird es schwierig, deine Fähigkeiten zu verkaufen. Du musst einzigartig sein, fokussieren, warum man gerade dich für den Job nehmen sollte. Auch bei der Wahl der Ausbildung muss man das berücksichtigen.  

Wie kann man sich rüsten?

Eltern sollten ihre Kinder auf diese  Veränderungen  vorbereiten. Ich habe meinen Sohn nach Schanghai geschickt.  In der Vergangenheit haben wir uns nicht so große Gedanken über die Zukunft machen  müssen. Heute müssen wir das tun.

Wie steht es um die Führungskräfte?

Führungskräfte sehen sich mit neuen Herausforderungen konfrontiert: Sie müssen aufgrund der  Globalisierung wissen, was in der Welt vor sich geht.  Sie werden über die Social Media von den Menschen beobachtet. Und sie müssen künftig eng zusammenarbeiten können.  Führungskräfte müssen auch im  virtuellen Raum führen können. Denn Teams werden zunehmend spezialisierter und virtueller.

Die Menschen werden älter – was bedeutet das für die Karriereplanung?

Für den Einzelnen wird es schwieriger, sich im Alter von 20 bis 70 Jahren ausschließlich auf die Arbeit zu konzentrieren. Das heißt, man muss Karrierepausen einplanen –  Sabbaticals, Auszeiten.   Und die Unternehmen müssen den Begriff "High Potential" überdenken.

Und bessere Bedingungen für Ältere  schaffen?

Ja, absolut. Menschen leben länger, aber: Sie leben auf produktive Weise länger. Ein 60-Jähriger hat heute genauso viel Energie wie ein 40-Jähriger und sogar einen Vorteil: Er ist  mobiler als der 40-jährige Familienvater.

Wie sieht es mit dem Handwerk aus?

Alle Tätigkeiten, die automatisiert werden können, werden es auch. 

Erforscherin: Lynda Gratton

Die Zukunft der Arbeit hat begonnen

Lynda Gratton ist Professorin für Management an der London Business School und und forscht zum  Verhalten von Organisationen,  sozialem Kapital und Innovation. Gratton war zuvor u. a. als Chefpsychologin bei den  British Airways tätig. Laut  "The Times" zählt sie zu den "15 Top Business Thinkers"  der Welt.

2011 erschien ihr Buch "The Shift" (deutsche Ausgabe: Job Future - Future Jobs: Wie wir von der neuen Arbeitswelt profitieren"). 

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